„Wunderkinder"-Regisseur Marcus Rosenmüllerwäre leicht mit einem anderen Rosenmüller zu verwechseln, wäre nicht sein mittlerer Name – Otto – im Vorspann eingefügt worden. Und das zu Recht, denn die Verwechselungsgefahr besteht auch über den Namen hinaus. Beide Filmemacher, sowohl Marcus Otto, als auch Marcus Heinrich, wuchsen im bayerischen Land am Tegernsee auf und schlossen die geschätzte Filmhochschule in München ab. Marcus Heinrich wurde mit „Wer früher stirbt, ist länger tot" und „Die Perlmutterfarbe" bekannt – jetzt zieht der andere Rosenmüller nach, und zwar als Regisseur und Co-Autor des Weltkriegsdramas „Wunderkinder", produziert vom renommierten Artur Brauner und dessen Tochter Alice. Zwar fällt die historisch unpräzise Ausstattung negativ ins Gewicht, die tollen Kinderdarsteller und die bewegende Musik machen „Wunderkinder" dennoch zu einem lohnenswerten Kino-Erlebnis.
Wir schreiben das Jahr 1941. In einem kleinen Örtchen namens Poltawa in der Ukraine leben Larissa (Imogen Burrell) und Abrascha (Elin Kolev). Beide spielen leidenschaftlich klassische Musik und nehmen Unterricht bei Lehrerin Irina Salmonova (Gudrun Landgrebe). Der Ruhm der jungen Klavierspielerin und des Geigers wächst, bald spielen sie sogar in Moskau für Generalsekretär Stalin. Es folgen weitere Auftritte und eine Einladung nach Amerika. Zurück in Poltawa werden ihre Erfolge von Hanna Reich (Mathilda Adamik), Tochter eines deutschen Brauers und selber leidenschaftliche Geigenspielerin, verfolgt. Ihr sehnlichster Traum ist es, Larissa und Abrascha kennenzulernen und Unterricht bei ihrer Lehrerin zu nehmen. Bloß, Larissa, Abrascha und Irina sind jüdischer Abstammung und der Zweite Weltkrieg ist bereits ausgebrochen. Trotz Verbot entwickelt sich zwischen Hanna und den jüdischen Kindern eine innige Freundschaft, die im Krieg auf eine harte Probe gestellt wird. Erst verstecken die Eltern von Abrascha und Larissa die Reichs während der russischen Besatzung, dann hilft Hannas Vater Max (Kai Wiesinger) den jüdischen Familien, als die Deutschen in die Ukraine kommen...
Die Liebe zur Musik und die daraus erwachsende Freundschaft verbinden Nationen, so die Idee hinter Rosenmüllers Film; nur so können seine Protagonisten dem Grauen des Krieges trotzen. Der Berliner Filmproduzent Artur Brauner (92), der selbst Familienmitglieder im Holocaust verlor, hatte diese Idee gemeinsam mit seiner Tochter Alice (44). Danach wurden Stephen Glantz, Rolf Schübel und Marcus O. Rosenmüller an Bord geholt, um das Projekt auf Kurs zu bringen. Rosenmüller und sein Team haben sich für ihre Aufarbeitung des Dritten Reiches für die mehrfach bewährte Kinderperspektive entschieden, wie vor ihnen etwa Roberto Benigni mit „Das Leben ist schön" oder Mark Herman mit „Der Junge im gestreiften Pyjama". Die Bilder einer mit Kinderaugen beobachteten Welt sind in der Tat liebevoll gestaltet, allerdings zeigen sich die Filmemacher bei der historischen Ausstattung der Szenen wenig geschickt: Beispielsweise unterläuft ihnen ein Lapsus bei der Gestaltung des sowjetischen Wappens.
Auch die Darstellung der kindlichen Reaktionen befremdet, denn spätestens mit dem zehnten Lebensjahr ist eine derart naive Reaktion auf dramatische Kriegsereignisse schlichtweg unrealistisch. Das ist allerdings ein konzeptuelles Problem und keineswegs die Schuld der unter 400 Bewerbern ausgewählten Jungdarsteller, die die wahren Stars des Films sind – ganz einfach schon deshalb, weil sie ihrer Bezeichnung als „Wunderkinder" in der Tat entsprechen. Neben Imogen Burrell und Mathilda Adamik ist das Ausnahmetalent Elin Kolev zu sehen. Wenn der 14-jährige Violinist aus Zwickau seine musikalischen Auftritte hat, werden nicht nur die Musikliebhaber im Kinopublikum tief bewegt sein. So bewirkt die Musik in der Tat ein Wunder: Beim Zuhören vergisst man glatt alle kinematografischen Mängel des Films – und behält vielleicht sogar im Kopf, dass es Marcus Otto Rosenmüller und nicht sein Namensvetter war, der diese Momente mit „Wunderkinder" auf die Leinwand gebracht hat.