Auch wenn „Man Of Tai Chi“ das Regiedebüt von Star-Schauspieler Keanu Reeves ist, steht doch eine ganz andere Person eindeutig im Mittelpunkt: Stuntman Tiger Hu Chen, mit dem sich Reeves bei der Arbeit an den „Matrix“-Fortsetzungen „Matrix Reloaded“ und „Matrix Revolutions“ anfreundete. Nun bereitete der Erstlingsregisseur seinem Kumpel eine große Bühne, auf der dieser sein unglaubliches Talent zur Schau stellen kann und gab ihm die Hauptrolle in „Man Of Tai Chi“. Zur Unterstützung holte Reeves auch noch Action-Regisseur Yuen Woo-ping („Matrix“, „Kill Bill“, „Tiger & Dragon“) mit an Bord und gemeinsam sorgen der Choreograph und der schauspielende Stuntman tatsächlich für einige eindrucksvolle Kampfszenen. Der gesamte Rest des Films, allem voran die flache „Truman Show“-artige Story, ist dagegen ausgesprochen mau geraten.
Chen Lin-Hu (Tiger Hu Chen) führt ein einfaches Leben und hält sich als Paketdienstfahrer über Wasser. Seine große Leidenschaft ist das Tai Chi, er ist der letzte Schüler dieses fast vergessenen Kampfstils. Bei einem Turnier fällt er dem undurchsichtigen Donaka Mark (Keanu Reeves) ins Auge, der ihm Geld anbietet, damit er für ihn in den Ring steigt. Entrüstet lehnt Chen ab, ein Tai-Chi-Kämpfer prügelt sich nicht für Dollars. Doch bald muss er umdenken, denn sein Meister (Yu Hai) droht seinen Tempel zu verlieren – um die heilige Stätte des Tai Chi zu retten, braucht er schnell sehr viel Geld. Doch Chen ahnt nicht, worauf er sich einlässt, denn Donaka Mark veranstaltet nicht nur Kämpfe, er hat drumherum auch eine exklusive Reality-Show erschaffen, in der er Zuschauern aus aller Welt zeigen will, wie in einem Kämpfer mit gutem Herzen der Blutdurst erwacht. Und während die Kämpfe für Chen Lin-Hu immer brutaler werden, freut sich der eiskalte Donaka Mark auf den Moment, an dem er ihm das erste Mal befehlen wird, dem Gegner das Genick zu brechen…
Als Keanu Reeves mit den Planungen für „Man Of Tai Chi“ begann, hatte er Großes vor. Er wollte nicht nur einen puren Martial-Arts-Film schaffen, der in der Tradition der Hongkong-Klassiker aus den 70er und 80er Jahren steht, sondern das Genre auch technisch auf ein neues Level heben. Dazu experimentierte er unter anderem mit neuen Kameramodellen, die er seinen Kämpfern umschnallen wollte, um so noch dynamischere Action-Szenen filmen zu können. Schließlich musste Reeves diese hochtrabenden Pläne aus Budgetgründen fallenlassen, aber die Kampfszenen im fertigen Film sind trotzdem eindrucksvoll, denn statt auf technischen Schnickschnack hat das Regie-Team unter den veränderten Voraussetzungen auf totale Reduktion gesetzt: Der Raum, in dem Tiger Hu Chen gegen wechselnde Gegner antritt, ist rundum grau. Nichts lenkt von den beiden Kontrahenten ab und ein Action-Spezialist wie Yuen Woo-ping weiß dies perfekt zu nutzen. Da auch Chen Lin-Hus Widersacher mit absoluten Könnern besetzt wurden (so hat etwa „The Raid“-Star Iko Uwais einen kleinen Auftritt) gibt es immer wieder beeindruckende Szenen, in denen sich einfach zwei Ausnahmesportler mit vollem Einsatz prügeln, während die Kamera sie umkreist.
So beeindruckend die gut über die gesamte Spielzeit verteilten Martial-Arts-Szenen sind, so enttäuschend ist der Rest. Selbst die weiteren Action-Szenen fallen deutlich ab – eine Autoverfolgungsjagd mit anschließendem Unfall sieht selbst für B-Movie-Verhältnisse allzu billig aus. Und die um die Kämpfe herumgestrickte Handlung erinnert zwar in ihrer Grundanlage an Peter Weirs „Truman Show“, doch die medien- und konsumkritischen Facetten bleiben hier allesamt im Ansatz stecken. Auch der im Kern ebenso interessante wie beunruhigende Gedanke, dass das Publikum sich gar nicht so sehr an den Kämpfen selbst ergötzt, sondern daran wie die brutalen Auseinandersetzungen sich auf die Psyche des Fighters auswirken und sein ganzes Leben verändern, wird kaum ausgearbeitet. Letztlich bleibt der thematische Überbau kaum mehr als ein Mittel zum Zweck, das dem Regisseur Keanu Reeves erlaubt, sich selbst als emotionslosen Geschäftsmann vermeintlich cool in Szene zu setzen.
Letztlich bleibt der Schauspieler Reeves nicht nur wegen der Sprachbarriere – der Film wurde überwiegend in Kantonesisch und Mandarin gedreht und nur in den Szenen mit dem US-Star wird Englisch gesprochen - fast so etwas wie ein Fremdkörper in seinem eigenen Film. Das zeigt sich besonders, als er sich im Finale auch noch selbst mit seinem Hauptdarsteller messen muss. Im Gegensatz zu den vorangegangen Auseinandersetzungen, bei denen sich Spezialisten gegenüberstanden, wirkt dieser Kampf unorganisch und lahm. Ähnlich überflüssig wirken auch noch einige andere Handlungselemente und Genre-Versatzstücke, auf die Reeves und sein aus der Videospielbranche stammender Drehbuchautor Michael G. Cooney nicht verzichten wollten. Das Love Interest darf in Form einer schönen Anwaltsgehilfin (Ye Qing) genauso wenig fehlen wie eine aufrechte und engagierte Polizistin (Karen Mok), die den Bösewichten das Handwerk legen will. Mal wieder richtig verschenkt ist in diesem Zusammenhang Johnnie-To-Stammdarsteller Simon Yam („Ip Man“), der als Polizeichef bei den Ermittlungen so sehr auf die Bremse tritt, dass seine wahre Absicht und Funktion für eine lahme Wendung allzu früh zu erahnen ist.
Fazit: „Man Of Tai Chi“ gefällt mit begeisternden Martial-Arts-Szenen, aber der ganze Rest fällt ihnen gegenüber merklich ab. So ist das Regiedebüt von Keanu Reeves nur für Genre-Fans empfehlenswert.