An schrägen Film-Anekdoten mangelt es im Internet wahrlich nicht – an diese erinnert sich die cinephile Netzgemeinde jedoch mit besonderem Vergnügen: 2011 klagte eine furchtbar irritierte Amerikanerin gegen die Produktionsfirma „FilmDistrict", weil ihr der großartige Neo-Noir „Drive" nicht actionreich genug war. Nach dem schnell geschnittenen und auf Auto-Action fixierten Trailer hatte sie vergeblich auf einen Film im Stil von „The Fast and the Furious" gehofft. Ein klarer Fall von Etikettenschwindel, nicht wahr? Beim Fernost-Reißer „Motorway" wäre so etwas nicht passiert – hier werden sowohl Fans stylisher PS-Action als auch Ästheten glücklich. Mit seinem rasanten B-Movie beschwört Regisseur Soi Cheang den Geist von Nicolas Winding Refns Meisterwerk herauf. Dies tut er mit einer solchen inszenatorischen Fingerfertigkeit und Hingabe ans Genre-Kino, dass „Motorway" auf ganzer Linie überzeugt.
Cheung (Shawn Yue) fährt den heißesten Reifen, den die Polizei von Hongkong auf Lager hat. Weder Bankräuber noch Teilnehmer illegaler Autorennen sind vor seinen Fahrkünsten gefeit – wer ihn an den Fersen hat, kann genauso gut gleich in die Eisen steigen. Als sich jedoch nach Jahrzehnten des vorzeitigen Ruhestands der legendäre Fluchtwagenfahrer Jiang (Xiaodong Guo) wieder hinterm Steuer blicken lässt, kommt es auf den nächtlichen Straßen der ehemaligen Kronkolonie zum höllischen Pistenfinale zwischen den ebenbürtigen Fahrern...
Überdeutliche „Drive"-Referenzen, minimalistische Story und papierdünne Figurenzeichnung – das klingt nicht unbedingt verheißungsvoll. Hier kommt der mit selbstbewusster Poser-Attitüde ausgelebte Stilwillen vor inhaltlicher Substanz – und das ist auch gut so. Regisseur Cheang hat sich schon mit seinen vorigen Filmen (etwa mit dem rabenschwarzen Actioner „Dog Bite Dog", der Manga-Verfilmung „Shamo" und dem verschnörkelten Thriller „Accident") als begnadeter Stilist empfohlen, dem mit schöner Regelmäßigkeit Szenen für die Ewigkeit gelingen. Ins Schleudern kommt er immer dann, wenn es um die erzählerisch stimmige Aufbereitung einer Geschichte geht, viele seiner Filme weisen ähnliche Schwächen auf, etwa holprige Erzählrhythmen und enttäuschend fade Auflösungen.
Mit „Motorway" besinnt sich Soi Cheang ganz auf seine Stärken und tobt sich beim kreativen Inszenieren schlichter, bereits oft erprobter Genre-Allgemeinplätze aus. Zwei Fahrer in spannenden Pistenduellen und Verfolgungsjagden, bei denen es selbst Steve McQueen als „Bullitt" zu bunt geworden wäre – das ist hier die Prämisse, mehr braucht der Film nicht. Cheang konzentriert sich auf das Wesentliche. Und das sind beispielsweise die grellen Lichter des nächtlichen Hongkong, gespiegelt in den Frontscheiben der Sportwagen, die mit atemberaubender Geschwindigkeit über die Stadtautobahn und durch enge Häuserschluchten rasen, bis der Asphalt qualmt.
Kommuniziert wird hier über das Knurren der Motoren und das Quietschen der Reifen, das von einem hypnotisch-pumpenden Soundtrack von Xavier Jamaux und dem französischen DJ Alex Gopher getragen wird. Die Kamera umkreist das Treiben wie ein Raubvogel aus luftiger Höhe, dann klebt sie wieder an Gesichtern und Autos, die unverhohlen als Fetisch-Objekte ausgestellt werden und bald mit ihren Fahrern zu verschmelzen scheinen. Nur gelegentlich wird die irre Hatz von ein paar groben Handlungsfetzen oder unbeholfenen Humor-Zwischenspielen unterbrochen, über weite Strecken hilft hier jedoch bloß eins: Anschnallen und festhalten!
Fazit: Originell ist „Motorway" nicht eine Sekunde lang. In diesem Fall macht das aber rein gar nichts – so höllisch unterhaltsam ist Soi Cheangs schneller, stilsicherer und atmosphärisch dichter PS-Thriller.