Was ist los im serbischen Gegenwartskino? Jahrelang war es international kaum wahrnehmbar, dann kommt es plötzlich mit der Wucht einer von dämonischer Hand gesteuerten Dampfwalze über ein unvorbereitetes Genre-Publikum. Selbstverständlich ist hier die Rede von den brachialen Skandalfilmen „A Serbian Film" und „The Life and Death of a Porno Gang", die quer durch die cineastische Welt hitzige Debatten um Geschmacksgrenzen und die Zumutbarkeit gnadenloser Gewaltdarstellung provozierten. Obwohl höchst unterschiedlich in ihrer Machart und eher aufgrund ihrer Topoi miteinander zu vergleichen, thematisierten sie doch unmissverständlich und mit drastischen Bildern die jüngere serbische Vergangenheit. Beide mit lächerlich kleinen Budgets gedrehten Filme legten die Vermutung nahe, dass im ehemaligen Jugoslawien eine eigenwillige und hochinteressante Filmsprache gefunden wurde, die es nun zu entdecken gilt, junges Kino mit zwingenden Geschichten über die unverarbeiteten Traumata im globalisierten Europa, das nun lautstark Aufmerksamkeit einfordert. Das macht neugierig auf andere Filme vom Balkan – Episodenfilme wie Srdjan Koljevics „Belgrad Radio Taxi".
An einem Morgen wie jedem anderen kreuzen sich die Lebenswege höchst verschiedener Serben auf der Belgrader Brücke, die aus den Randbezirken ins Herz der Stadt führt. Da wäre der Taxifahrer Gavrilo (Nebojsa Glogovac), dessen mysteriöse Kundin sich spontan und mit selbstmörderischer Absicht von der Brücke stürzt und ihn mit ihrem neugeborenen Kind allein lässt, für das sich der knurrige Griesgram fortan verantwortlich fühlt. Die Apothekerin Biljana (Branka Katic), die den Sprung ebenfalls sieht, fasst daraufhin den Entschluss, ihre bestehende Verlobung zu lösen. Die dritte im episodischen Bunde ist die junge Lehrerin Anica (Anica Dobra), die durch den Sprung der Fremden an das Trauma ihres eigenen Lebens erinnert wird. Fortan werden sich die Wege aller drei immer wieder auf den regennassen Straßen Belgrads kreuzen...
...und am Ende wird freilich nichts so sein, wie es einmal war. Was sich wie abgepaust aus dem Buch „Episodenfilm nach Schema-F" liest, sieht auf der Leinwand kaum anders aus: schematisch, brav und frei von jedem erzählerischen oder formalen Wagemut. Dabei überschlägt sich das Drehbuch sowohl mit lächerlich tumben Dialogen, als auch mit plumpen Zuspitzungen - und wirkt auch in seinen besseren Momenten so forciert, dass der Eindruck entsteht, Drehbuchautor und Regisseur Srdjan Koljevic hätte mit den Fäusten auf die Tastatur eingedroschen, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Bei einem Werk, so vollgestopft mit Fördergeldern aus Funk und Fernsehen (ZDF, Arte etc.) wäre es gewiss nicht falsch, geschweige denn unmöglich gewesen, einen Skriptdoktor zu engagieren, um die gröbsten Schnitzer auszubügeln. So wäre es etwa nicht nötig gewesen, Taxifahrer Gavrilo wie einen Idioten auf seinen neugeborenen Schützling einreden zu lassen, nur um zu zeigen, dass unter seiner Harten Schale ein weicher Kern steckt.
Vielleicht wäre dem Publikum dann auch die Idee erspart geblieben, einen Radiomoderatoren und seine plakativen Weisheiten aus dem Äther wie einen griechischen Chor einzusetzen. Das Mindeste wäre die Entfernung einer Szene gewesen, die zum Anschauungsmaterial in Drehbuchkursen werden sollte: Biljana wird in ihrer Apotheke von ihrem gehörnten Verlobten aufgesucht, der sich vor ihr aufbaut und wutentbrannt ein Regal leerfegt. „So wie ich dein Regal verwüstet habe, hast du mein Leben verwüstet", sagt er. Ein Autor, der solche Sätze schreibt, hat allen Spott der Welt verdient. Die Darsteller machen noch das Beste aus dem, was das Buch ihnen an Spielraum übrig lässt, doch scheint nie ein Regisseur zugegen gewesen zu sein, der zu verstehen gegeben hätte, dass weniger Pathos beizeiten mehr Wirkung erzielt.
Stattdessen war Koljevic damit beschäftigt, verträumt-melancholische Einstellungen von den regennassen Straßen Belgrads einzufangen. Bloß, dass die keinen ganzen Film tragen und schnell ziemlich öde werden. Übrig bleibt ein Stück europäisches Befindlichkeitskino, wie geschaffen dafür, schnell und ohne allzu große Resonanz durch Arthouse-Kinos geschleust zu werden. Handwerklich lässt sich durchaus von solider Arbeit sprechen, besser: Dienst nach Vorschrift. Hier hat, abgesehen vom Autor, jeder Beteiligte vor und hinter der Kamera seine Kompetenz, doch Herzblut hat niemand in diesen Film investiert. Nachdem man lauwarme Suppe wie „Belgrad Radio Taxi" ausgelöffelt hat, wird offenbar, was man an unbequemen Attacken wie „Serbian Film" oder „Life and Death of a Porno Gang" hat. Manchmal muss Nischenkino herausfordern und wehtun, um sichtbar zu werden, um ins Gespräch zu kommen. Hier jedoch schmerzen vor allem Kraftlosigkeit und Trivialität.