Die Farbe der Hoffnung und der Zuversicht wurde im Juni 2009 zum Erkennungszeichen der „grünen Revolution" im Iran: Grüne Fahnen, Armbänder, Mützen oder Kopftücher trugen all jene, die in Teheran für die demokratischen Rechte der Bürger auf die Straße gingen – und dafür die eiserne Faust des autoritären Regimes von Mahmud Ahmadineschad zu spüren bekommen sollten. Der iranisch-stämmige Regisseur Ali Samadi Ahadi („Lost Children", „Salami Aleikum") bereitet die Chronologie der Ereignisse in seinem Dokumentarfilm „The Green Wave", der gut zur Hälfte aus animierten Comic-Bildern besteht und seine Informationen vornehmlich aus Internet-Berichten und Interviews bezieht, nun noch einmal auf. Herausgekommen ist eine anklagende Bestandsaufnahme der politischen Situation im Iran und – für den Betrachter hierzulande – ein aufwühlender Einblick in die dortigen Verletzungen der Menschen- und Bürgerrechte.
Bereits vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen am 12. Juni 2009 demonstrieren zahlreiche Iraner, weil sie voller Überzeugung hinter dem Kandidaten Hossein Mussawi stehen, der Mahmud Ahmadineschad in seinem Amt als Präsident ablösen will. Ein Wahlsieg Mussawis scheint sicher und die Bürgerbewegung wendet sich zunehmend in eine allgemeine Euphorie – doch das Regime manipuliert das Wahlergebnis und verkündet Ahmadineschad als Sieger. Empört protestiert ein Gutteil des Volkes mit Schildern, auf denen „Where is my vote?" steht. Mit überraschender Härte geht die Regierung gegen die „Umstürzler" vor: Gewehrschüsse auf die oft jungen Demonstranten, willkürliche Festnahmen und rigorose Schlägertrupps ersticken den Protest.
Da der seit seinem zwölften Lebensjahr in Deutschland lebende Regisseur Ali Samadi Ahadi freilich nicht in den Iran reisen konnte, um die Ereignisse jener Tage zu recherchieren, griff er auf Material aus dem Internet zurück: Mit Augenzeugenberichten in Blogs, bei Facebook oder in Twitter-Feeds und online gestellten Handy- und Digital-Videos montiert Ahadi den Verlauf der grünen Revolution und spürt der politisch aufgeheizten Stimmung im Volk nach. Die kryptischen Texteinträge und die teils pixeligen, verwackelten Aufnahmen lassen dabei eine Unmittelbarkeit und Dringlichkeit entstehen, die „The Green Wave" von Anfang an als politischen und kämpferischen Dokumentarfilm kenntlich macht. Krasse Bilder wie jenes von einem erschossenen Mädchen, das in einer Blutlache auf der Straße liegt, oder das einer hysterischen Mutter am Grab ihres Sohnes, erzeugen gerade durch ihre Authentizität nachhaltige Betroffenheit und klagen unverhohlen die iranische Regierung an. Beteiligte Demonstranten und Menschenrechtler, die heute zum Großteil im Exil leben, kommentieren das Material und rekapitulieren ihre Beobachtungen in klassisch angelegten Interviewsituationen.
Manche der Internet-Texte und zwei längere Blog-Einträge visualisiert „The Green Wave" in sogenannten Motion Comics, die – wenngleich sie ästhetisch schlichter ausfallen – an den animierten Dokumentarfilm „Waltz with Bashir" erinnern und in der Schilderung alltäglicher Unterdrückung Parallelen zu der Comic-Biografie „Persepolis" aufweisen. Ein Student und eine Studentin, beide Mitte zwanzig, berichten von ihren Erlebnissen während der Proteste. Beide hofften auf einen Sieg Mussawis und demonstrierten weiter, als das gefälschte Wahlergebnis öffentlich bekannt gegeben wird. Beide wurden mehrere Tage in Gewahrsam genommen, gefoltert und verhört. In trostlosen und mitunter überzeichneten Bildern, die auf den Konstruktionscharakter der Doku-Collage verweisen, greifen die Animationen den Grundton der übrigen Aufnahmen auf: Die Miliz rast auf Motorrädern durch die Reihen der aufgebrachten Menge, schlitzt Kehlen mit Messern auf und verbreitet mit Schlagstöcken Angst und Terror – wie Anime-Bösewichte erscheinen schließlich die Wachen im Gefängnis-Kerker. Ihre Wirkung verfehlen diese Schreckensbilder nicht, vor allem auch, weil sie auf Augenzeugenberichten basieren und dies nie vergessen lassen.
„The Green Wave" ist wie kein Dokumentarfilm, der eine möglichst neutrale Sichtweise einnehmen will. Vielmehr bezieht Ali Samadi Ahadi einen klaren politischen Standpunkt und verurteilt – mit gutem Grund – die undemokratische Niederschlagung der Demonstrationen durch die iranische Regierung. Dem Regisseur ist dabei ein aufrüttelndes zeitgeschichtliches Dokument gelungen, das nicht zuletzt eine künstlerische Annäherung an die Kommunikationskanäle des Internets darstellt. Berichte von unabhängigen Medien gibt es zu den Ereignissen der grünen Revolution so gut wie keine, da alle ausländischen Nachrichtensender vorzeitig des Landes verwiesen wurden – im iranischen Staatsfernsehen, so erzählt einer der Demonstranten, lief während der Ausschreitungen eine Tierdokumentation.