Von „Alice im Wunderland" über die Beatles („Yellow Submarine"), den Beat-Romancier Ken Kesey („Einer flog über's Kuckucksnest"), Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson („Fear and Loathing in Las Vegas") bis hin zum B-Movie-Produzenten Roger Corman („The Trip") – für so manchen Autor, Musiker und Filmemacher war Lysergsäurediethylamid, besser bekannt als LSD, die grüne Tür, die durchschritten werden musste, um zu einer eigenen kreativen Ausdrucksform zu finden, Konventionen zu überwinden und bleibende Kunst zu schaffen. Nachdem die Zaubersäure jahrelang ein Schattendasein hinter den Kulissen gefristet hat und lediglich das Öl in der künstlerischen Flamme war, stehen die Substanz und ihr Entdecker nun in Martin Witz' Dokumentation „The Substance - Albert Hofmann's LSD" im Mittelpunkt. Witz wirft dabei jedoch nicht nur einen Blick auf Hofmanns Schaffen und die Experimente, in denen dieser das geistige Ambrosia destillierte, sondern auch auf den Werdegang der Droge selbst, von der viele gekostet haben und die viel hätte bewegen können, wenn sie nicht immer wieder in die Hände falscher Propheten gefallen wäre. „The Substance" ist eine fesselnde Dokuparabel über die Drogenbüchse der Pandora, die zu oft und zu leichtsinnig geöffnet wurde.
Der bei den Aufnahmen bereits 100-jährige Titelheld Albert Hofmann wird im Film immer wieder als Interviewpartner und Erzähler herangezogen wird. Den Auftakt macht ein längerer Abschnitt über den Forscher und seine Arbeit beim Pharmakonzern Sandoz. 1943 wurde der damals 37-jährige Hofmann vor beschaulicher Gebirgskulisse auf eine mysteriöse, aus dem Mutterkorn der Roggenähre stammende Substanz aufmerksam, die ihn in einen mehrstündigen Dämmerzustand und in große Euphorie versetzte. Wenig später fand LSD seinen Weg in die Psychiatrie, wo es große Wirkungen zeigte und zur Behandlung schwerer Psychosen eingesetzt wurde. Auf Umwegen gelangte es schließlich ins popkulturell tonangebende Swinging London, von wo aus es einen Siegeszug als weltweite Hipster- und Beatnik-Droge startete. Nicht nur als Trend-Trip-Tropfen und als Heilmittel im Bereich der Seelenforschung jedoch wurde LSD genutzt – auch Militärapparate überall auf der Welt wurden hellhörig und glaubten, mit Hilfe der noch unerforschten und verheißungsvollen Substanz furchtlose Krieger kreieren zu können – ein Versuch, der allerdings stattdessen eher mit hysterisch lachenden Soldaten endete.
Es war der amerikanische Psychologie-Professor Timothy Leary, der schließlich den Bogen überspannte, LSD wie Bonbons unter Hippies und in der Gegenkultur verteilte und schließlich ein Verbot heraufbeschwor. Den Werdegang der Droge zu beobachten, macht über weite Strecken großen Spaß und Regisseur hat einiges an Bildmaterial aufgetan, das selbst für ein kundiges Publikum neu sein dürfte. Ausgerechnet die Bebilderung der Wirkung ist dabei jedoch ein wenig uninspiriert geraten. Frank Zappa meinte einst, dass „über Musik zu reden" in etwa so sinnvoll sei, wie „zu Architektur zu tanzen" und oft möchte man Witz daran erinnern, wenn er versucht, der Wirkung von LSD mit wilden Farbspektren und schrillen Sounds beizukommen. Damit nutzt er nur die audiovisuellen Klischees des Psychedelischen. Wenn man mit üblichen Methoden der sinnlichen Erfahrung versucht, die Ausdehnung und Überwindung der normalen Wahrnehmung darzustellen, kann man – besonders als Dokumentarist – nur scheitern.
Der Rückgriff auf 60er-Jahre-Bildmontagen wirkt wie ein abgedroschenes Zitat, das dem Phänomen einer übersteigerten Wahrnehmung nicht gerecht wird. Einfache Zustandsbeschreibungen oder Archivaufnahmen von Konsumenten sind da sehr viel aufschlussreicher, zumal nicht der Versuch unternommen wird, hinter die Stirn der verzückt-beseelten Gesichter zu dringen. Davon abgesehen glänzt Regisseur Witz jedoch durch ein gutes Händchen bei der Auswahl der Bilder und Gesprächspartner, die der Thematik wohlwollend gegenüberstehen, ohne in Verherrlichung abzudriften. Die Interviews aus chicen Londoner Cafes oder aus der Praxis eines tschechischen Arztes, der ebenfalls mit LSD praktizierte, schwanken zwischen Zeitkolorit und Kuriosum und lassen ein Gefühl entstehen für eine Zeit, in der man noch nicht so recht weiß, ob und wenn ja, wie man den Schlüssel zu den verborgenen Winkeln des Bewusstseins benutzen soll.
Speziell die Abschnitte, die den LSD-Hype in San Francisco behandeln und zeigen, wie der Drang nach geistiger Freiheit und der unkontrollierte und unverantwortliche Gebrauch der Substanz erst zu einem logistischen Problem, dann zu einer hygienischen Unappetitlichkeit und schließlich zu einem ganz bösen Trip voller Desorientierung und Paranoia wurde, werfen ein bedrohliches Licht auf den naiven Leichtsinn der gern verklärten Sixties, die bekanntermaßen in einigen Katastrophen, esoterischer Weltflucht oder dem sinnentleerten Hedonismus der discofizierten 70er endete. Speziell Timothy Leary, der gern als psychedelischer Aufklärer dargestellt wird, wirkt hier so manches Mal wie ein Marktschreier, der die Büchse der Pandora öffnet wie eine Tütensuppe. Im Schlussakt geht es in „The Substance – Albert Hofmann's LSD" dann großteils um den Dienst, den LSD vielen Sterbenskranken auf ihren letzten Metern leistet, wie es Schmerzen lindert und die Patienten emotional und spirituell auf den Tod vorbereitet. Damit klingt der Film sanft aus und es deutet sich noch ein Themenkomplex an, der locker Stoff für einen weiteren Film liefern würde.
Fazit: Man muss kein LSD-Fan und kein unreflektierter Drogenbefürworter sein, um Martin Witz' Dokumentation mit großem Vergnügen und Wissbegierde zu genießen. Mit schnellen Schritten und einem guten Händchen für zeitgenössische Quellen wird hier die Geschichte einer Substanz erzählt, die die Welt hätte verändern können, wenn man ihr mit etwas mehr Ehrfurcht und Maß begegnet wäre.