Mein Konto
    The Human Centipede 2
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    0,5
    katastrophal
    The Human Centipede 2
    Von Jan Hamm

    The Human Centipede (First Sequence)" mag noch jung sein – einen Platz in der Internet-Popkultur hat sich der Niederländer Tom Six mit seinem Skandalfilm von 2009 aber längst gesichert. Und das nicht erst seit der „South Park"-Episode „HUMANCENTiPAD". Dabei ist der in den Produktionsnotizen zum „most horrific movie ever made" erklärte Film eigentlich recht unblutig bebildert. Vielmehr war es das bloße Konzept – ein Josef-Mengele-Verschnitt näht drei Menschen aneinander, um eine durchgängige Verdauungskette zu schaffen –, das via Flüsterpost mal zur Gore-Offenbarung, mal zur letzten aller Geschmacklosigkeiten hochgejazzt wurde. Mit „The Human Centipede 2 (Full Sequence)" erzählt Six jetzt nicht etwa eine Geschichte weiter, nein, diese Fortsetzung ist ein Kommentar zur Rezeption des Vorgängers. Und weil besonders hartgesottene Gorefans lautstark über dessen in ihren Augen allzu zahme Bilder klagten, deutet Tom Six das Kino nun zum Kolosseum um - „The Human Centipede 2" ist schmutzig, offensiv brutal und abstoßend nihilistisch.

    Tiefgaragen-Pförtner Martin Lomax (Laurence R. Harvey) ist klein, fett, verschwitzt, mutmaßlich stumm und ganz sicher zurückgeblieben. Zuhause hat er sein Leben lang nur Demütigung erlebt. Die Mutter (Vivien Bridson) ist eine fiese Sadistin und sein rauschebärtiger Psychiater Dr. Sebring (Bill Hutchens) schickt sich an, die sexuellen Übergriffe des eingebuchteten Vaters fortzuführen. In der Sicherheit seiner Pförtnerkammer also frönt Martin seiner einzigen Leidenschaft. Immer wieder läuft „The Human Centipede" auf seinem Laptop durch. Mit täuschenden Anrufen lockt er Centipede-Darstellerin Ashlynn Yennie zu einem angeblichen Quentin-Tarantino-Casting nach London, um sie in sein Lebenswerk einzureihen – ein menschlicher Tausendfüßler mit durchgängigem Verdauungstrakt, der hier jedoch nicht nur drei, sondern gleich zwölf Glieder haben soll...

    „The Human Centipede 2" beginnt mit der letzten Einstellung des Vorgängers. Dann fährt die Kamera zurück und zeigt Centipede-Fan Martin vor seinem Laptop, der bei besonders fiesen Szenen auch gerne mal Hand anlegt – und zwar mit Schmirgelpapier: Regisseur Six versucht sich in Selbst- und Medienreflexion. Wohin das allerdings führen soll, bleibt vage. Will er diese widerwärtige Kreatur am Rande des Menschseins mit seinem blutdürstigen Publikum gleichsetzen? Oder ist Martin, der nicht zwischen Genre-Fiktion und Handlungsanweisung unterscheiden kann, eine Überspitzung des Bildes, das entrüstete Sittenhüter seit jeher von Splatterfans zu zeichnen versuchen? In jedem Fall sind anderthalb Stunden Martin eine Belastungsprobe: Wenn Six sein Ungetüm als hilfloses Kleinkind im heimischen Verlies zeigt und der lüsterne Vater als Echo im Off erklingt, erzwingt er eine Nähe zu Martin, der man um alles in der Welt entfliehen möchte.

    Bis dahin könnte „The Human Centipede 2" noch als Experiment mit Erzählperspektiven durchgehen. Wenn Ashlynn Yennie munter über die Dreharbeiten zum ersten Film losplappert, ehe auch sie in Martins Schmutzfingern landet, bestätigt sich jedoch: „The Human Centipede 2" ist vor allem eine mit Schwarz-Weiß-Bildern zum prätentiösen Kunstwerk stilisierte Nabelschau. Eine Dramaturgie ergibt sich hier höchstens über die akribische Vorbereitung des finalen Exzesses. Und der wiederum ist Spott und Hohn auf die Rezeption des Vorgängers. Wem „The Human Centipede" bereits zu heftig war, dem wird das Wort von damals hier im Mund herumgedreht. Denn im Vergleich zur „First Sequence" ist die „Full Sequence", wie von Six vollmundig angekündigt, in der Tat harmlos wie ein "Ausflug auf den Ponyhof". Wo 2009 mit Dr. Heiters (Dieter Laser) Erläuterung des Centipede-Konzepts noch Horror-Kopfkino betrieben wurde, wird 2011 jeder Hammerschlag in die Zahnleiste mit schaulustigen Nahaufnahmen begleitet.

    Mit „The Human Centipede 2" hat Six kaum mehr zu sagen, als dass Kino-Gewalt durch mehr Kino-Gewalt relativierbar ist. Da kann er noch so vehement auf sein erklärtes Vorbild Pier Paolo Pasolini verweisen: „The Human Centipede 2" ist nicht „Die 120 Tage von Sodom" und ist auch nicht mit anderen Skandalfilmen der jüngeren Vergangenheit abgleichbar. Anders als Pasolini, Gaspar Noé („Irreversibel") oder Srđan Spasojević („A Serbian Film") bietet Six keine Auseinandersetzung mit Gewalt an. Anders als James Wan („Saw") oder Eli Roth („Hostel") bettet er sein Schlachtfest nicht einmal in eine Genre-Dramaturgie zum Mitfiebern ein. Hier regiert die blanke Lust am Leid – wenn Six dann sogar die Kameralinse und damit letztlich auch sein Publikum mit Exkrementen vollspritzt, dürfen sich nicht nur Psychoanalytiker ihren Teil denken.

    Fazit: „The Human Centipede 2" ist eine narzisstische Reaktion auf den Wirbel um seinen Vorgänger, ein Film der zynischen Provokation. Darf man das? Sicher. Muss man das gesehen haben oder gar zum Kult erklären? Ganz sicher nicht!

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top