Mit dem 1992 erschienenden Film Aus der Mitte entspringt ein Fluss erschuf der Filmemacher und Schauspieler Robert Redford nicht nur ein von der Kritik viel gelobtes Werk, sondern ebnete auch den Weg für Frauenschwarm Brad Pitt, der im Verlauf seiner Karriere beachtlichen Starruhm erlangte. Weniger illustre, dafür aber noch talentiertere Schauspieler versammeln sich in dem Liebesdrama „Der Pferdeflüsterer“, der fünfte und erfolgreichste Film, bei dem Redford Regie führte.
Eine menschenleere Wüste. Majestätisch galoppiert ein Pferd einen kleinen Hügel hinauf. Die Zeit scheint still zu stehen in dieser in monochromem Schwarz-Weiß gehaltenen Welt. Als der Traum verblasst, gibt der Film den Blick frei auf ein junges Mädchen von 14 Jahren. Gelassen macht sich Grace (Scarlett Johansson) bereit auf ihr Hobby, das Reiten, das so maßgeblich ihr Leben bestimmt. Draußen trifft sie sich mit ihrer besten Freundin Judith (Kate Bosworth). Beide reden über einen Jungen, den sie süß finden, und satteln ihre Pferde. Sie reiten über weite Felder hin in die Wälder, durch die auch eine Verkehrsstraße verläuft. Bald darauf verliert Judith die Kontrolle über ihr Pferd, verhakt sich im Steigbügel und rutscht einen Abhang hinunter, der zur Straße führt. Grace will ihrer Freundin helfen, doch die Situation eskaliert, als ein Lastwagen auf dem Weg auftaucht. Grace wird von ihm erfasst, ihr Pferd Pilgrim, das sie retten wollte, überschlägt sich. Judith und ihr Brauner erliegen noch an der Unfallstelle ihren Verletzungen. Grace wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, wo ihr die Ärzte das linke Unterbein amputieren müssen. Als sie aufwacht, warten schon ihre psychisch angeschlagenen Eltern auf sie. Der Schock sitzt tief. Graces Mutter Annie (Kristin Scott Thomas), ein Workaholic, scheint überfordert mit der Situation, die ihr sonst so geregeltes Leben aufrüttelt. Sie wird nicht nur mit ihrer verstörten Tochter konfrontiert, sondern auch mit der Entscheidung, ob Pilgrim, aufgrund seiner schweren Verletzungen, eingeschläfert werden soll. Mit dem „Nein“ zur Einschläferung des Pferdes beginnt jene faszinierende Reise von Mutter und Tochter, die sie quer über den nordamerikanischen Kontinent nach Montana führt, wo ein Mann namens Tom Booker (Robert Redford) lebt, der die Gabe besitzt, sich in die Psyche von Pferden hineinzuversetzen und sie von ihren Schmerzen zu befreien. Booker, ein wortkarger Aussteiger, züchtet dort, auf der Farm seines Bruders Frank (Chris Cooper), Rinder. Landwirtschaft und Natur bedeuten ihm alles, doch dann tritt Annie in sein Leben, und nicht nur für ihn verändert sich vieles...
Romantische Sonnenuntergänge, scheinbar endlose Felder, umschlossen von schneebedeckten Bergketten; weiße Pferde und zahllose Rinder, die Tag für Tag auf grünen Wiesen grasen: Auf den ersten Blick wirkt Robert Redfords „Der Pferdeflüsterer“ wie ein altmodischer Western, wo Männer noch echte Männer sind und lieber scharf geschossen wird als gefragt. Doch es bleibt nicht bei den typischen Rollenklischees in dieser wie ein Traum anmutenden Welt: Redford spielt nicht den Cowboy, sondern verleiht seiner Figur des Tom Booker reiferen Charakter. Er ist von seiner enttäuschenden Ehe mit einer Städterin gezeichnet, die ihn verlassen hat, weil das Leben auf dem Land nicht ihres war. Unnahbar erscheint er, bis er Annie und Grace kennen lernt. Annie ist leitende Redakteurin bei einer Modezeitschrift. Ihr Leben verbringt sie mehr in ihrem Büro als in ihrem Zuhause bei Tochter und Mann. Ihr Ansehen und beruflicher Stand sind wichtiger als ihre Familie; die Ehe mit ihrem Mann Robert (Sam Neill), ein Anwalt, scheint zu bröckeln, genauso wie die Beziehung zu ihrer Tochter Grace.
Während ihres Aufenthalts bei den Bookers verändert sich Annie. Sie verliebt sich neu und lernt das Landleben kennen, das sie genauso verzaubert wie ihre Tochter Grace, die psychisch noch immer angeschlagen ist. Sie leidet unter depressiver Verstimmung, denkt, durch den Verlust ihres Beines könne sie nie weder reiten. In der Schule wird sie ausgegrenzt und ihre Eltern sind hoffnungslos überfordert mit der Situation. Grace entwickelt sich im Verlauf des Films zu einem zynischen Menschen. Neuen Lebensmut bekommt sie nur durch Tom, der immer wieder auf sie einredet und versucht, Graces Pferd seiner Besitzerin wieder anzunähern. Der eigentliche Hauptcharakter des Films, in dem alle anderen sich sozusagen konzentrieren, ist allerdings Pilgrim: Der wilde Hengst ist durch den Unfall sichtlich verstört und lernt erst ganz langsam wieder den Umgang mit Menschen. Aggressiv reagiert er auf äußere Einflüsse, sei es nur einfaches Handyklingeln, das ihn auf die Felder fliehen lässt oder der Kontakt mit Menschen. In einer ergreifenden Szene läuft Booker dem Pferd hinterher und hockt sich zu ihm ins Feld, wo ihn das Tier näher an sich heran lässt. Im Herzen wild, durch den Menschen gezähmt und als Nutztier gebraucht, existiert hier, wie am Anfang von „Der Pferdeflüsterer“ vorausgeschickt, eine Art Freundschaft zwischen Mann und Pferd, zwischen Tom und Pilgrim.
In prachtvollen Bildern präsentiert sich „Der Pferdeflüsterer“, der eine traumähnliche Welt zeichnet, in der im Radio Country-Musik (der Song „A Soft Place To Fall“ von Allison Moorer wurde für den Oscar nominiert) zu hören ist, bei einem gemütlichen Lagerfeuer auf der Gitarre gespielt und dazu gesungen oder bei Festen auf dem Lande wild getanzt und getrunken wird. Die Musik ist fester Bestandteil des Films, und es ist ein Segen, dass der Regisseur auf einen opulenten Hollywood-Score à la Hans Zimmer oder Danny Elfman verzichtet hat. Redford zeigte seine Liebe zum Western und den ländlichen Gegenden der USA schon als Darsteller im gefeierten Zwei Banditen (1969) und tut es auch in „Der Pferdeflüsterer“, der mehr als 4 Millionen Deutsche in die Kinos lockte und zum Blockbuster des Jahres 1997 avancierte. Etwas weniger Melodramatik und eine stringentere Handlung hätten diesem mit einer stolzen Länge von 169 Minuten gesegneten Werk allerdings zu mehr Klasse verholfen.