14 Jahre Warten haben sich gelohnt
Von Benjamin HechtKaum ein anderes Hollywood-Projekt hat in den vergangenen Jahren so mit seiner turbulenten Entstehungsgeschichte für Schlagzeilen gesorgt wie „Uncharted“: Schon ein Jahr nach Veröffentlichung des 2007 erschienenen Videospiels „Uncharted: Drakes Schicksal“ bekundete Produzent Avi Arad („Spider-Man“) Interesse an einer Filmumsetzung. Seitdem wurde die Reihe zu einem der wichtigsten Aushängeschilder von Sonys Playstation und Protagonist Nathan Drake zum Videospiel-Abenteurer Nummer eins.
Doch währenddessen ging es mit der Verfilmung nur schleppend voran. Auf dem Regieposten gaben sich namhafte Filmemacher die Klinke in die Hand und auch für die Hauptrolle wurde ein Star nach dem anderen gehandelt, sodass auch Drehbücher immer wieder angepasst werden mussten. Man könnte nun meinen, dass „Uncharted“ mit einer solch holprigen Vorgeschichte von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Doch diese Sorge erweist sich als unbegründet: Die am Ende von „Venom“- und „Zombieland“-Regisseur Ruben Fleischer realisierte Videospiel-Verfilmung ist ein erstaunlich rundes Abenteuer. Besonders „Uncharted“-Fans dürfte es freuen, dass die Leinwandadaption trotz aller Skepsis über Hauptdarsteller Tom Holland den Geist der Vorlage nahezu perfekt einfängt.
Im Vorfeld gab es Kritik an Tom Holland als Nathan Drake und Mark Wahlberg als Sully. Zu Recht?
Der als Waise aufgewachsene Nathan Drake (Tom Holland) arbeitet mit Mitte 20 als Barkeeper in New York City, wo er sich gerne auch mal Trinkgeld nimmt, ohne dass seine Kund*innen etwas davon mitbekommen. Als der Schatzsucher Victor „Sully“ Sullivan (Mark Wahlberg) auftaucht, verändert das sein Leben. Sully will die Hilfe des so charmanten wie geschickten Langfingers, um seit über 500 Jahren verschwundenes Gold des Entdeckers Ferdinand Magellan im Wert von fünf Milliarden Dollar zu finden. Im Gegenzug macht der erfahrene Abenteurer dem Frischling Hoffnung darauf, ihn wieder mit seinem verschollenen Bruder Sam zusammenzuführen.
Die Jagd führt das ungleiche Duo auf ein gefährliches Abenteuer und quer über den Globus: Doch dabei brauchen sie schnell die Hilfe der durchtriebenen Schatzsucherin Chloe Frazer (Sophia Ali). Ist der über den Weg zu trauen? Sully glaubt nicht. Doch nicht nur wegen ihrer eigenen Verbündeten müssen die beiden vorsichtig sein, denn sie sind nicht die Einzigen, welche hinter dem Gold her sind. Auch der reiche Erbe Santiago Moncada (Antonio Banderas), dessen Vorfahren einst Magellans Expedition finanzierten, will es sich unter den Nagel reißen und kennt dabei keinerlei Skrupel: Seine von der Killerin Braddock (Tati Gabrielle) angeführte Truppe von Schergen geht sogar über Leichen.
Chris Hemsworth, Channing Tatum oder der am Ende in der Nebenrolle als Sully noch beteiligte Mark Wahlberg wurden über die Jahre als Nathan Drake gehandelt. Daneben wünschten sich Fans der Reihe „Castle“-Star Nathan Fillion – erst recht, nachdem der 2018 in einem knapp 15 Minuten langen Kurzfilm bewies, wie ähnlich er der Vorlage ist. Doch so bombastisch der ankam, war es nie realistisch, dass Fillion die Hauptrolle in einem großen Blockbuster spielt, der weit über die Fangemeinde hinaus ein Publikum anlocken muss. Dass es dann ausgerechnet Tom Holland als Nathan Drake wurde, sorgte aber im Vorfeld bei nicht wenigen für blankes Entsetzen. Der Jüngling habe schließlich gar nichts mit der Videospielfigur gemein. Und ja: Der „Spider-Man“-Star sieht dem Abenteurer aus den Videospielen überhaupt nicht ähnlich …
… und funktioniert trotzdem ganz hervorragend! Holland bringt nicht nur die beeindruckende Physis mit, um große Teile der Stunts selbst durchzuführen (im Vergleich zu seinen Marvel-Auftritten hat er noch einmal ordentlich Muskeln zugelegt), er hat auch den nötigen Charme, um als verwegener Abenteurer eine sympathische und glaubhafte Figur abzugeben.
Der Nathan-Drake-Vergleich: Tom Holland vs. Original (vom „Uncharted 3“-Cover)
Auch Mark Wahlberg ist nicht die Fehlbesetzung, die in vielen voreiligen Kommentaren im Internet befürchtet wurde. Sein Sully ist ein überzeugender Gegenpol für den idealistischen Drake, ein erfahrener Haudegen, der alle Moral schon längst über Bord geworfen hat und der nur noch Augen für seine Beute hat. Eigentlich ist er zu alt für den Scheiß, will nur noch das Gold und es sich gut gehen lassen. Doch dank Drake, der sich mit naiver Gutgläubigkeit in das gefährliche Abenteuer stürzt, wird Sullys Zynismus plötzlich infrage gestellt.
Dank der wunderbar harmonierenden Hauptdarsteller ist „Uncharted“ über weite Strecken auch ein Buddy-Movie, bei dem sich Nate, Sully (und zwischenzeitlich die ebenso schlagfertige Chloe) gegenseitig mit flotten Sprüchen aufziehen. Wenn sich Sully über Nates Abneigung gegen Nonnen lustig macht oder Nate seinem Mentor eine Katze unterjubelt, weil er ihn als einsamen alten Mann wahrnimmt, der ein bisschen Gesellschaft gebrauchen kann, dann sind das zwar keine Schenkelklopfer, bei denen der ganze Saal im schallenden Gelächter ausbricht. Doch amüsant sind sie allemal und sie geben der sich anbahnenden Bromance die nötige Dynamik.
Dass die Action-Szenen in der „Uncharted“-Reihe großes Spektakel bieten, greift nun die Verfilmung vor allem dadurch auf, dass hier irrwitzige Szenarien entworfen werden. Schon aus dem Trailer bekannt ist jene Sequenz, in der Nate mitsamt der Fracht und einigen Feinden aus einem Transportflugzeug fällt und sich Stück für Stück an den herunterhängenden Kisten nach oben hangeln muss, während sich unter ihm eine paradiesische (CGI-)Insellandschaft mit türkisblauem Meer breitmacht.
In typischer „Uncharted“-Manier wird das sowieso schon völlig entrückte Geschehen gekonnt mit Slapstick-Humor angereichert. Da kann sich Nate mit einem übermenschlichen und eigentlich absurden Kraftakt doch noch zurück an Bord des Flugzeugs retten, um dann hoch in der Luft von einem Auto (!) angefahren zu werden. Diese Szene verbindet auch sehr geschickt zwei legendäre Momente der Videospiele (das Zug-Intro von „Uncharted 2“ und den Flugzeug-Absturz von „Uncharted 3“), erschafft daraus aber etwas Neues, das sich zu gleichen Teilen bekannt, aber auch frisch anfühlt.
Dieser Action-Moment ist „Uncharted“ pur!
Bei einem Auto in der Luft werden natürlich sofort Assoziationen zur „Fast & Furious“-Reihe wach. Doch fliegen hier nicht nur Autos, sondern im Finale dann sogar historische Schiffe aus dem 16. Jahrhundert durch die Lüfte – und liefern sich dabei sogar einen echten Kampf. Völlig konsequent für das Over-the-top-Szenario werden so Kanonenkugeln abgefeuert, während Nate und Sully zu rostigen alten Säbeln greifen, um ihre Feinde abzuwehren.
Auch wenn diese Momente allein durch das gebotene Spektakel herausstechen, ist die Action gerade in den im Verhältnis deutlich kleineren Momenten unterhaltsam. Wenn Nate seine Barkeeper-Fähigkeiten nutzt, um zwischen dem Mixen von Drinks plötzlich seinem Gegenüber eine Flasche über den Schädel zu donnern, oder beim Sprungkick gegen einen körperlich überlegenen Feind erbärmlich abprallt, dann wirkt das eben nicht wie eine einstudierte Leinwand-Choreografie. Es erscheint viel mehr als improvisierte Aktion eines Überlebenskünstlers, der selbst nie so recht weiß, was er eigentlich tut, aber sich dann doch aus jedem Schlamassel herauswindet – und das passt perfekt zur Figur.
Doch auch wenn solche Momente von Spontanität leben, ist „Uncharted“ allerdings eine ganze Spur zu vorhersehbar. Fast die komplette Handlung lässt sich schon recht früh ziemlich genau vorhersehen. Und selbst die kniffligen Rätsel, die auch einen wichtigen Teil der Spiele ausmachen, haben in der Verfilmung höchstens Schnitzeljagd-Niveau. Da wundert man sich schon, warum 500 Jahre lang keiner auf die Lösung gekommen ist – wobei man fairerweise sagen muss, dass hier das Medium Film auch einen gewaltigen Nachteil hat. Im Videospiel ist eine Rätselunterbrechung ganz natürlich, im Kino wird es da schnell langweilig. Selbst die „Indiana Jones“-Abenteuer als beste Filme des Genres nahmen sich so seltener Zeit, um komplexe Puzzle zu lösen.
Sie überzeugten dafür nicht nur mit Witz und Action, sondern mit exotischen Schauplätzen – auf die „Uncharted“ aber aus unerfindlichen Gründen größtenteils verzichtet. In dem zu großen Teilen in den Babelsberg Studios und in Berlin selbst gedrehten Action-Abenteuer verläuft die Schatzsuche über weite Strecken durch Metropolen wie New York und Barcelona. Und wenn es dann mal auf die Philippinen geht, wird dort ein von Touristen überrannter Strand besucht. Einerseits grenzt sich „Uncharted“ dadurch gelungen vom filmischen Vorbild „Indiana Jones“ ab, andererseits hätten mysteriöse Tempel an abgelegen Orten dem Ganzen dann sicher etwas mehr abenteuerliches Schatzsucher-Feeling verliehen.
Die Schatzsuche beginnt in einem Auktionshaus in New York, wo Nate erstmals auf seinen Rivalen Moncada trifft.
Doch trotz dieser Kritik, die man noch auf einen langweiligen Bösewicht samt austauschbaren Schergen erweitern kann: Regisseur Ruben Fleischer und seine Drehbuchautoren Rafe Judkins („Rad der Zeit“), Art Marcum und Matt Holloway (beide „Iron Man“) verstehen die „Uncharted“-DNA: Sie vermischen gekonnt historische Hintergründe, aufregende Abenteuer, flotte Dialoge und pures Over-the-top-Spektakel. Und sie liefern Fan-Service, wenn das „Uncharted“-Theme erklingt und sofort für Gänsehaut sorgt, während Nate erstmals sein ikonisches Pistolenholster umschnallt.
Und dennoch schreibt Tom Hollands Nathan Drake seine eigene Geschichte. Auch wenn „Uncharted“ als Prequel zu den Videospielen vermarktet wird, handelt es sich in Wirklichkeit um eine alternative Variante der Kennenlerngeschichte zwischen Nate und Sully. Diese ermöglicht es Fleischer und Co., sich darauf zu fokussieren, den Geist der Vorlage einzufangen, ohne sich sklavisch an eine Kontinuität der Videospiele halten zu müssen. Eine gute Entscheidung und auch die Fans sollten Tom Holland und Mark Wahlberg als alternative Interpretation von Nate und Sully akzeptieren – dann werden sie ihren Spaß mit „Uncharted“ haben.
Fazit: „Uncharted“ ist ein gelungenes Blockbuster-Abenteuer, welches sowohl Fanservice als auch überdrehte Action-Sequenzen bietet.