Es gibt Filme, die von der Geschichte eingeholt werden und in den Trümmern des Zeitgeistes verloren gehen. Oft ist das nicht unbedingt bedauerlich, manchmal täte eine Wiederentdeckung allerdings dringend Not. Zur letzten Sorte gehört ganz gewiss Peter Kahanes „Die Architekten", ein Drama aus den letzten Tagen der DDR, das im Oktober 1989 grünes Licht bekam, zu einer Zeit, als sich das Ende des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates deutlich abzeichnete. Als der Film im Mai 1990 schließlich in den Kinos startete, interessierte sich kaum mehr jemand für den Alltag in einem Staat, den es wenige Monate später nicht mehr geben sollte - Kahanes Film floppte und geriet in Vergessenheit, obwohl die Geschichte eines Ost-Architekten, der an seinem Job, der resignativen Mentalität seiner Mitmenschen und nicht zuletzt auch am System verzweifelt, ein wunderbares sozialrealistisches (und unerwartet bissiges) Stück Zeitgeschichte ist: Jeder, der sich für deutsch-deutsche Filmhistorie interessiert, sollte einen Blick auf Kahanes DDR-Spätwerk werfen. In Elke Haucks Drama „Der Preis" hat „Die Architekten" im vergangenen Jahr einen „Geschwister-Film" bekommen, der weder Fortsetzung noch Remake ist und doch einen überdeutlichen Bezug auf den vergessenen Klassiker nimmt. Erneut dreht sich alles um die Umsetzung eines Bauvorhabens und die Geschichte eines untergegangenen Systems, das nun aus zwanzigjähriger Distanz betrachtet wird. „Der Preis" ist dabei zu einem etwas sperrigen, aber im besten Wortsinne hochinteressanten Film geworden.
Nach Jahren kehrt der Berliner Architekt Alexander (Florian Panzner) in seine thüringische Heimat zurück, der er seit der Wendezeit den Rücken gekehrt hat. Auch die Kontakte und Bekannten von einst sind längst ad acta gelegt und er ist nicht gerade begeistert von der Rückkehr an den Ort der Jugend. Vor kurzem hat Alexander einen Architekturpreis gewonnen und nun soll er ein altes Plattenbau-Ghetto abreißen und in ein neues Stück blühenden Lebens- und Wohnraum verwandeln. Seine Arbeit steht jedoch unter keinem guten Stern. Nicht nur, dass er den Bauunternehmern vor Ort misstraut und sie insgeheim als alte Stasi-Bonzen verachtet – auch das Wiedersehen mit Bekanntschaften von einst erinnert ihn an seine Jugend, die er lieber vergessen hätte. Damals pflegte Alexander (in Rückblenden: Sven Gielnik) eine Freundschaft zu Michael (Vincent Krüger) und dessen Schwester Nicole (Vanessa Krüger), in die er schwer verliebt war. Während Alexander ein leisetretender Konformist war, der gegenüber dem System gerne den Kopf eingezogen hat, befand sich der aufmüpfige Michael stets auf Konfrontationskurs mit dem Staat. Als die Freunde sich überwarfen, verbrüderte Alexander sich mit missgünstigen Lehrern, verhinderte Michaels ersehnte Aufnahme an einer Sportschule und beschwor eine Katastrophe herauf. Die Schuld verfolgt ihn seither unentwegt und übermannt ihn bei seiner Rückkehr vollkommen...
Lebenslügen, die wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen und marode Plattenbauten aus vergangener Zeit, die dem architektonischen Fortschritt weichen sollen, jedoch immer noch von den Wendeverlierern bewohnt werden – man muss schon anmerken, dass die Symbolik, derer sich Elke Hauck (zusammen mit der Co-Autorin Peggy Lehmann) hier bedient, nicht unbedingt subtil ist. Das ist hier aber keineswegs ein Nachteil. „Der Preis" - der Titel bezieht sich nicht nur auf die Architekturauszeichnung, die Alexander vor Beginn des Films erhalten hat, sondern bezeichnet natürlich auch den Preis, den er für seine einstigen Verfehlungen zu zahlen hat – ist ein symbolisch zugespitztes moralisch-historisches Thesenspiel. Hauck greift dabei sowohl auf grobe Versinnbildlichung, wie auch auf eine explizite Theatralik zurück, die sich insbesondere durch die Dialoge zieht. Wenn sich Schauspieler wie Schachfiguren voreinander aufbauen und mit unbewegten Mienen Gespräche führen, bei denen man gleichsam die Drehbuchseiten rascheln hört, liegt die Rede von der vielbeschworenen „hölzernen" Inszenierung fast schon in der Luft. Aber trotz dieser gewollt künstlichen Atmosphäre, bleibt „Der Preis" immer auch dem Realismus seines Handlungsentwurfs verpflichtet.
Und so funktioniert der Film in großen Teilen erstaunlich gut und besticht durch Einfachheit. So deutlich wie der Subtext sich bei der Betrachtung sofort erschließt, so klar ist auch das visuelle Konzept, mit dem Hauck zu Werke geht. Jede Szene ist aufgeräumt bis zur Kargheit und auch das entrückt emotionslose Spiel der Darsteller ergibt Sinn, passt es doch zum Schauplatz des Geschehens: Die kleine ostdeutsche Gemeinde ist hier nämlich ein toter Ort voller Gespenster, die weder in die DDR des Jahres 1989 noch ins geeinte Gegenwartsdeutschland zu passen scheinen. Auch Alexander selbst ist ein unglücklich umherwandernder Geist, der endlich Buße für eine nie gesühnte Schuld leisten möchte und zugleich weiß, dass diese viel zu spät käme und inzwischen sinnlos ist. Zu einem solchen Konflikt passt die blutarme Stimmung in den Gegenwartsszenen sehr gut. In den Flashbacks wirkt sie dagegen meist fehl am Platze und bekommt dann plötzlich etwas unangenehm Didaktisches.
Bei den Rückblenden in die Achtziger, in eine Zeit zwischen Ost-Punk und heimlich geschautem Westfernsehen, macht es sich Regisseurin Hauck ein wenig einfach. Der Arbeiter- und Bauernstaat erscheint als rein museales Zitat, als eine karge Kulisse mit den üblichen Requisiten – kurz: ein künstlicher Ort ohne fühlbare Präsenz. Selbst die Kostüme der Darsteller haben etwas von einer wenig überzeugenden und schon gar nicht lebendigen Ossi-Verkleidung. Dieser Erzählstrang und speziell seine Inszenierung bleibt trotz einer charmanten Auswahl kultiger Ostrock-Hits weniger überzeugend. So sehr die Unterkühlung der Erzählung in der Gegenwart der geisterhaften Ortschaft auch passen mag, so deplatziert wirkt sie, wenn es darum geht, tragische und traumatische Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen und eine emotionale Fallhöhe für die Konflikte der Gegenwart herzustellen. Hauck setzt ihr formales Konzept konsequent um, die stilistische Geschlossenheit geht dabei allerdings manchmal auf Kosten der erzählerischen Lebendigkeit.
Fazit: „Der Preis" ist eine formal reduzierte Übung in Tristesse und bietet alles andere als vergnügliches History-Entertainment im „Good Bye, Lenin!"-Stil, aber dafür besticht Elke Haucks unterkühltes DDR-Aufarbeitungs-Drama mit klarer Symbolik und inszenatorischer Konsequenz.