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    Coming Home
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Coming Home
    Von Robert Cherkowski

    Eines der letzten Projekte des Hit-Produzenten Bernd Eichinger war die filmische Aufarbeitung eines erschütternden Skandals: Die Leidensgeschichte der Österreicherin Natascha Kampusch, die 1998 von Wolfgang Priklopil entführt und acht Jahre lang gefangen gehalten wurde, sollte zum großen Reißer nach Eichinger-Maßstäben aufgezogen werden. Das Feuilleton spitzte bereits die Stifte, um die übliche „Darf man das?"-Diskussion vom Zaun zu brechen. Und der Erfolg an den Kassen wäre aufgrund des skandalträchtigen Stoffes wohl sicher gewesen. Diese Pläne wurden 2011 mit Eichinger zu Grabe getragen. Nach Markus Schleinzers „Michael" und besonders Frédéric Videaus „Coming Home" wäre das Projekt ohnehin überflüssig gewesen. Mit diesen beiden Filmen ist nämlich bereits alles über die hilflose Bosheit eines derartigen Täters und das unbeschreibliche Leid seines Opfers gesagt. Schleinzers bissige Satire und Videaus unterkühltes Drama stehen für zwei sehr verschiedene Zugänge zum Thema, eines jedoch haben sie gemein: Beide verzichten auf manipulative Sentimentalität. Videau gaukelt seinem Publikum mit „Coming Home" keineswegs vor, dass eine solche Tragödie als Filmdrama verarbeitet und verstanden werden kann. Die dramaturgische Sperrigkeit ist hier sowohl Stärke als auch Problem. Denn wirklich zu Herzen geht dieses „Drama" tatsächlich kaum.

    Seit mehr als acht Jahren wird Gaëlle (Agathe Bonitzer) vom Fabrikarbeiter Vincent (Reda Kateb) in einem Kellerverlies gefangen gehalten. Nachdem der Mann mit einem Arbeitskollegen gewalttätig aneinander geraten ist, lässt er seine Gefangene scheinbar willkürlich frei - und erhängt sich gleich in der folgenden Nacht. Während es Gaëlle in den Wochen darauf größte Mühe bereitet, wieder den Kontakt zur Welt und insbesondere ihren verstörten Eltern aufzunehmen, wird sie von übermächtigen Erinnerungen an ihre Gefangenschaft heimgesucht. Mit zunehmender Distanz zu ihrem Martyrium beginnt Gaelle, sich ein umfassenderes Bild von ihrer unheilvollen „Beziehung" zu ihrem Peiniger zu machen. Bald erweist sich der soziopathische Mann mehr und mehr als einzige Konstante in ihrem Leben...

    Leicht hätte man Gaelles Rückkehr ins Leben als die übliche Katharsis einer passiven Opferfigur aufziehen können. Es ist Regisseur Videau hoch anzurechnen, dass er diesen plattgetrampelten Pfad gemieden hat und seiner Heldin ein verschlossenes und schmerzhaft abgebrühtes Gesicht zugesteht. Sowohl in als auch nach der Gefangenschaft scheint Gaëlle eine Maske zu tragen, von der sie nicht ablassen will. In Freiheit wird sie dazu ermutigt, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen – was sie jedoch stets vermeidet. So bleibt sie Herrin über ihre Gefühlswelt, so entzieht sie sich gleichermaßen der Erwartungshaltung ihrer Umwelt und der des Kinopublikums. Ihr dabei zwischen Aufarbeitung und Rückblende zuzusehen ist faszinierend. Berührend ist es nicht. „Coming Home" ist ein Film von trister Sachlichkeit und ausgesprochener Kälte, der es dem Publikum nicht leicht macht, sich ins Innenleben seiner Protagonistin einzufühlen. Stattdessen wird ein kompliziertes und durchweg diskret inszeniertes Opfer/Täter-Verhältnis ergründet.

    Und dabei gibt es in der Tat einige unerwartete Einblicke. Vincent ist nämlich keineswegs Triebtäter oder Pädophiler, sondern ein zutiefst vereinsamter Sonderling, dem es vor allem auf Gesellschaft ankommt. Das weiß sich auch die clevere Gaëlle zu Nutzen zu machen. In einer Schlüsselszene herrscht sie ihren Verführer an, endlich mit ihr zu schlafen, da er ja sowieso nichts anderes von ihr wolle. Vincent ist außer sich. Er beteuert, kein Vergewaltiger und Lüstling zu sein. Nur auf der Grundlage erwiderter Liebe würde er das wollen. Das würde nie geschehen, antwortet Gaëlle. In diesem Moment scheint Vincent der einsamste Mensch der Welt zu sein. Schon Rainer Werner Fassbinder meinte, Liebe sei kälter als der Tod – hier findet diese These ihre Entsprechung. Erst mit heraufdämmerndem Verständnis und vorerst unbewusster Vergebung wird eine Katharsis für Gaëlle möglich.

    Ein solches Ende wird sicherlich auf so manches Kopfschütteln und das Unverständnis jener stoßen, die es ohnehin immer besser wissen – tatsächlich aber bietet Videau so eine Aussicht auf ein Weiterleben jenseits der Schatten an. So seltsam es auch klingen mag: Der Entführer ist das eigentliche emotionale Zentrum des Films. Damit entschuldigt Videau seine Figur nicht, er verdammt sie allerdings auch nicht. Charakterkopf Reda Kateb („Ein Prophet") leiht Vincent ein Gesicht, das soviel unverarbeitete Frustrationen und unartikulierte Sehnsucht ausdrückt, dass man es auch lange nach diesem rätselhaft unterkühlten Film nicht vergessen wird. Wo andere Filmemacher auf Vincent herabgeschaut hätten, blickt ihm Videau in die Augen. Ein Blick, der schmerzt – nicht zuletzt, weil das, was dabei sichtbar wird, so fürchterlich vertraut wirkt.

    Fazit: „Coming Home" ist kein Entführungsmelodram von der Stange, sondern eine konzentrierte Auseinandersetzung mit Einsamkeit, der Sehnsucht nach Liebe und der Aufarbeitung traumatisierender Erlebnisse.

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