Der Duden definiert den Term „Peripherie" als „Randgebiet, -bezirk, -zone". Rumänien ist Peripherie, die Peripherie Europas. Von Deutschland aus noch hinter Bulgarien und der Ukraine liegt Rumänien im geografischen Grenzraum zwischen Mittel- und Südeuropa. Doch nicht nur räumlich ist die Republik ein Randgebiet. Rumänien gehört zu den sogenannten „Transformationsländern", die sich erst durch die Einbindung in die EU für das Prädikat „Erste-Welt-Land" qualifizierten. Mit seinem ersten Spielfilm „Periferic" macht der rumänische Regisseur Bogdan George Apetri ein nüchternes Porträt seiner Heimat zur Bühne eines episodenhaft erzählten starken Charakterdramas.
Matilda (Ana Ulura) sitzt unschuldig im Gefängnis. Für die Beerdigung ihrer Mutter bekommt sie genau einen Tag Freigang. Zuvor wird ihr noch einmal eingebläut, dass sie spätestens am nächsten Morgen um sechs Uhr wieder zurück sein muss. Doch Matilda hat andere Pläne und nutzt die 24 Stunden, um ihre Flucht aus Rumänien zu organisieren: Am Ende des Abends will sie von der Hafenstadt Constanta aus mit einem Schiff in Richtung Freiheit fahren. Doch vorher muss sie neben der Beerdigung ihrer Mutter noch einiges arrangieren. In dem kurzen Zeitfenster, durch das sie in die Freiheit springen will, trifft sie ein letztes Mal auf die Menschen, die ihr Leben maßgeblich geprägt haben...
Wen würdest du aufsuchen, wenn dir nur 24 Stunden bis zum endgültigen Abschied von der Heimat blieben? Matilda beantwortet sich diese Frage recht pragmatisch. In der ersten der drei Episoden, aus denen „Periferic" zusammengesetzt ist, trifft sie auf ihren Bruder Andrei und dessen Familie. Trotz seiner Wut auf die eingebuchtete Schwester schwingt dabei immer auch familiäre Zuneigung mit. Seine Zerrissenheit zwischen Familienschande und Geschwisterliebe, überzeugend und ohne falsche Note dargestellt von Andi Vasluianu („Bibliothèque Pascal"), gipfelt am Gartentor nach dem Leichenschmaus der Familie in einer der stärksten Szenen des Films.
In den beiden folgenden Episoden gewährt uns Regisseur Apetri weitere Einblicke in Matildas traurige Vergangenheit. Da taucht etwa ihr von Mimi Branescu („Ehrenmedaille") wunderbar widerwärtig dargestellter Ex-Freund auf, der Zuhälter und Hotelbesitzer Paul, der Frauen wie Ware behandelt. Die ganz großen Gefühle folgen dann im dritten und letzten Abschnitt, vor allem im so vorhersehbaren wie konsequenten Finale. Irritierend ist hier allerdings, dass Apetri seine Episoden nicht schlüssig ineinanderfließen lässt. Stattdessen würde hier jeder gut 30 Minuten lange Block auch problemlos als eigenständiger Kurzfilm funktionieren.
Auch die Inszenierung wirkt gelegentlich etwas selbstzweckhaft verkünstelt. So ist Matilda für rund die Hälfte des Films nur von hinten zu sehen. Mit dieser Schulterperspektive wird zwar eine intuitive Identifikation ermöglicht, die nutzt sich aufgrund der inflationären Anwendung dieses Regie-Tricks allerdings auch schnell wieder ab. Deutlich eleganter wirkt dagegen Apetris sanfte Betonung einiger Leitmotive, etwa wenn immer wieder Taschentücher gezückt und schweißnasse Gesichter betupft werden. Die bedrückende Situation Matildas wirkt dank der so hervorgehobenen Hitze eines unerträglich heißen Sommertages umso intensiver.
Ein weiteres Leitmotiv ist die Zigarette: Vom Lastwagenfahrer über die Hauptfiguren bis hin zu den im Heim lebenden minderjährigen Kindern – fast alle ziehen durchgehend am Glimmstängel, insbesondere in den Szenen, mit denen Apetri die angespannte Beziehung zwischen Matilda und ihrem Bruder beleuchtet. Auch führt der permanente Zigarettenkonsum der Figuren zum wohl wirkungsvollsten und nachhaltigsten Moment des Films, als Hauptdarstellerin Ana Ulura („Serena") gut fünf Minuten vor dem Abspann zum ersten und einzigen Mal lacht.
Fazit: Mit seinem Debütfilm „Periferic" zeichnet Bogdan George Apetri ein angenehm unsentimentales Porträt seiner Heimat Rumänien ohne Schminke, Schnick-Schnack und Abendkleid - ungeschönt wie seine Protagonistin Matilda selbst.