Aliens sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Früher, als der schwäbische Hollywood-Export Roland Emmerich mit „Independence Day" eine auf Hochglanz polierte Alien-Invasion inszenierte, nahmen sich die Außerirdischen auf der Leinwand noch die großen amerikanischen Städte und Wahrzeichen vor, sprengten das Weiße Haus oder pulverisierten mal eben das Empire State Building. Inzwischen haben sich die Zeiten jedoch geändert. Während Matt Reeves in seiner innovativen Found-Footage-Perle „Cloverfield" wenigstens noch die Freiheitsstatue köpfte und deren Haupt mitten in der Menge der aufgescheuchten Bewohner New Yorks auf den Asphalt klatschen ließ, begnügen sich die Aliens in Joe Cornishs britischem Action-Spektakel „Attack The Block" nun damit, ein tristes Problemviertel in South London heimzusuchen und dort lediglich ein paar Autos und Mülltonnen zu demolieren. Spaß macht das Ganze trotzdem – oder gerade deswegen: Der stellenweise brüllend komische Abschlussfilm des 25. Fantasy Filmfests schöpft sein Unterhaltungspotential voll aus und darf berechtigterweise den Titel Geheimtipp tragen.
South London, mitten in der Nacht: Krankenschwester Sam (Jodie Whittaker, „Kopfgeld - Perrier's Bounty") sieht sich nach Feierabend auf ihrem Heimweg unverhofft einer kriminellen Jugendgang um den skrupellosen Anführer Moses (John Boyega) gegenüber. Bevor die maskierten Teenager ihr aber Bargeld und Mobiltelefon abknöpfen können, geschieht das Unfassbare: Ein alienartiges Wesen fällt urplötzlich wie ein Meteorit vom Himmel und kracht direkt in ein parkendes Auto. Sofort nehmen die bewaffneten Jugendlichen die Verfolgung des Ungetüms auf – denn wer ihren „Block" betritt, muss bei der ortsansässigen Gang schließlich erst mal um Erlaubnis fragen. Nachdem die Halbstarken die Kreatur aufgeschlitzt und im Penthouse des kiffenden Drogenhändlers Ron (Nick Frost, „Paul - Ein Alien auf der Flucht") untergebracht haben, geht das Spektakel jedoch erst richtig los – denn mit der blutrünstigen Verwandtschaft des getöteten Aliens ist nicht zu spaßen...
Früher, als Will Smith die angriffslustigen Nachkommen von „E.T." & Co. noch mit einem höflichen „Welcome to Earth!" in der Wüste aus ihren bruchgelandeten Raumschiffen prügelte oder fleißig Augenzeugen blitzdingste, sahen Aliens auch noch aus wie richtige Aliens. In „Attack The Block" hingegen plumpsen da Kreaturen aus dem Londoner Nachthimmel, die optisch eher an Gorillamutanten als an den Hollywood‘schen Prototyp der extraterrestrischen Lebensform erinnern – sieht man einmal davon ab, dass ihr neonblau leuchtendes Zähnefletschen den Verdacht nahelegt, sie hätten sich morgens ausgiebig mit Phosphor die Zähne geputzt. Weil den „Shaun of the Dead"-Produzenten um James Wilson, Nira Park & Co. budgetär die Hände gebunden waren, reißt „Attack The Block" den Zuschauer keineswegs mit erdbebenhaften Untergangsspektakeln à la „Krieg der Welten" oder „2012" aus dem Kinosessel – die visuellen Effekte können sich aber auch ohne einstürzenden Big Ben oder brennenden Buckingham Palace sehen lassen. Der britische Comedian und TV-Entertainer Joe Cornish benötigt bei seinem Spielfilmdebüt kein üppiges Hollywood-Budget, um in verwilderten Vorgärten und tristen Treppenhäusern packende Kampfszenarien zu entwerfen und sein Publikum von Beginn an für sich zu vereinnahmen.
In der Tradition von „Cloverfield", „District 9" oder „Monsters" inszeniert Cornish ein atemberaubend rasantes und zugleich ungemein spritziges Actionspektakel, das ausnahmslos in dem nächtlich-schummrigen Wohnkomplex des Viertels spielt und die regelmäßigen Verschnaufpausen gezielt für treffsichere Pointen nutzt. Dabei entfallen weniger Gags auf Nick Frost, als man vielleicht vermuten könnte: Der „Hot Fuzz"-Star ist nur in einer – allerdings köstlichen – Nebenrolle als dauerbekiffter Hanf-Gärtner zu sehen, der im Penthouse des umkämpften Wyndham Towers einen riesigen „Weed Room" betreibt. Als heimlicher Publikumsliebling entpuppt sich hingegen sein schreckhafter Mitbewohner Brewis (Luke Treadaway, „You Instead"), der regelmäßig von den Nachwuchsgangstern zur Schnecke gemacht wird und auch für den besten Running Gag des Films (Stichwort: Fahrstuhl) verantwortlich zeichnet. Aus dem weitestgehend unbekannten Cast der jugendlichen Revierverteidiger sticht Alex Esmail heraus, der als „FIFA"-Dauerzocker Pest etliche Szenen stiehlt und wie seine kriminellen Freunde immer wieder als Kind im Manne entlarvt wird.
„Attack The Block" atmet düsteres Londoner Lokalkolorit, bedient sich authentisch des expliziten Jugendslangs britischer Großstadt-Teenager und wird dabei von aggressiven Hip-Hop-Beats nach vorn gepeitscht. Man muss kein großer Prophet sein, um vorauszusehen, wie sich der kollektive Fight gegen die Aliens und die Geschichte zwischen den rebellierenden Teenagern, der verunsicherten Krankenschwester Sam und dem über Leichen gehenden Hobbyrapper Hi-Hatz (Jumayn Hunter, „Eden Lake") entwickelt, dennoch macht Joe Cornishs Genre-Mix aus knallharter Action-Komödie und furiosem Science-Fiction-Gemetzel einfach einen Heidenspaß. Das schwungvolle Debüt des Briten entpuppt sich schnell als spannendes und sympathisches Alien-Spektakel, das vor allem in der britischen Originalversion als waschechter Geheimtipp für den Spätsommer gelten darf und sich vor diesjährigen Alien-Blockbustern wie „Transformers 3" oder „Super 8" in Sachen Unterhaltungswert wahrlich nicht verstecken muss.