Endzeit. Mit dem Untergang der Zivilisation zeigt sich häufig, wie es um hehre Tugenden wie Nächstenliebe und Vernunft bestellt ist. In aller Regel gehen diese Werte aber zuerst über Bord, wenn der Mensch des Menschen Wolf wird. Zahlreiche Regisseure haben bereits ihren Beitrag zum Endzeit-Genre geleistet, oft sind dabei ihre besten Werke entstanden. Der Grundton der apokalyptischen Entwürfe ist dabei oftmals grundverschieden. Actionlastige Produktionen wie die „Mad Max"-Trilogie, „The Postman" oder „The Book of Eli" nutzen das trostlose Setting vor allem als Hintergrund für westernartige Heldenerzählungen und verquicken diese mit Erlösermotiven. Dem Arthouse-Film zugewandte Filmemacher nähern sich der Thematik hingegen weitaus illusionsloser: Die gebrochenen Gestalten, die durch John Hillcoats „The Road" oder Michael Hanekes „Wolfzeit" irren, können nicht damit rechnen, dass Mel Gibson („Mad Max") oder Denzel Washington („The Book Of Eli") zu ihrer Rettung eilen. Hier gilt das Faustrecht und die Skrupellosesten schieben ihr Ende auf Kosten derer auf, die sich noch an moralische Vorstellungen klammern. Nicht immer gelingt es dabei, ein stimmiges Szenario zu erschaffen und gleichzeitig kurzweilig zu unterhalten. Ausnahmen sind etwa Alfonso Cuarón dystopisches Science-Fiction-Epos „Children of Men" und überraschenderweise auch ein deutscher Beitrag, nämlich „Hell" von Tim Fehlbaum. Der südkoreanische Film kann mittlerweise eine beachtliche Reputation vorweisen, hat das Thema aber bislang ausgespart. Der junge Regisseur Sung-Hee Jo leistet mit „End Of Animal" nun Pionierarbeit.
Eigentlich will die junge und hochschwangere Städterin Sun-yeoung (Lee Min-ji) nur eine Auszeit nehmen, als sie Seoul gen Heimatdorf verlässt. Als der Taxifahrer (Kim Young-Ho) jedoch einen mysteriösen Fahrgast (Hae-il Park) aufsammelt, ist es mit der Entspannung erst einmal vorbei. Nicht nur äußerlich wirkt der Fremde geheimnisvoll, er scheint auch einiges über seine Mitreisenden zu wissen. So konfrontiert er nicht nur den Fahrer mit dessen desolater Ehe, sondern weiß auch über die Trennung zwischen Sun-yeoung und ihrem Freund bestens Bescheid. Und als ob dies noch nicht genug wäre, prophezeit er zu allem Überfluss noch die nahende Apokalypse, indem er kurzerhand einen Countdown einleitet. Bei Null angelangt, wird der Wagen von einem gleißenden Licht verschlungen. Als sie wieder zu sich kommt, findet Sun-yeoung sich völlig alleine im ländlichen Nirgendwo wieder. Der Taxifahrer und der Fremde sind verschwunden und auch sonst scheint die Welt stillzustehen. Handys und Elektronik sind ausgefallen und der Wagen bewegt sich nicht von der Stelle. Sun-yeoung macht sich auf den Weg durch die einsame Landschaft....
Wer erwartet, dass die junge Südkoreanerin in der Folge auf zerfallene Städte und panische Massen trifft, der wird enttäuscht. „End of Animal" präsentiert sich stattdessen als trist-experimentelles Werk, das eher an ein Theaterstück von Beckett, denn an „Mad Max" oder „The Road" erinnert. Sung-Hee Jo konfrontiert sein Publikum mit unerklärlichen Elementen, etabliert Figuren und lässt sie im nächsten Moment wieder verschwinden. Er schickt seine schwangere Protagonistin auf eine Reise mit unbestimmtem Ziel durch das menschenleere Nirgendwo. Omnipräsent ist ein unheilvolles Grollen aus der Ferne, das auf die Anwesenheit von etwas Übernatürlichem hindeutet, welches mit den Geschehnissen in einer Verbindung zu stehen scheint. Symbolisieren die horrorhaften Laute die Posaunen von Jericho? Ist die Apokalypse also biblischen Ausmaßes? Und was hat es mit dem allwissenden Anhalter auf sich, der immer wieder über ein Funkgerät zu Sun-yeoung spricht und ihr Anweisungen erteilt? Antworten auf derartige Fragen enthält der Regisseur seinem Publikum vor.
Auch die zahlreichen Begleiter, die Sun-yeoung Gesellschaft leisten, lösen eher Verwunderung oder gar Heiterkeit aus, anstatt zum besseren Verständnis beizutragen. Sei es nun der etwas debil wirkende Taxifahrer, die schnippische Frau, die der Desorientierten ihre Schuhe und ihren Mantel raubt, oder aber ein verstörter Junge (Park Se-jong) mit Baseballschläger – sie alle verhalten sich auf kuriose Weise irrational und bringen das Geschehen nicht direkt weiter. Vielmehr verdeutlicht Sung-Hee Jo an ihnen seine apokalyptischen Thesen, die aber kaum originell sind. Wenn der verkrachte Fünftklässler die aus den Fugen geratene Welt als großen Abenteuerspielplatz begreift, eine diebische Städterin ihrer erschütterten Psyche freien Lauf lässt oder ein sexuell frustrierter Bauer (Yoo Sung-mok) die schwangere Sun-yeoung entführt, um sich in seiner heruntergekommenen Hütte an ihr zu vergehen, dann zeigt der Koreaner lediglich auf, dass die animalische Natur des Menschen unter bestimmten Bedingungen schonungslos hervorbricht. Dennoch scheint Sung-Hee Jo partout nicht mit den üblichen Endzeitklischees in einen Topf geworfen werden zu wollen und trägt einen ausgeprägten Kunstfilm-Gestus vor sich her, der „End of Animal" zwar aus dem Gros vergleichbarer Post-Apokalypse-Dramen heraushebt, bisweilen aber etwas affektiert wirkt und den Film phasenweise sogar richtig anstrengend werden lässt.
Vor allem lässt Sung-Hee Jo noch kein klares Konzept hinter seinen kuriosen Wendungen erkennen. Zwar versucht er immer wieder, sich über die Mechanismen des Erzählkinos hinwegzusetzen und sein Publikum damit konstruktiv zu verunsichern, er selbst scheint mit den Regeln des Erzählens aber noch nicht vollständig vertraut. Dabei ist die sichere Beherrschung von Genrekonventionen die Voraussetzung dafür, künstlerisch mit ihnen zu brechen. Eine klare Linie bleibt der Koreaner hier schuldig. Speziell die Szenen in der Behausung des sexhungrigen Bauern hätten in den Händen eines versierten Regisseurs zu einem wahren Suspense-Fest werden können. Sung-Hee Jo weiß mit diesem Setting jedoch kaum etwas anzufangen. Überhaupt scheinen Spannung und Unterhaltung nicht auf seiner Prioritätenliste zu stehen, als möchte er sagen: Am Weltuntergang soll niemand seine Freude haben. Zu kämpfen hat man dann auch weniger mit verstörenden Bildern, sondern vor allem mit der Schwere der eigenen Augenlider.
Auf dem Fantasy Filmfest 2011 dürfte „End of Animal" damit für Verwunderung sowie reichlich Frust gesorgt haben. Prickelnde Spannung, ein Szenario mit Sogwirkung und eine mitreißende Handlung hat der erste südkoreanische Beitrag zum Genre nämlich nicht anzubieten. Mit seiner theaterhaften Inszenierung und seiner sperrigen Dramaturgie wäre der Film im Programm der Berlinale oder eines ausgesuchten Filmkunst-Festivals deshalb sicherlich besser aufgehoben gewesen. Eine richtige Enttäuschung ist „End of Animal" trotz aller Skepsis aber nicht. Mit der Zeit entwickeln die Fußmärsche durch die trostlosen Landstriche eine morbide Faszination, der man sich kaum entziehen kann und in seinen besten Momenten gleicht „End of Animal" einem kryptischen Haiku, das eine Menge an Interpretationsspielraum bietet. Ob der Film nun aber tatsächlich das Prädikat „Kunst" verdient, darüber lässt sich streiten - schließlich ist der künstlerische Gehalt eines Werkes immer auch eine Frage seiner Rezeption. Fordernd ist die Endzeitvision des jungen Koreaners aber allemal.