Ein wilder, zauberhafter Trip mit holprigem Finale!
Endlich ist er da, der letzte Hayao Miyazaki-Film… schon wieder. Sein bisher letzter Film erschien 2013: „Wie der Wind sich hebt“. Dann ein Jahrzehnt später, kehrt Miyazaki zurück und präsentiert und Studio Ghiblis neusten Film „Der Junge und der Reiher“. Das Studio hatte in den letzten Jahren leider kaum noch Erfolge. Das 3D-Desaster „Aya und die Hexe“ erschien 2020 und davor war „Die rote Schildkröte“ in 2016 der letzte gute Film des Studios. Die Anzahl an Ghibli-Filmen, die zur Zeit in die Kinos kommen, ist deutlich gesunken. Während zwischen 1986 und 2014 (also fast 30 Jahre) fast jedes Jahr ein Anime-Film in die Kinos kam, ist es nun eine Seltenheit geworden. Aber ok, wenn das Endergebnis gut wird, beklage ich mich nicht. Und Miyazakis neuester Film ist definitiv gut, wenn auch nicht perfekt…
Die Geschichte dreht sich um den kleinen Mahito, der im zweiten Weltkrieg seine Mutter bei einem Brand verliert. Mahito und sein Vater flüchten aufs Land, wo der Papa eine neue Frau kennenlernt. Ein neues Leben beginnt für Mahito, doch der hat immer wieder Alpträume von seiner verstorbenen Mutter. Daher fällt es ihm auch schwer sich seiner neuen Stiefmutter Natsuko anzunähern. Eines Tages bemerkt Mahito schließlich einen seltsamen Reiher, der nicht nur spricht, sondern auch magische Kräfte hat. Dieser führt Mahito in eine sonderbare, aber magische Welt…
Miyazaki ist mittlerweile über 80 Jahre alt und hat nach wie vor ein Talent einzigartige Welten zu erschaffen. Seine Werke haben Studio Ghibli groß und populär gemacht und „Prinzessin Mononoke“ ist nach wie vor einer meiner Lieblingsfilme überhaupt. Dennoch kann auch ein Miyazaki-Film ab und zu schwächeln. Das Paradebeispiel ist für mich „Das wandelnde Schloss“ von 2004. Ein Film, der eine wunderschöne Welt und spannende Figuren etabliert, aber sich dann immer mehr in seinem wirren Plot verliert. Und sehr ähnliche Probleme hat auch dieser Film. „Der Junge und der Reiher“ ähnelt tatsächlich vielen Ghibli-Miyazaki-Werken. Es gibt unzählige Momente, die mich an andere seiner Filme erinnert haben. Wenn man den Großteil seiner Filme kennt, ist das natürlich nicht groß verwunderlich, dennoch fiel es mir dieses Mal stärker auf als sonst. Am ehesten kann man „Der Junge und der Reiher“ mit „Chihiros Reise ins Zauberland“ vergleichen, denn auch dort driftet ein Kind in eine magische Welt ab, die zwischen schönen und grauenvollen Momenten wechselt. Dieses Mal ist es aber vor allem die emotionale und teils traumatische Bindung an Mahitos Mutter, die die Story voran treibt. Und mir gefällt es immer, wenn die Hauptfiguren in den Ghibli-Filmen mit einem schweren Problem kämpfen und durch ihre meist magischen Abenteuer lernen mit ihren Gefühlen und Ängsten umzugehen. Das geschieht auch hier. Nur leider geht dieser Fokus in meinen Augen im Laufe der Story etwas unter.
Keine Frage, der Film ist optisch ein Fest, wie immer bei Ghibli und Miyazaki. Der Film strotzt vor Ideenreichtum und es gibt viele Bilder, die mal wundervoll und dann auch wieder alptraumhaft wirken können. Die erste Hälfte des Films hat mich auch wirklich begeistert, denn der Film hatte einige düstere und fast schon Horror-artige Aspekte an sich. Wenn es dann aber in die magische Welt des Turms geht, passiert leider das, was auch in „Das wandelnde Schloss“ passiert: Die Handlung verliert sich in ihrer eignen Größe. „Der Junge und der Reiher“ will vieles auf einmal und für mich ist es zu viel. Dabei beginnt die Geschichte sehr ruhig und simpel, im Laufe jedoch überschlagen sich die Ereignisse, neue Figuren werden gefühlt minütlich eingeführt und es gibt zu viele, vage Regeln. Ich wünschte mir sehr, dass der Film sich im letzten Drittel mehr Zeit gelassen hätte. Gerade eine wichtige Beziehung von Mahito zu einer Figur im Film wird innerhalb einer Minute abgefertigt. Der Film ist dann auch recht abrupt zu Ende und lässt kaum Zeit, das Gesehene richtig einzuordnen. So wurde ich dann leider auch ab und zu aus dem Geschehen herausgerissen…
Das klingt vielleicht alles negativer als es ist, immerhin erkennt man trotzdem eine wahnsinnige Leidenschaft von Miyazaki zu allem. Alles hat seine Berechtigung, nichts passiert zufällig und das finde ich schön. Trotzdem denke ich, dass „Chihiros Reise ins Zauberland“ mit dieser Grundidee viel besser umgegangen ist. Auch wenn sich die Ereignisse überschlagen haben, so konnte man doch Chihiro und ihren Zielen immer klar folgen. Alles war etwas fokussierter. Vielleicht ändert sich meine Meinung aber auch beim zweiten Sehen, wer weiß. Für jetzt jedoch bin ich doch etwas überfordert mit dem, was gerade im Finale des Films passiert.
Die Animationen sind bahnbrechend, die Musik von Joe Hisaishi sehr stark (diesmal mit viel Klaviereinsatz) und der Film kreiert wieder eine Welt, in der man sich auch gerne verliert. Auch die Figuren sind allesamt charmant und was ich besonders liebe: Es gibt eigentlich nie einen richtigen Antagonisten in diesen Filmen, so auch hier.
Fazit: „Der Junge und der Reiher“ ist ohne Zweifel ein sehenswertes Anime-Werk von Ghibli, das sicherlich viele Fans auch lieben werden. Auch ich kann dem Film viel abgewinnen, trotz der Tatsache, dass der dritte Akt zu viel des Guten war. Dieser Film ist ohne Zweifel ein besonderes Werk in unserer heutigen Zeit und qualitativ so viel besser als der Großteil, den man aus Hollywood serviert bekommt. Ein berauschendes, magisches Abenteuer, das seine Ecken und Kanten hat, aber am Ende ein tolles Erlebnis bereithält.