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    Die Jungs vom Bahnhof Zoo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Jungs vom Bahnhof Zoo
    Von Christian Horn

    „Die Auswahl war unerschöpflich. Vor meinem Hotel eine Reihe der schönsten Knaben in der Stadt, ich konnte sie mir aussuchen", schreibt Rosa Von Praunheim („Rosas Höllenfahrt") in seiner Autobiografie „50 Jahre pervers" (1993). Die Knaben, die er meint, sind marokkanische Jungen, die ihre Körper für wenig Geld verkaufen. Rosa von Praunheim war schon immer ein streitbarer und sehr beharrlicher Unruhestifter der deutschen Filmszene, zum Beispiel, wenn er Hape Kerkeling ohne dessen Wissen in einer RTL-Talkshow outet. Frühe Kultstreifen wie „Die Bettwurst" oder „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" stehen neben unreflektierten Aussagen wie der über die Straßenjungen aus Marokko. In seinem Dokumentarfilm „Die Jungs vom Bahnhof Zoo", der auf der 61. Berlinale im Panorama gezeigt wird, schlägt Praunheim jedoch einen gänzlich anderen Tonfall an. Auf eine sehr menschliche Weise, die nie anbiedernd oder sentimental ist, porträtiert er fünf ehemalige Strichjungen und lässt sie von ihren Erlebnissen in der Gegend um den berüchtigten Bahnhof Zoo erzählen.

    Unter den fünf Strichern befinden sich drei Roma. Nazif, ein bosnischer Kriegsflüchtling, kam als Kind nach Berlin, wo er im Jugendalter mit dem Anschaffen begann. Ionel verließ hingegen sein rumänisches Heimatdorf, weil er wusste, dass junge Männer mit knackigen Hintern am Bahnhof Zoo gutes Geld verdienen können. Das weiß auch Romica, der seine Familie mit Prostitution ernährt, während eine Gruppe pädophiler Männer den deutschen Daniel-René bereits als Minderjährigen auf den Strich schickte. Ein anderer Daniel ist schließlich der eigentliche Protagonist: Vor der Mutter in eine merkwürdige Pflegefamilie geflüchtet und wenig später im Heim untergebracht, geriet er auf die schiefe Bahn und strandete am Bahnhof Zoo – mittlerweile ein anderes Leben führend, zeigt er Praunheim die Orte seiner Jugend und spricht offen über die Szene...

    In zahlreichen HD-Großaufnahmen und Interviewsituationen kommt Rosa von Praunheim seinen Protagonisten näher. Formal ist das zwar wenig aufsehenerregend, die klaren Aussagen der Stricher bleiben aber durchweg interessant. Fernab von Klischees lässt „Die Jungs vom Bahnhof Zoo" verschiedene Perspektiven zu, ohne eine einseitige Didaktik oder eine moralische Wertung zu verfolgen. Das Schicksal der Stricher schreibt ihnen nicht automatisch eine Opferrolle zu – alle Interviewten berichten von unschönen, aber auch von lohnenden Erfahrungen in ihrer Zeit auf dem Strich, wobei das Hauptmotiv durchweg das „schnell verdiente Geld" ist. Warum das so ist, macht auch ein Blick auf die ärmlichen Lebensumstände der Roma deutlich, die einen Großteil der Jungs am Bahnhof Zoo stellen. Begleitet von der Kamera reist Ionel zurück in sein rumänisches Heimatdorf, in dem jeder weiß, womit die Kinder in Berlin ihr Geld verdienen, auch wenn niemand offen darüber spricht.

    Der wertfreie und unverfälschte Blick in die Berliner Stricher-Szene, in einschlägige Bars und Pornokinos, an den Straßenrand, auf psychische Probleme, Drogen und Aids macht „Die Jungs vom Bahnhof Zoo" trotz seiner konventionellen Machart sehenswert. Die Perspektive der oft älteren Freier spart Rosa von Praunheim dabei nicht aus – auf solch naive Aussagen wie jene über die marokkanischen Strichjungen am Anfang dieser Kritik verzichtet er diesmal aber zum Glück.

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