Viele glauben, mit Würzfleisch, Ragout Fin und Spreewaldgurken habe sich die Speisekarte der DDR erschöpft. Doch weit gefehlt! In seinem Film „Sushi in Suhl" zeigt Carsten Fiebeler, dass es auch im sozialistischen Ostdeutschland weitaus exoterische kulinarische Höhepunkte gab. Die Geschichte vom Überraschungserfolg einer japanischen Gaststätte in Suhl ist dabei nicht etwa der Feder eines besonders kreativen Geistes entsprungen, sondern basiert auf der Lebensgeschichte des örtlichen Kochs Rolf Anschütz. In einem Staat, in dem weder Selbstverwirklichung noch Exotik hoch im Kurs standen, leitete er mitten in der thüringischen Provinz eines der weltweit ersten und bekanntesten japanischen Restaurants. Allerdings ist nicht alles an der bittersüßen Komödie „Sushi in Suhl" so originell wie diese wahre Geschichte.
Thüringen in den 1960er Jahren: Rolf Anschütz (Uwe Steimle) führt mit seiner Frau Ingrid (Julia Richter) den bodenständigen Gasthof „Waffenschmied" in Suhl. Die strengen Vorgaben der Handelsorganisation (HO) lassen ihm wenig kreativen Spielraum in seiner Küche. Doch Rolf gibt sich nicht mit Hausmannskost zufrieden. Für seine Freunde inszeniert er aus purer Freude an der Sache einen japanischen Abend, bei dem er nicht nur Essen serviert, sondern mit viel Improvisationstalent auch ein entsprechendes Ambiente erschafft. Als die Lokalpresse über dieses Ereignis berichtet, ist Rolfs Gasthof plötzlich in aller Munde. Sogar japanische Gäste wollen in den Genuss seiner Kochkunst kommen. Schnell wird der HO klar, dass der im Grunde unpolitische Koch eine Schlüsselrolle für die Beziehung zum kapitalistischen Japan spielen könnte. Doch je mehr Erfolg Rolf mit der Fernostabteilung des Gasthofs hat, desto mehr verliert er die Bodenhaftung - und Schritt für Schritt auch seine Identität.
Die Geschichte von „Sushi in Suhl" ist in der Tat schwer zu glauben. Nicht nur, dass hier die Küche des kapitalistischen Japan ihren umjubelten Einzug in die ostdeutsche Provinz feiert, auch die individuelle Erfolgsgeschichte von Rolf Anschütz passt nicht ins sozialistische Konzept der DDR, denn „Eigeninitiative ist der natürliche Feind der Volkswirtschaft" – so formuliert es ein HO-Beamter im Film. Und so sorgt das Aufeinandertreffen zwischen Planwirtschaft und Unternehmertum immer wieder für Komplikationen, die Regisseur Carsten Fiebeler („Kleinruppin Forever") mit sensiblem Humor darstellt. Er zeigt die unterhaltsamen und absurden Seiten des Systems, ohne sich über die „Ossis" lustig zu machen, aber auch ohne verklärende „Ostalgie". Letztlich ist „Sushi in Suhl" ebenso unpolitisch wie sein Protagonist Rolf Anschütz.
Im Grunde ist „Sushi in Suhl" eine klassische Erfolgsgeschichte: Der Protagonist erlangt unverhofft große Berühmtheit, badet eine Zeit in Aufmerksamkeit, verliert die Bodenhaftung und gerät in eine Krise. Im Unterschied zur klassischen „kapitalistischen" Variante geht es der Hauptfigur hier weniger um finanziellen Zugewinn, als um eine in ihrem Kulturkreis unübliche Selbstverwirklichung. Mit seiner Begeisterung für die japanische Küche und Kultur entfremdet sich Rolf Anschütz allerdings nicht nur von seiner Familie, sondern auch von seiner Heimat und stellt viel zu spät fest, dass sein Herz trotz allem nur Thüringen gehört. So ist „Sushi in Suhl" letzten Endes vor allem auch ein Film über die Suche nach der eigenen Identität – im Kern steht damit eine oft erzählte Geschichte, die trotz der ungewöhnlichen Prämisse nicht gerade originell variiert wirkt.
Fiebeler inszeniert seinen Film als modernes Märchen, erzählt von Rolfs Sohn Robert (Leander Wilhelm), dessen Voice-Over-Kommentar die Handlung begleitet. Dazu passt auch die Farbdramaturgie, die weniger dem tristen DDR-Alltag entspricht, sondern dem Gezeigten einen zauberhaften Touch verleiht. Weil so aber plötzlich alles „magisch" ist, bleibt der Kontrast zwischen der Japan-Inszenierung im Restaurant und der DDR-Normalität drumherum auf der Strecke. Deshalb findet Fiebeler am Ende auch nicht immer die ideale Balance zwischen Märchen und Realismus, zwischen Komödie und ernsteren Tönen. So bleibt das Beste an „Sushi in Suhl" dann doch der Teil, den das wahre Leben geschrieben hat.
Fazit: Regisseur Carsten Fiebeler erzählt mit „Sushi in Suhl" auf weitgehend unterhaltsame Art eine märchenhafte, aber wahre Geschichte aus der DDR.