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    Wo die Lüge hinfällt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wo die Lüge hinfällt

    Auf den Spuren von "Clueless" und "Eiskalte Engel"

    Von Sidney Schering

    Es war ein kleiner, schöner Trend der 1990er: Für ein (primär) aus Jugendlichen und jungen Erwachsen bestehendes Publikum wurden große Werke der Literaturgeschichte ins Heute verlagert und mit einem attraktiven Cast für die Leinwand adaptiert: Das bescherte uns moderne Klassiker wie „Clueless – Was sonst!“ (basierend auf Jane Austens „Emma“), „Eiskalte Engel“ (angeregt durch „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos) und natürlich „10 Dinge, die ich an Dir hasse“ mit Julia Stiles und Heath Ledger (frei nach Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“). 2010 folgte dann mit der Emma-Stone-Komödie „Einfach zu haben“ noch ein Quasi-Nachzügler:

    Streng genommen inszenierte Will Gluck damit zwar keine direkte Adaption von „Der scharlachrote Buchstabe“, doch als Komödie über Jugendliche, die den Roman in der Schule besprechen, missverstehen und in ihren Alltag übertragen, ist der Film nah dran. Mit „Wo die Lüge hinfällt“ lässt Gluck den Trend nun aber wirklich neu aufleben: Die mit „Euphoria“-Star Sydney Sweeney und „Top Gun: Maverick“-Frechdachs Glen Powell besetzte Romantik-Komödie ist eine Aktualisierung von Shakespeares „Viel Lärm um nichts“. Das Ergebnis ist ein Film wie ein mit Liebe gemachter, guter Käsetoast: Schlicht, leicht zu unterschätzen, wärmend, schmalzig und er hebt ganz massiv die Stimmung.

    Sony Pictures
    Mit Glen Powell und Sydney Sweeney hat Will Gluck zwei der wohl attraktivsten Menschen des Planeten als verhindertes Liebespaar besetzt.

    Alles nimmt mit einer Lüge seinen Anfang: Finanzspekulant Ben (Glen Powell) befreit Jurastudentin Bea (Sydney Sweeney) mit einer Flunkerei aus einer misslichen Lage. Anschließend gehen sie auf ein spontanes, zauberhaftes Date (inklusive Käsetoast-Abendsnack). Aber eine prompt wieder bereute Fehlentscheidung von Bea sowie Bens verlogene Herzschmerz-Kompensation im Gespräch mit seinem Kumpel Pete (GaTa) beenden die Romanze, bevor sie überhaupt begonnen hat. Als Petes Schwester Claudia (Alexandra Shipp) Beas Schwester Halle (Hadley Robinson) im sommerlichen Sydney heiratet, setzen sich die Lügen allerdings fort:

    Obwohl sich Australien von seiner paradiesischen Seite zeigt, verbreiten Bea und Ben Stimmung wie drei Tage Regenwetter. Also versuchen unter anderem Claudias Eltern (Michelle Hurd, Bryan Brown), die Zankäpfel durch Lügen zum Versöhnungssex anzustiften. Beas Eltern (Dermot Mulroney, Rachel Griffiths) wollen ihre Tochter derweil in die Arme ihres Ex-Verlobten Jonathan (Darren Barnet) treiben. Und Ben möchte seine Verflossene Margaret (Charlee Fraser) eifersüchtig machen. Also beschließen Ben und Bea, Pärchen zu spielen, damit sie Ruhe haben. Alsbald wird so viel gelogen, dass quasi alle gemeinsam den Durchblick verlieren…

    Zwei Stars zum Verlieben

    Schmeckt der Käse scheußlich, ist der Toast für die Tonne. Bei einer Romantik-Komödie ist es wiederum das zentrale Paar, das den Film in der Regel zusammenhält – und in dieser Hinsicht hält „Wo die Lüge hinfällt“ mit seinen Stars alle Trümpfe in der Hand: Sweeney und Powell kauft man sofort ab, dass sich nach der Notlüge mehr daraus entwickelt. Wie sie daraufhin einander necken, ist von Will Gluck und Ilana Wolpert („High School Musical: Das Musical: Die Serie“) nicht nur pfiffig geschrieben, sondern auch punktgenau gespielt. So idealisiert, dass es zum Mitschwärmen einlädt. So plausibel, dass man sich im Kinosaal glatt selbst vorlügt: „So spontan kann ich auch sein!“

    Powell signalisiert vor allem durch ein von ganzem Herzen kommendes, verkrampft-aufgesetztes, gekränktes, locker-leicht erlogenes oder verletzliches Lächeln, ob Ben gerade seinen Gefühlen folgt, sich selbst etwas vormacht oder bewusst andere anflunkert. Sweeney wiederum lässt ihre Augen sprechen: Sie schafft es, Bea auf verschiedenste Weisen erschöpft oder betrübt dreinblicken zu lassen. Verzweiflung über den Langweiler Jonathan, Kummer wegen ihrer Karriereaussichten, Frust über Ben, Ermattung aufgrund all der Lügen – all das, oftmals unter einer Schicht geheuchelter Glückseligkeit.

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    „Wo die Lüge hinfällt“ holt wirklich alles aus seinem Setting in Sydney und Umgebung raus.

    Die Motive für die Lügen sind mannigfaltig – und sie bleiben trotzdem immer verständlich. Denn die Intensität, mit der sich Bea und Ben in Momenten der Einigkeit anlächeln, macht deutlich: Ja, sie treiben viel Lärm um nichts! Denn die Lösung ihrer Probleme ist klar ersichtlich. Doch Bea und Ben verbergen unter ihrem (kaum) bekleideten Äußeren ein verletzliches Ego sowie die Unfähigkeit, Mitgefühl für ihr Umfeld auszuleben. Deshalb bleibt es vorerst dabei, sich heimlich-ehrlich oder verlogen-offensichtlich mit den Augen auszuziehen. Da kommt dann auch die zeitlose Stärke der Vorlage zur Geltung:

    Weil sich Bea und Ben so dumm anstellen, laden sie zu deftiger Schadenfreude ein, wann immer sie sich ihr Leben grundlos erschweren. Gleichzeitig harmonieren sie in ihrer Schlagfertigkeit und kurios gelebten Fürsorge derart, dass man auch mit ihnen lacht und sich eine Aussöhnung herbeisehnt. Gluck und Wolpert verlassen sich bei diesem Hin und Her auf Variationen bewährter „Viel Lärm um nichts“-Motive, genüsslich ausgekosteten Slapstick (Stichwort: „Titanic“) und Situationskomik, die eine gute Balance aus Fremdscham und liebenswerter Charakterskizze hält – etwa, wenn Bea auf einem schlafenden Ben herumturnt (nein, nicht so!) oder Ben Wohlfühl-Pop benötigt, um seine Nerven zu beruhigen.

    Der Filmkuss des Jahres

    Neben dem vermutlich schönsten Filmkuss des Kinojahres könnten die obligatorischen Screwball-Dialoge zwischen Hass, Liebe und Hassliebe indes noch ein wenig mehr Würze vertragen. Doch hier eilt das restliche Ensemble zur Hilfe: Bryan Brown ist als mieser Lügner, der unter Druck in hölzernes Shakespeare-Englisch und fiese Alter-Sack-Anekdoten verfällt, ein Lachkrampfgarant. Dermot Mulroney und Rachel Griffiths wiederum leben mit ihrer freundlichen Flapsigkeit gewitzt vor, wo die Reise für Ben und Bea hingehen könnte, würden sie sich nur am Riemen reißen.

    Der Szenendieb schlechthin ist allerdings Comedy-Rapper GaTa, der Pete als unberechenbaren Tausendsassa gibt: Hundetrainer, Koalaflüsterer, Schulter zum Ausheulen und unverantwortliches Plappermaul – stets mit Charme, Ironie und wonnigem Lächeln. Dicht hinter ihm erweisen sich die Schauplätze als weiterer Szenendieb: Gluck und Chef-Kameramann Danny Ruhlmann holen das Maximum aus dem australischen Bundesstaat New South Wales und seiner Hauptstadt Sydney heraus. Schwärmerische Stadtpanoramen bei Nacht, verführerisch-türkisfarbenes Wasser und saftig-grüne Vegetation verleihen „Wo die Lüge hinfällt“ visuelle Dynamik und Vitalität.

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    Natürlich drückt man die Daumen, dass die beiden doch noch zusammenkommen – wobei man ihnen auch einfach nur gern weiter beim Flunkern zusieht!

    Für zusätzliche Raffinesse sorgen in die Schauplätze eingearbeitete Shakespeare-Zitate sowie die Konsequenz, mit der Gluck smoke and mirrors (das englische Idiom für „Lug und Trug“) auch visuell integriert: Während der Hochzeitsfeierlichkeiten wird absurd viel gefackelt und gezündelt, und es rücken unverhältnismäßig oft Spiegel in den Fokus. Es ist eine beiläufige Spielerei, doch sie unterstreicht subtil-geschickt das verschachtelte, eitle sowie verwirrende Spiel aus Schein und Sein, mit dem sich die Figuren blenden und täuschen. „Wo die Lüge hinfällt“ ist eben ein mit Liebe gemachter Käsetoast. Nur auf den ersten Blick mit bloßem Schnellfraß zu verwechseln, aber die kleinen Raffinessen machen dann einfach doch den Unterschied.

    Fazit: Sydney Sweeney und Glen Powell harmonieren perfekt als lügendes, täuschendes und flunkerndes Duo im wunderschön in Szene gesetzten Australien – quasi der extrem überpünktliche erste Gute-Laune-Sommerfilm 2024.

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