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    Das Lied in mir
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das Lied in mir
    Von Daniel Jacobs

    Manchmal kann ein Lied das Leben eines Menschen von Grund auf verändern, manchmal braucht es dazu nicht mehr als eine kleine Melodie, um tief im Unterbewussten sitzende Erinnerungen zu wecken, die besser nie mehr an die Oberfläche gelangen sollten. So ergeht es der Protagonistin in Florian Cossens Kinodebüt „Das Lied in mir", die beim Klang eines Kinderlieds von unbekannten Emotionen überwältigt wird, deren Ursachen sie im Anschluss nachspürt. Cossen erzählt von einer Frau zwischen den Kulturen, auf der Suche nach der Wahrheit über ihre Vergangenheit und von einem zerbrochenen Vertrauensverhältnis zwischen Tochter und Vater. Das Drama, das 2010 die Hofer Filmtage eröffnete, entdaltet sich vor dem zeithistorischen Hintergrund der argentinischen Militärdiktatur, im Zentrum steht jedoch stets das persönliche Schicksal der Charaktere.

    Die deutsche Schwimmerin Maria Falkenmeyer (Jessica Schwarz) macht sich mit dem Flugzeug auf den Weg nach Chile. Während eines Zwischenstopps in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires schnappt sie ein spanisches Lied auf, das eine Mutter ihrem Kind vorsingt. Maria erkennt die Melodie, der Text ist ihr vertraut, obwohl sie eigentlich kein Spanisch spricht. Emotionen übermannen sie, Tränen laufen ihr ins Gesicht. Wo hat sie dieses Lied nur schon einmal gehört? Warum reagiert sie derart extrem darauf? Ohne lange zu überlegen, checkt sie in ein Hotel ein. Sie will nicht sofort weiterfliegen, eine Unterbrechung der Reise scheint ihr der richtige Schritt zu sein. Am nächsten Tag taucht plötzlich ihr Vater Anton (Michael Gwisdek) im Hotelfoyer auf und teilt Maria mit, dass sie gar nicht seine leibliche Tochter ist. Er hat sie 1980 als kleines Mädchen aus Buenos Aires mit nach Deutschland genommen und adoptiert, nachdem ihre leiblichen Eltern während der Militärdiktatur verschleppt wurden. Geschockt von Antons Bekenntnis macht Maria sich auf die Suche nach ihrer unbekannten Familie...

    Während der argentinischen Militärdiktatur zwischen 1976 und Anfang der 80er Jahre wurden zehntausende Bürger von Sicherheitskräften entführt, gefoltert und ermordet, Familien wurden auseinandergerissen und die Angehörigen ahnungslos zurückgelassen. Bis heute konnte ein Großteil dieser Fälle nicht aufgeklärt werden, viele Bürger werden die ganze Wahrheit niemals erfahren. Die Bewältigung der unrühmlichen Vergangenheit ist bis heute ein umstrittenes Thema in der argentinischen Gesellschaft, das auch von den einheimischen Künstlern immer wieder aufgegriffen wird, so etwa in „In ihren Augen", dem Oscargewinner für den besten nicht-englischsprachigen Film 2010. Dagegen ist der als Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg entstandene „Das Lied in mir" von einer Außenperspektive geprägt, denn die besondere Situation in Argentinien ist der Protagonistin zunächst fremd, so dass sich weniger ein exemplarisches Politdrama als eine höchst individuelle Familiengeschichte entspinnt.

    Ohne jedes Verständnis für die Entscheidung Antons wird Maria von dem überwältigenden Verlangen getrieben, ihre argentinische Familie kennenzulernen und mehr über ihre leiblichen Eltern zu erfahren, die der Staatsmacht als oppositionelle „Desaparecidos" ein Dorn im Auge waren und mit Gewalt aus dem Verkehr gezogen wurden. Hauptdarstellerin Jessica Schwarz („Buddenbrooks") nähert sich ihrer Figur äußerst einfühlsam und zeigt viel Gespür für die existenzielle Suche nach der eigenen Identität, auch wenn sie in einigen Situationen etwas zu abgeklärt wirkt und so nicht alle psychologischen Feinheiten nachvollziehbar werden. Insgesamt gesehen meistert Schwarz ihre schwierige Aufgabe jedoch mit Bravour, vor allem das Zusammenspiel mit den spanischsprachigen Darstellern funktioniert blendend. Ein besonderes Lob verdient sich hierbei die Casting-Abteilung, die für die Nebenrollen durchweg sehr überzeugende argentinische Schauspieler finden konnte, allen voran Rafael Ferro („Die Tränen meiner Mutter") als deutsch sprechender Polizist, der für Maria zu einer wichtigen Stütze in der neuen Umgebung wird. Gegenüber den äußerst authentisch wirkenden einheimischen Akteuren fällt Routinier Michael Gwisdek („Good Bye, Lenin!") etwas ab. Er hält sich zu stark zurück und vermag es nicht, seinem Charakter Ecken und Kanten zu verleihen. Die Figur bleibt gerade im Kontrast zu Schwarzs Maria unterentwickelt und ohne Profil.

    Cossen präsentiert uns ein Buenos Aires abseits der bekannten Hektik der Millionenstadt, die wenigen Schauplätze – ein Hotel, ein Kiosk, eine Polizeistation - sind weit entfernt von den Postkartenmotiven der Reiseführer. Dennoch wird die argentinische Hauptstadt zu einem wichtigen Protagonisten der Geschichte, mit einem ausgeklügelten Spiel von Licht und Schatten verleiht Cossen ihr eine ganz eigene, von schwüler Hitze geprägte, eher ruhige Atmosphäre. Dazu passt auch der Verzicht auf plötzliche Story-Twists und unvorbereitete inhaltliche Wendungen. Cossen legt insgesamt einen abgeklärten Erzählgestus an den Tag, aber die emotionale Intensität seiner Geschichte bleibt durch die feinfühlige Inszenierung stets erhalten, selbst wenn die Hintergründe der Handlung gelegentlich etwas unterbelichtet bleiben.

    Fazit: „Das Lied in mir" erhielt bereits auf mehreren internationalen Festivals Auszeichnungen: Die Suche nach der eigenen Identität, die Sehnsucht nach einer Heimat, diese Themen besitzen universelle Gültigkeit und so ist Florian Cossens Kino-Erstling ein beachtliches Drama, dessen gemächliches Tempo nicht jedem Kinobesucher auf Anhieb gefallen wird, das aber dennoch durchgehend sehenswert ist.

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