2000 wagte der langjährige und mehrfach preisgekrönte Werbe- und Musikvideoregisseur Jonathan Glazer den Sprung ins Kinogeschäft. Sowohl sein Debüt, der Gangsterfilm „Sexy Beast“, als auch sein erster US-Film, „Birth“ mit Nicole Kidman, hinterließen vor allem durch ihre hypnotischen Bilder nachhaltigen Eindruck. Nach neun Jahren Filmpause, in denen Glazer sich wieder verstärkt Musikvideos und Werbeclips widmete, ist er nun mit der Sci-Fi-Horror-Adaption „Under the Skin“ zurück im Kino. Mit den einsamen Weiten der schottischen Highlands und den Straßenschluchten Glasgows als Schauplätzen und einer herausragenden Scarlett Johansson („Lost in Translation“) in der Hauptrolle gelingt ihm dabei ein ebenso polarisierender wie eindrucksvoller Film.
Scarlett Johansson spielt eine mysteriöse Außerirdische, ein künstlich auf Mensch getrimmtes Wesen, aufgemotzt mit den Signalen sexueller Bereitschaft. Sie kurvt in einem Van durch Schottland, stets auf der Suche nach Männern ohne Bindungen; nach Männern, die niemand vermissen wird. Sie nimmt sie mit zu sich nach Hause, dort entzieht sie ihnen die Lebensenergie in einem rätselhaften, traumähnlichen Prozess. Dazwischen ist ein Motorradfahrer zu sehen, der durch die Highlands rast. Hilft er ihr? Überwacht er sie? Plötzlich ist sie auf sich alleine gestellt, und sie droht, sich zu verlieren in der irdischen, menschlichen Welt, in der sie Fremde und Täterin ist.
Keine Frage, Jonathan Glazer macht es mit seiner genreüberschreitenden Phantasie dem Zuschauer alles andere als leicht. Sein Film basiert sehr lose auf einem gleichnamigen Roman von Michel Faber aus dem Jahr 2000. Doch Glazer verzichtet auf die Erklärungen, die Faber in der Vorlage liefert. Er entfernt zudem alle offenkundigen politischen Anspielungen des Romans. Stattdessen setzt er auf die Kraft des Schweigens und die stetige Bewegung, eine Suche durch die Stadt, über das Land, in der menschenleeren Weite wie in der Anonymität der Tanz-Clubs mit den im Stroboskop-Licht vorbeizuckenden Gesichtern der unbekannten Gäste.
Darin liegt einer der Kunstgriffe von Glazers Inszenierung des hypnotischen Sci-Fi-Dramas: Der Regisseur zeigt das Alltägliche, aber stellt diesem das Unerklärliche konfrontativ gegenüber. Er zeigt den Regen, den Schmutz, die Hässlichkeit oder einfach nur die Natur. Gedreht wurde nicht nur in den schottischen Highlands, sondern auch mitten in den Menschenmassen in Glasgower Discos, wobei man undercover blieb. Mit der Handkamera und größtenteils Amateurdarstellern ging es ohne Drehgenehmigung ins Getümmel. Nur ein unablässiges Wummern und Waben auf der Tonspur, durchzogen von einem leisen Kreischen, rückt diese „authentische“ Welt dann im Film trotzdem schon ins Abgründige.
Die teilweise vor Geilheit dummen, teilweise auch einfach nur orientierungslosen Opfer der von Scarlett Johansson mit faszinierender Präsenz gespielten Verführerin verschlägt es dann in ein Universum aus tiefstem Schwarz oder grellstem Weiß, einen Nicht-Raum, in den die Außerirdische ihr Domizil verwandelt hat, das nicht einmal einen Eingang zu haben scheint. Dort sinken sie in eine dunkle Flüssigkeit ein. Mit einem weiteren dramaturgischen Kniff, der nicht ganz passen will zu der Souveränität und der kalten Distanz, mit der die Frau sich zuvor umgeben hat, dreht Glazer diese Verlorenheit um: So wie die Männer in ihrer Welt versinken, so versinkt die Außerirdische bald im Schottland, das sich diese Erdenbewohner eingerichtet haben.
Die ungewöhnliche „Wohnung“ des sexy Aliens, dieser Nicht-Raum, bekommt dann nach und nach plötzlich eine Art Eingang, der schließlich sogar zu einer ziemlich normalen Tür wird. Und nachdem er so ein Außen bekommen hat, erhält er später sogar ein Innen, das Ergebnis ist eine ziemlich abgewrackte Bude: nichts als schäbiger Verfall. Ist das Gewöhnliche also das Geheimnis, das unter der titelgebenden Haut liegen soll? Oder ist dies wieder nur ein anderes, weiteres Mysterium? Wenn es etwas zu erfahren gibt in „Under the Skin“, dann ist es in jedem Falle ein Gefühl der Einsamkeit – für das man sich allerdings auf diesen ungewöhnlichen Film einlassen muss. Glazer verlangt dem Zuschauer ab, die Bilder nicht nur an-, sondern vielmehr in sie hineinzuschauen, bis man sich irgendwann selbst im kühlen, widerborstigen Charme der Sci-Fi-Parabel verstrickt.
Fazit: Jonathan Glazer erzählt mit großer Langsamkeit und beinahe ohne Worte von der Odyssee einer Außerirdischen durch Schottland. Wer sich aber mit der nötigen Geduld auf diesen Film einlässt, der wird mit einem traurig-mystischen Spektakel von großer Schönheit belohnt.