Wenn der Londoner New Musical Express mal wieder meint, „die Zukunft des Rock'n'Roll" aufgetan zu haben, geraten Musikliebhaber deswegen noch lange nicht automatisch in Wallung. Selbst die Gemeinde derjenigen, die den NME zu ihrem Zentralorgan erkoren hat, quittiert derartige Floskeln oft nur noch mit einem milde-spöttischen Lächeln. Wenn dann jedoch auf einmal drei eher bieder daherkommende Jungs aus der norddeutschen Tiefebene als „das nächste große Ding" gehypt werden, spitzen sogar abgeklärte Pop-Nerds die Ohren. So geschehen bei Anton Spielmann, Basti Muxfeldt und Jonas Hinnerkort, die zusammen 1000 Robota bilden. Naiv, laut und arrogant versetzte die Kapelle 2008 mit ihrer Debüt-EP „Hamburg brennt" die bundesweite Musikjournaille in Verzückung. Für ihre Dokumentation „Utopia Ltd." begleitete Regisseurin Sandra Trostel die Band über zwei Jahre durch Höhen und Täler des deutschen Rock-Business.
Es sollte ein weihevoller Moment sein: Als Gitarrist und Sänger Anton Spielmann den Plattenvertrag für 1000 Robota unterschreibt – er ist zu diesem Zeitpunkt das einzige bereits volljährige Bandmitglied –, wähnt er sich am Ziel jeder sehnsüchtig aufstrebenden Musiker-Kapelle. Doch dieser einschneidende Moment wird wie alles in Trostels „Utopia Ltd." mit kühler Distanz betrachtet. Ein sachlicher Vorgang. Und doch sichtbarstes Zeichen für das thematische Feingefühl der hauptberuflichen Schnittmeisterin. Einer Band einen Film zu widmen, ehe sie es „geschafft" hat, ist durchaus ungewöhnlich. Thematisch eingefasst zwischen der Kontrakt-Unterzeichnung in den Räumen des Indie-Labels Tapete Records und der Entscheidung der Band, doch nicht bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest anzutreten, liefert „Utopia Ltd." einen lebensnahen Bericht über den Gegensatz von Kunst und Geschäft.
Die Szene, in der sich 1000 Robota bewegen, ohne sich ihr dabei unbedingt zugehörig zu fühlen, ist schwer zu fassen. Musikalisch verortet ist sie an der Schnittstelle zwischen Punk, Indie und New Wave, persönlich auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Ihren hervorgehobenen Status in der deutschen Musikwelt haben die drei Hamburger aber vor allem dank kontroverser Auftritte inne. Zu großkotzig sei besonders Frontmann Spielmann, zu naiv das Verhältnis gegenüber dem eigenen Schaffen. Rechthaberisch, altklug – und dann wieder sprunghaft und widersprüchlich – gibt sich Band-Sprachrohr Spielmann nicht nur in Interviews, sondern auch seinem kumpeligen Plattenboss und Arbeitgeber gegenüber.
Und doch erahnt man in den Ausführungen des jungen Mannes den revolutionären Impetus früherer Generationen, den Funken einer Vision, einen Traum, der 2011 jedoch weitgehend ausgeträumt zu sein scheint. So bewegt sich die Band im Spannungsfeld zwischen eigenem artistischen Anspruch, Punk-Attitüde und schnödem Geschäft. Ob es blauäugig vonseiten der Gruppe war, sich während der viel zitierten „künstlerischen Differenzen" mit dem Plattenlabel aufzeichnen zu lassen, oder inwiefern die laufende Filmproduktion Teil zur Selbstinszenierung der Band geworden ist – das sind retrospektive Fragen, die Regisseurin Sandra Trostel nicht insbesondere beschäftigen.
Immerhin zeichnet sie den Weg einer erfolgreichen Band nicht nach – sie ist dabei, wie 1000 Robota ihn beschreitet, samt allen Fehlern und Irrtümern der Youngster. Trostels Zeitdokument kommt den Protagonisten dabei bemerkenswert nah. Selbst diejenigen, denen Spielmanns Großmannssucht auf den Keks geht, dürften aus dieser Doku mehr mitnehmen als ein bestätigtes Vorurteil. Bei „Utopia Ltd." hat Trostel ganz auf ihre Intuition vertraut – und auf das richtige Pferd gesetzt. Für ihre ohne fertige Finanzierung begonnene und damit von Vermarktungsdruck weitgehend freie Arbeit muss man die Regisseurin anerkennen. Sandra Trostels „Utopia Ltd." ist intim, unmittelbar und entwaffnend ehrlich, kurz: eine tolle Dokumentation, ein großer „kleiner Film".