Mit „Abgebrannt" nimmt sich Verena S. Freytag, die als Sülbiye Verena Günar in Stuttgart geboren wurde, zum wiederholten Male eines Themas an, das nicht gerade eingängige Kino-Unterhaltung verspricht – der Existenzkrise junger Deutsch-Türken. Dafür heimst sie, wie schon mit ihrem Vorgänger „Saniyes Lust", Preise auf Festivals ein: bei Achtung Berlin den „New Berlin Film Award", beim Max-Ophüls-Festival den SR/ZDF-Drehbuchpreis und beim trinationalen Neißefilmfestival den Preis als Bester Spielfilm. Belohnt wird damit die Mühe, die sich Drehbuchautorin und Regisseurin Freytag macht, ihre Geschichte authentisch zu erzählen und die Befindlichkeiten ihrer Figuren in kleinen, beiläufig scheinenden Gesten sichtbar zu machen.
Das Leben der jungen Deutsch-Türkin Pelin (Maryam Zaree) brennt. Mit ihren drei Kindern von verschiedenen Vätern lebt sie in einer kleinen Wohnung in Berlin-Wedding und versucht, den Lebensunterhalt als Tätowiererin zu verdienen. Doch die ständige Hetze zwischen Kindergarten, Schule, Job und Sozialamt zermürben sie. Ihr Freund Edin (Lukas Steltner) hält sich als Stütze vornehm zurück und träumt stattdessen davon, als Drogendealer das große Geld zu machen, um die Patchwork-Familie aus der Misere zu holen. Als Pelin völlig abgebrannt ist, verheißt eine Mutter-Kind-Kur die Möglichkeit eines Neubeginns. Doch so leicht kann die junge Frau nicht raus aus ihrer tätowierten Haut...
Erfrischend unaufdringlich und ohne Pathos bringt Freytag die emotionale und soziale Lage ihrer Figuren auf die Leinwand. Mit dem Vorspann taucht sie ein in eine romantische Märchenwelt, wo gezeichnete Figuren zum Leben erwachen und sich in Dornröschen-Motiven wiederfinden. Unsanft landet Protagonistin Pelin daraufhin in der Realität: hastiges Frühstück zwischen Wäschestapeln und Bügeleisen, eiliges Abliefern der Kinder in Kindergarten und Schule, Anstehen und Belehrungen beim Sozialamt, arbeiten im Tätowierstudio. Die gesuchte Romantik beim nächtlichen Besuch ihres Freundes Edin erschöpft sich weitgehend im Sex. Als ihr Sohn Elvis ein paar von Edins bunten Pillen schluckt und ins Krankenhaus eingeliefert wird, bricht das nur noch mit äußerster Kraftanstrengung aufrecht erhaltene Kartenhaus in sich zusammen. Stapel ungeöffneter Rechnungen zeugen still und unerbittlich von der Realitätsverweigerung der überforderten Pelin, während ihr Freund Edin sich hinter dem Gebüsch und damit vor jeglicher Verantwortung versteckt.
Glücklicherweise kann Pelin sich auf eine Sozialarbeiterin stützen, die trotz der offen zur Schau getragenen Unangepasstheit Verständnis aufbringt. Eine Mutter-Kind-Kur an der Ostsee soll frischen Wind in die verfahrene Lage bringen. Doch die eigenwillige Pelin passt nicht in die schematisierten Hilfsangebote – und sie will es auch nicht. Maryam Zaree zeigt mit ihrem nuancierten Spiel die mal leise, mal laute Auflehnung gegen diese Domestizierung als immer wieder neuen Balanceakt zwischen dem Wunsch, sein Leben nach der eigenen Façon zu gestalten, und der Suche nach Anerkennung. Wie in einem Brennglas konzentriert sich dieser Konflikt in ihrem Verhältnis zu Zimmernachbarin Christa (Tilla Kratochwil). Die überangepasste Spießerin provoziert Pelin mit jedem hilflosen Versuch der Annäherung mehr. Die wenigen Momente von Vertrautheit zwischen den beiden an einer unwirtlichen Steilküste des Lebens gestrandeten Frauen können nicht darüber hinweg täuschen, dass beide aus völlig verschiedenen Welten kommen und nicht in der Lage sind, sich gegenseitig zu helfen.
Freytag gelingt es, für alle Perspektiven Verständnis zu wecken, ohne dabei die Fehltritte ihrer Figuren zu entschuldigen. Wenn Pelin zum Termin vor der Familienrichterin mit dem Halstuch ihrer Sozialarbeiterin artig ihre vielen Tattoos versteckt und mehr fleht als überzeugt, eine gute Mutter zu sein, scheint darin die Verzweiflung auf, mit der sie nach Hilfe sucht. Mit ihrer ungeplanten, inzwischen vierten Schwangerschaft und ihrem Aufbegehren gegen jede Regel in der Kur wiederum erweist sie sich als unverbesserlicher Dickkopf, dem man hinterherrufen möchte: selbst schuld! Ein moralisches Urteil wird hier nicht gefällt. Schade nur, dass sich Freytag nicht so recht für einen Plot entscheiden kann und der Film dramaturgisch in zwei Teile zerfällt: Pelins Alltag auf der einen, ihre Kur auf der anderen Seite. Dennoch ist „Abgebrannt" ein eindringlicher und thematisch glasklar geschriebener Film, der mit starken Bildern und Schauspielern überzeugt.