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    Turn Me On
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Turn Me On
    Von Petra Wille

    Ein Mädchen befriedigt sich selbst. Sie ist recht jung und genießt ihr Tun offensichtlich. Diese im Kino eher ungewöhnliche, für manchen vielleicht sogar skandalöse Szene passiert in „Turn Me On“ gleich am Anfang (und auch später noch mehrmals) und ziert zudem das deutsche Kinoplakat. Damit wird auf jeden Fall auch Aufmerksamkeit erzeugt, denn obwohl Studien belegen, dass Mädchen heutzutage öfter masturbieren als früher, ist dies sicher kein Alltagsthema. Die norwegische Regisseurin Jannicke Systad Jacobsen zielt aber ganz sicher nicht auf einen Skandal ab. Stattdessen gelingt es ihr mühelos, das zweifellos sensible Thema Sex und Selbstbefriedigung bei pubertierenden Mädchen in ihrem Debutspielfilm „Turn Me On“ erfrischend unverklemmt und höchst unterhaltsam zu behandeln.

    Alma (Helene Bergsholm) ist 15 und in Artur (Matias Myren) verliebt. In ihren sexuellen Fantasien tun sie „es“ ausgiebig, in Wirklichkeit begegnen sie sich schüchtern und vorsichtig. Doch bei einer Party nähert sich Artur mit seinem Schwanz und berührt Alma am Bein. Als sie dies ihren Freundinnen berichtet, glauben sie ihr nicht. Schlimmer noch: Artur selbst streitet alles ab. Fortan ist Alma in der Kleinstadt nur noch „Schwanz-Alma“. Sie wird in der Schule von allen gemieden. Das führt zu Frust und Einsamkeit, aber nicht zu weniger Lust auf Sex. Sie hat sogar schon eine Sex-Hotline versucht. Ihre Mutter (Henriette Steenstrup) findet das alles höchst befremdlich und hält sie für krank. Alma haut schließlich verzweifelt nach Oslo zur großen Schwester einer ihrer Freundinnen ab. In deren lässiger WG erfährt sie ganz selbstverständlich Solidarität und Hilfe.

    Eigentlich geht es in „Turn Me On“ um ganz typische Teenagerprobleme: Schwärmereien und erste Liebe, körperliche Bedürfnisse, Streit mit den Eltern und schließlich das Gefühl, auf der ganzen Linie nicht verstanden zu werden. Doch selten werden Themen wie sexuelles Erwachen, Begierde und Selbstbefriedigung so offensiv und gleichzeitig so sensibel angefasst. Wenn es um Jungs geht, ist Masturbation schon lange im Film etabliert (besonders in Komödien) - man denke etwa an das Kekswichsen aus „Crazy“. Mädchen gelten allgemein als braver und sexuell nicht so fordernd – ein Bild, das ihre Bedürfnisse völlig ausblendet. Sicher zur Freude vieler Heranwachsenden (Mädchen wie Jungen) fasst Regisseurin Jannicke Systad Jacobsen das Thema völlig selbstverständlich an. Alma ist ganz unverblümt erregt, „spitz“ wie sie ihrer entsetzten Mutter erklärt. Die findet Telefonsex und Pornos ekelhaft und meint, ihre Tochter habe ein Problem. Ja, das stimmt. Aber es besteht ganz sicher nicht darin, sich für Sex zu interessieren oder welchen haben zu wollen. Almas Problem ist wohl eher die Unfähigkeit ihrer Mutter, damit umzugehen, dass ihre Tochter erwachsen wird.

    Neuentdeckung Helene Bergsholm spielt die Alma großartig und beeindruckend. Sie ist sehr natürlich, zurückhaltend und vorsichtig, aber eben auch draufgängerisch und mutig, wenn es darauf ankommt. Regisseurin Jacobsen vermeidet daneben jeglichen Anflug von Vulgarität. Sie schlägt aber auch nicht ins Gegenteil um: „Turn Me On“ hat das Zeug zu enormer Wirkung bei jugendlichen Zuschauern und ihren Eltern, kommt aber ohne erhobenen pädagogischen Zeigefinger daher. Auch wenn das Ende für manche Geschmäcker etwas zu happy gestaltet sein mag (oder ist es nur eine von Almas Fantasien?), ist der Film voll guter Anregungen: Alma dreht die gegen sie gerichtete Beschimpfung um. Auf ihrer Mailbox meldet sie sich frech mit „Hier ist Schwanz-Almas Sex-Hotline“. Auch durch die etwas Älteren in Oslo lernt sie, offensiv mit Beleidigungen umzugehen. Dort improvisiert ein junger Mann für sie ein Lied: „Schwanz-Alma, ich will dich! … Schwanz-Alma regiert!“

    In Deutschland gehört die Jugendzeitschrift Bravo zu den Medienpartnern. Das ist konsequent, auch wenn die Bebilderung von dem knallbunten Heft mit Stars, Schminktipps und Dr. Sommer-Beratung meilenweit entfernt ist und „Turn Me On“ mit entsättigter Farblosigkeit eher der von den Mädchen gehassten, todeslangweiligen Provinz entspricht. Schließlich haben Film und Zeitschrift ein Element gemeinsam: Almas Fantasien vom Fortgang der Geschichte mit Artur wird als Foto-Lovestory, einer typischen Erzählform der Bravo, gezeigt, allerdings in schwarz-weiß. Ganz mühelos handelt Jacobsen, die auch das Drehbuch schrieb, noch ein paar Nebenschauplätze ab, die den überaus positiven Gesamteindruck vervollständigen: Almas idealistische Freundin Sara (Malin Bjørhovde) verliebt sich in den freundlichen Kiffer, den andere ungepflegt und stinkend finden („Ich mag das, das ist authentisch“). Und die ältere Nachbarin, eine zuverlässige Spionin der Lebensgewohnheiten von Alma und ihrer Mutter, erweist sich schließlich als sensibler für die Probleme der Pubertierenden als erwartet.

    Fazit: Was für Erwachsene eine gelungene Komödie über die Nöte des pubertären Sexualtriebs ist, ist für das jugendliche Publikum wohl noch mehr: Eine tolle Geschichte, die – besonders für Mädchen – einen unverklemmten Umgang mit dem Erwachen sexueller Gelüste vormacht.

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