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    Das Haus auf Korsika
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Das Haus auf Korsika
    Von Andreas Günther

    Die stärkste Szene in Pierre Duculots Selbstfindungsgeschichte „Das Haus auf Korsika" ist zugleich eine der unscheinbarsten: Nach einem Streit mit ihrem Partner möchte Christina mitten in der Nacht aus Charleroi in Belgien zu ihrem Haus nach Korsika aufbrechen. Sie steht vor einem vergitterten Schalter und kauft ein Ticket. Neben ihr steht ein Freund, der sie von ihrem Vorhaben abbringen will, er droht, im Fall ihrer Abreise würde „etwas passieren". Daraufhin erhebt sich die Stimme des Angestellten am Schalter aus dem Off: „Hier passiert gar nichts, außer wenn du nicht die Klappe hältst." Der Freund verstummt. Christina strahlt über das ganze Gesicht – für einen kurzen Augenblick scheint die wie frei im Raum schwebende Stimme eine höhere, ihr wohlgesonnene Macht zu repräsentieren. Auf eine solche ist sie auch bitter angewiesen, um sich gegen die Männer in ihrem Leben zur Wehr zu setzen. Die sich hier andeutende Geschichte ist sehr reizvoll, ihr Potential kommt allerdings nicht voll zur Entfaltung, dafür ist Duculots Inszenierung ihrer romantischen und melodramatischen Aspekte zu unverhohlen kitschig.

    Christina (Christelle Cornil) ist um die 30, hat ihr Kunststudium abgeschlossen und findet keine Arbeit. Um sich über Wasser zu halten, jobbt sie in einer Pizzeria – scheinbar nicht ganz legal. Mit Marco (Jean-Jacques Rosin), dem Sohn des Besitzers, ist sie liiert. Christina, ihr Vater Alberto (Roberto D'Orazio), Mutter Anette (Marijke Pinoy) und Bruder Cédric (Cédric Eeckhout) gehören zur kleinen italienischen Gemeinde in der belgischen Bergarbeiterstadt Charleroi. Die schwierige finanzielle Situation der Familie bessert sich ein wenig, als das Testament einer verstorbenen Großmutter vollstreckt wird. Christina erbt ein Haus auf Korsika. Man drängt sie, es sofort zu verkaufen, doch sie will es sich erst ansehen. Als sie nur eine verwilderte Bruchbude in einem winzigen Dorf vorfindet, ist die Enttäuschung zunächst groß. Auch die Einheimischen treten zurückhaltend bis gleichgültig auf – abgesehen von der alten Flora (Marcelle Stefanelli) und dem Schäfer Pascal (François Vincentelli). Bald entdeckt Christina die unbekannte Seite ihrer Familiengeschichte. Sie beschließt, das Haus neu aufzubauen, stößt mit dem Vorhaben aber auf harten Widerstand der Lieben in Charleroi...

    Nach Christinas Umzug nach Korsika verheddert sich der in Lüttich geborene Debütfilmer Pierre Duculot in unterhaltsamen, aber banalen Konventionen. Fast wie in einer idyllischen Dichtung des 16. Jahrhunderts bahnt sich zwischen Christina und dem Schäfer Pascal eine Romanze an – der ähnelt unter seinem graumelierten Vollbart immerhin entfernt George Clooney und im Kamin seiner rustikal-elegant eingerichteten Hütte prasselt ein anheimelndes Feuer. Doch nach einem brüsken Kuss kommt nichts mehr, denn der schöne Mann ist vergeben. Und wenn dann plötzlich doch Christinas ganze Familie helfen will, das Haus auf Vordermann zu bringen, schlägt die sanfte Melodramatik in schlichten Kitsch um.

    Was dabei so alles passiert, ist mitunter schwer zu erkennen: Hichame Alaoués Handkamera-Aufnahmen sind oft extrem düster. Die Abend- und Nachtszenen glimmen in einem Licht, das entfernt an Rembrandt-Gemälde erinnert, und das nur bei Christinas Ankunft im Dorf flüchtig golden schimmert. Kein Wunder – die rotblonde Christelle Cornil ist eine hervorragende Besetzung für die Hauptrolle. Mit subtiler Mimik und Gestik schafft sie ein Gefühl für die Orientierungslosigkeit ihrer melancholischen Figur, die ihr Leben selbst bestimmen will, ebenso aber ein Scheitern an ihren übergroßen Aufgaben fürchtet. Cornils Christina wirkt bisweilen so verloren, dass ihr mit glücklichen Drehbuchwendungen auf die Sprünge geholfen werden muss – wie zu Beginn durch das Machtwort des Ticketverkäufers.

    Unter der zunehmend gefälligen Oberfläche ist „Das Haus auf Korsika" aber auch geradezu bedrückend, denn Duculot zeigt, dass Christinas angestrebte Emanzipation im Grunde nicht gelingen kann. Die Männer haben hier das Sagen, Frauen werden kaum eigenständige Entscheidungen zugestanden – von der Familie unterstützt zu werden und so auch von ihr abhängig zu sein, das wäre für die Wahl-Korsin Christina eine Rückkehr in die Gefangenschaft. Als dann plötzlich Vater und Bruder vor der Tür stehen, legen sich die langen Schatten von Charleroi über das grüne korsische Tal, das so winzig und verloren wie die Protagonistin zwischen schroffen Bergen und hingehauchten Wolken liegt. Aber nur für einen Moment, dann lässt Duculot seine Christina eine Pause von diesem anstrengenden Kampf nehmen und die schöne Aussicht genießen – auch, wenn sie mit dem Haus praktisch keinen Meter vorwärts gekommen ist.

    Fazit: „Das Haus auf Korskia" ist das hervorragend gespielte und schön bebilderte Porträt einer jungen Frau, die sich ein selbstbestimmtes Leben aufbauen will. Nur überzuckert Regisseur Pierre Duculot seine romantisch-melodramatische Geschichte zuweilen und das Geschehen kippt in argen Kitsch.

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