Die juristische Bewertung von Vergewaltigungsvorwürfen ist oft kompliziert. Zeugen gibt es nur selten und so steht meist Aussage gegen Aussage. Dazu kommt die grundsätzliche Schwierigkeit, die Umstände der Begegnung einzuordnen. An denen gibt es in Brigitte Maria Berteles („Nacht vor Augen“) bereits 2011 uraufgeführtem Drama „Der Brand“ für den Zuschauer zumindest keinen Zweifel: Was der Protagonistin widerfährt, ist ganz klar eine Vergewaltigung. Allerdings heißt das auch hier noch lange nicht, dass der Täter dafür seine gesetzliche Strafe erhält. Die Regisseurin und ihre Drehbuchautorin Johanna Stuttmann („Der ganz große Traum“) erzählen davon, wie schwierig es für das Opfer ist, Recht zu bekommen und begegnen diesem Dilemma mit einem kraftvollen Plädoyer gegen das Schweigen und für einen offensiven Umgang mit Erfahrungen von sexueller Gewalt: Am Ende können sich die Dinge womöglich nur ändern, wenn die Bestrafung des Täters auch gegen massive Hindernisse eingefordert wird.
Judith (Maja Schöne) ist neu in der Stadt und gerade erst dabei, Kontakte zu knüpfen. Auf einem Tanzabend lernt sie den charismatischen Ralph Nester (Wotan Wilke Möhring) kennen. Nachdem sie dessen sexuelle Avancen abwehrt, wird sie brutal von ihm vergewaltigt. Judith erzählt ihrem Freund Georg (Mark Waschke) von dem Vorfall und erstattet Anzeige gegen Ralph. Doch ihre Anschuldigung trifft auf Skepsis. Ralph ist ein unbescholtener Bürger und ein beliebter Chefarzt, außerdem gibt er zu Protokoll, dass Judith und er einvernehmlichen Sex gehabt hätten. Ihr Anwalt Valentin Stein (Florian David Fitz) glaubt Judith zwar, doch der Fall scheint aussichtslos, da es keine Zeugen gibt und somit Aussage gegen Aussage steht. Judith ist auf sich allein gestellt und zieht alle Register, um an ihr Recht zu kommen, läuft dabei aber Gefahr, alles zu verlieren.
In „Der Brand“ wird ganz eindeutig die Seite des Opfers eingenommen. Dabei vermeidet Regisseurin Brigitte Maria Bertele sowohl sentimentale Überspitzungen als auch reißerische Schuldzuweisungen. Letzteres zeigt sich vor allem an den differenziert gezeichneten und gespielten zentralen Männerfiguren des Films. So spielt Judiths Freund Georg die Vergewaltigung herunter und plädiert auf Vergeben und Vergessen, doch diese problematische Position ist nur die eine Seite der Medaille, denn Autorin Stuttmann skizziert ihn als intelligenten und verständnisvollen Mann, der sich letztendlich nur von Judiths zuweilen ins Irrationale ausuferndem Vergeltungsdrang distanziert. Ihr Anwalt Stein wiederum entwickelt sich im Laufe des Films immer mehr vom Karrieristen zu ihrem größten emotionalen Mitstreiter und der Vergewaltiger Ralph Nester schließlich ist zwar definitiv ein Mistkerl, aber auch in ihm offenbaren sich Unsicherheit und die Angst um die Familie.
Auch die wichtigste Figur des Films ist durch eine tiefe Ambivalenz geprägt: Die von Maja Schöne („Tatort“) verkörperte Protagonistin Judith Hoffmann ist tough, schlagfertig und kompromisslos, zugleich neigt sie immer wieder zu unüberlegten Überreaktionen, nur um dann doch noch rechtzeitig zur Vernunft zu kommen. Mit ihrem Vergewaltiger Ralph hat sie gemein, dass sie beide in die Offensive gehen und sich gegenseitig bloßstellen wollen. Aus diesem „Duell“ bezieht „Der Brand“ seine beachtliche Spannung, die einer der Gründe dafür ist, dass der Film fast drei Jahre nach seiner TV-Premiere noch einen Kinostart bekommt. Daneben fallen kleine dramaturgische Schwächen nicht nachhaltig ins Gewicht, trotzdem ist insbesondere die Naivität von Ralph Nesters Ehefrau Anne (Ursina Ladi) auffällig und durchaus fragwürdig: Obwohl sie Judith sogar trifft und ihr Mann einen regelrechten Justizkrieg gegen diese führt, erfährt die Gattin so gut wie nichts von den entscheidenden Dingen.
Gelegentlich wollen Bertele und Stuttmann etwas zu viel und schießen ähnlich wie ihre Protagonistin über das Ziel hinaus. So passt der metaphorische Filmtitel „Der Brand“ nicht unbedingt zu dem im Übrigen betont realistischen Themen-Drama und auch ansonsten wirkt einiges arg bedeutungsschwanger. So bezieht sich der Titel womöglich auf einen Molotow-Cocktail, der in einer Schlüsselszene zum Einsatz kommt, womit zugleich eine weitere falsche Fährte in einem ohnehin wendungsreichen Film gelegt wird. Zum anderen lässt sich auch ein Bezug zum physischen und psychischen Schaden herstellen, den Judith Hoffmann davonträgt. Die Protagonistin erhöht den ganzen Film über die Menge an Eiswürfeln, die sie ihrem Intimbereich zuführt, bis sie schließlich lebensmüde in Eiswasser badet. Das ist einerseits Ausdruck einer zunehmend krankhaften Beziehung der Figur zu ihrem von Gewalt gebeutelten Körper, andererseits erzählt es im übertragenen Sinne von einem Feuer, das sich nicht mehr löschen lässt.
Fazit: „Der Brand“ ist ein gelungener Beitrag zum Drahtseil-Thema Vergewaltigung: durchdachte Figurenzeichnung, eindrucksvolle Schauspielleistungen und eine weitgehend glaubwürdige Geschichte mit aufklärerischer Note.