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    Bombay Beach
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bombay Beach
    Von Christian Horn

    Der Anspruch, dass ein Dokumentarfilm die Realität möglichst ungefiltert abbilden soll, gilt den meisten heute als längst überholt. Filme wie der computeranimierte „Waltz with Bashir" oder die Skater-in-der-DDR-Doku „This Ain't California" zeigen, wie offensiv viele Regisseure inzwischen ihre weitreichenden inszenatorischen Möglichkeiten nutzen: Für sie ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch im Dokumentarfilm (subjektive) Bilder der Wirklichkeit konstruiert werden. Die israelische Filmemacherin Alma Har'el fügt dieser Reihe mit ihrem sehenswerten Kinodebüt „Bombay Beach" ein weiteres Werk hinzu. Ihre in weiten Teilen klassisch inszenierte Sozialstudie über ein verlassenes Nest in der kalifornischen Colorado-Wüste reichert die vormalige Musikvideo-Regisseurin mit surrealen Einschüben an, in denen die Protagonisten choreographierte Tanzeinlagen absolvieren: Zusammen ergibt dies einen ungewöhnlicher Dokumentarfilm voll magischem Realismus.

    In einem Werbespot aus den 1950er Jahren, der Alma Har'els Film einleitet, sind die besseren Tage der Siedlung Bombay Beach zu sehen: Am Ufer des Saltonsees, der im Jahr 1905 durch einen Dammbruch mitten in der kalifornischen Wüste entstand, erlebte Bombay Beach eine Blütezeit als Urlaubsparadies. Ferienwohnungen, Fischstände und ein reges Touristentreiben dominierten das Bild der südlich von Palm Springs gelegenen Siedlung. Heute ist Bombay Beach ein verlassener Ort, an dem nur noch etwa hundert Menschen in maroden Häusern und verrosteten Wohnwagen leben. Der stark in die Höhe geschossene Salzgehalt des Sees und mehrere Überschwemmungen sorgten für einen rapiden Niedergang des Wüstenortes. Hier findet die Regisseurin Alma Har'el drei interessante Protagonisten und gemeinsam erzählen sie davon, wie den erschwerten Lebensbedingungen am Rand der Gesellschaft mit einem starken Zusammenhalt und besonderer menschlicher Wärme begegnet wird.

    Der frühere Ölarbeiter Red kauft im Indianerreservat steuerfreie Zigaretten, die er anschließend mit Gewinn veräußert. Als der Rentner einen Schlaganfall erleidet und ins Krankenhaus muss, vermisst er die Gemeinschaft am Ufer des Saltonsees. Bei seiner Rückkehr dorthin ist er sichtlich erleichtert. Als zweiten Protagonisten präsentiert uns Alma Har'el den sechsjährigen Jungen Benny Parish, der wegen einer bipolaren Störung zig Medikamente einnehmen muss. „Ich war für 100 Jahre im Gefängnis", behauptet Benny einmal – dabei waren es seine Eltern, die wegen Waffen- und Sprengstoffbesitz vorübergehend hinter Gittern mussten. Der Dritte im Bunde ist der schwarze Jugendliche CeeJay Thompson: Nachdem sein Cousin bei einem Bandenkrieg in Los Angeles erschossen wurde, zog CeeJay zu seinem Vater an den Saltonsee. Fern vom Umfeld der städtischen Jugendbanden schaffte es CeeJay aufs College und träumt von einer Karriere als Footballspieler.

    Das auffälligste und ausgefallenste Stilmittel in „Bombay Beach" sind die inszenierten Tanzszenen zu Musik der Band „Beirut" und Stücken von Bob Dylan. Alma Har'el lässt die dokumentarischen Porträts ihrer Protagonisten übergangslos in musicalartige Szenen übergleiten, in denen die letzten Saltonsee-Anwohner eine Choreographie aufführen. Diese Einschübe rücken „Bombay Beach" zwar in die Nähe des Surrealen, verstellen aber keineswegs den Blick auf die Lebensbedingungen der Menschen am See. Dafür sorgen die vielsagenden Bilder von Alma Har'el, denen sie vereinzelt noch Archivmaterial wie etwa Ausschnitte aus Lokalnachrichten hinzufügt. Im Zusammenspiel der unterschiedlichen Stilmittel entsteht ein starkes, stimmungsvolles und aussagekräftiges Porträt der Gegend um den Saltonsee und der letzten Menschen dort, denen die Regisseurin auf eine ganz eigene Weise besonders nahekommt.

    Fazit: „Bombay Beach" ist eine eigenartige Mischung aus Dokumentarfilm und Musical, in der Menschen am buchstäblichen Rand der Gesellschaft porträtiert werden: ein ungewöhnliches Konzept, das ästhetisch wie inhaltlich voll aufgeht.

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