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    Ein Sommersandtraum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ein Sommersandtraum
    Von Christian Horn

    Ähnlich wie Wasser ist Sand mit der Hand kaum greifbar. Aus kleinen Ritzen fließen und rieseln die flüchtigen Elemente beharrlich heraus; als Metapher stehen sie daher beispielsweise für das nicht Greifbare, das Unergründliche oder ganz allgemein für etwas, das verrinnt oder zerfließt. In Peter Luisis märchenhafter Komödie „Ein Sommersandtraum", deren Schweizer Originaltitel „Der Sandmann" weit weniger verkitscht daherkommt, rieselt der Sand aus dem Protagonisten Benno heraus. Der seltsame Zustand deutet sich zunächst nur an, bis er schließlich nicht mehr zu übersehen ist: Wo Benno steht und geht, liegt über kurz oder lang ein Haufen Sand. Mit einfachen Mitteln und ohne große Tricks erzählt Peter Luisi diese erfrischend eigenartige Geschichte, die im Grunde eine Liebesgeschichte ist und völlig nachvollziehbar den Publikumspreis beim Max Ophüls Festival erhielt.

    Mit Sandra (Irene Brügger), einer Bedienung aus dem Café unter seiner Wohnung, liegt Benno (Fabian Krüger) im Dauerstreit. Nach Ladenschluss probt Sandra nämlich regelmäßig und lautstark den ersten Auftritt ihres Einfrauorchesters. Benno belehrt Sandra cholerisch schreiend, sie könne überhaupt nicht singen, sei sowieso hässlich und solle ihm gefälligst die Ruhe lassen, um morgens – bei sichtlich angespannter Stimmung – seinen Kaffee zu trinken. Derweil beginnt Benno, Sand zu verlieren. Es fängt mit einzelnen Körnern an, die des Morgens auf dem Kopfkissen liegen und weitet sich schnell zum alltäglichen Problem aus, wenn etwa aus den Hosenbeinen Bennos zwei ordentliche Häufchen Sand rieseln – und das ausgerechnet bei seiner Arbeitsstelle in einem Antiquariat, dessen Chef mehr als empfindlich auf Schmutz reagiert. Bald wird klar, dass Bennos Sandproblem in Verbindung mit der ungeliebten Sandra steht...

    Von Anfang an nimmt diese Geschichte gefangen, was wesentlich an den beiden Hauptdarstellern Fabian Krüger und Irene Brügger liegt, die bislang vor allem auf der Theaterbühne einen Namen haben. Beide stemmen ihre erste Kinohauptrolle mit Bravour und agieren ohne Abstriche hervorragend. Wenn Krüger seinen Benno im Angesicht des Sandproblems zerknirscht dreingucken oder wenn Irene Brügger ihre Sandra ob der Beleidigungen ihres Nachbarn innerlich kochen lässt, entstehen darstellerische Momente erster Güte. Ob den beiden wie vom Pressevertreter des Verleihs prophezeit eine Karriere im deutschsprachigen Kino beschieden ist, bleibt abzuwarten – zu wünschen wäre es ihnen wohl! Doch nicht nur die Darsteller machen „Ein Sommersandtraum" zu einem gelungenen Film.

    Regisseur Peter Luisi, vom dem auch das Drehbuch stammt, erweist sich über die volle Laufzeit als ausgezeichneter Geschichtenerzähler. Seine mitunter kafkaeske Erzählung kommt nie ins Stocken und bleibt immer im Rhythmus. Mit nur wenigen Handlungsorten – Bennos Wohnung, das Kaffeehaus, das Antiquariat und bisweilen die Straße – lenkt Luisi den Fokus auf die Beziehung der beiden Hauptfiguren und die Rolle des sandigen Problems darin, kurzum: auf das Wesentliche. Inszenatorisch setzt Luisi behutsam Akzente. So arbeitet die Kamera wiederholt mit Unschärfen, um einerseits das Zerrinnen und Zerfließen zu verbildlichen, und andererseits die Traumthematik des Films zu reflektieren: Wer mit Bennos Sand in Berührung kommt, fällt nämlich augenblicklich in einen Tiefschlaf – man denke an E.T.A. Hoffmanns Novelle „Der Sandmann". Zudem stellt sich heraus, dass Sandra und Benno Nacht für Nacht die gleichen Träume durchleben.

    Dass auch der rieselnde Sand ohne Tricktechnik auskommt, versteht sich von selbst. Es ist nichts anderes als echter Sand, der Fabian Krüger in die Kleidung gesteckt wurde und der vor der Kamera von ebendort herausrieselt – eine schöne Idee, charmant umgesetzt. Ein Psychologe, den Benno wegen seines kuriosen Problems aufsucht, bezeichnet den Zustand seines Patienten als eine „eine schöne Metapher" und trifft damit eine entscheidende Meta-Aussage über die unterhaltsame Komödie. Bedauerlich ist allenfalls, dass die anfangs kaum geklärte Lebenslage Bennos eine stückweise Aufklärung erfährt, ohne dass die Geschichte davon profitiert. Da Peter Luisi aber dennoch einen eleganten Schlussbogen zieht, mit einnehmenden Darstellern und einer stilsicheren Erzählweise punktet, ist „Ein Sommersandtraum" nicht weniger als ein absolut sehenswertes Kleinod.

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