Das Leben ist kostbar – so lautet nicht nur der plakative deutsche Untertitel zu Lee Daniels' zweifach Oscar-prämiertem Sozialdrama „Precious", sondern auch die Botschaft von „Suicide Club", dem vielversprechenden Spielfilmdebüt des Kasseler Regisseurs Olaf Saumer. Die sympathische, unaufdringliche Tragikomödie eröffnete in diesem Jahr das Unabhängige Filmfest in Osnabrück und verknüpft auf originelle Art und Weise die Einzelschicksale fünf hoffnungsloser Seelen, die mit dem Leben viel zu früh abgeschlossen haben. Frei von Kitsch und jeder Rührseligkeit meistert Saumer trotz eines etwas zu hektisch inszenierten Auftakts in seinem Ensemblefilm die humorvolle Aufarbeitung einer ebenso ernsten wie aktuellen Thematik.
Pünktlich zum Sonnenaufgang treffen sich fünf Menschen, die voneinander nicht einmal die Namen kennen, auf einem Hochhausdach. Lothar (Klaus-Dieter Bange), Gisela (Hildegard Schroedter), Silvi (Katja Götz), Mark (Mathieu Süsstrunk) und Fabian (Arne Gottschling) teilen alle dasselbe Ziel: Sie wollen gemeinsam in den Tod springen. Doch eine unglückliche Verkettung von Ereignissen macht den Fünfen vorerst einen Strich durch die Rechnung – schließlich will man nicht direkt vor den Augen der Zeitungsausträgerin oder der Müllabfuhr auf dem harten Straßenpflaster landen. Wohl oder übel wird der tödliche Sprung also auf den Abend verschoben und bis zum Sonnenuntergang gemeinsam auf dem Dach ausgeharrt. Aus der anfänglichen Distanz und Ablehnung erwächst eine ungeahnte Gemeinschaft, die schon bald auf die erste Probe gestellt wird...
Olaf Saumer, der gemeinsam mit seinem Bruder Martin Saumer auch das Drehbuch zu „Suicide Club" schrieb, wählt mit dem abgeschotteten Hochhausdach einen Schauplatz fern des städtischen Alltagstrubels, der anfangs nicht gerade den Eindruck erweckt, als sollten sich dort in den nächsten 90 Minuten die Ereignisse überschlagen. Umso erstaunlicher ist es daher, dass die Macher im Verlauf des Films keine einzige Minute Langeweile aufkommen lassen. Zähe Dialogpassagen werden bereits im Keim erstickt, stattdessen jagt ein gelungener Einfall den nächsten. Der zynische Skater Mark, der aufbrausende Geschäftsmann Lothar, der von seinen Mitschülern gemobbte Fabian, die launische Göre Silvi und nicht zuletzt Hausmütterchen Gisela mit ihren esoterischen Heilsteinen – die fünf Selbstmörder mögen auf den ersten Blick bekannte Stereotypen verkörpern, doch mit zunehmender Spieldauer fallen die Fassaden der Charaktere gleich reihenweise in sich zusammen. Weil Saumer das Geheimnis um die Lebensgeschichten seines vielschichtig angelegten Quintetts angenehm spät lüftet, hält er den Zuschauer bis zum Schluss bei der Stange. Wer steckt wirklich hinter Silvi, Lothar & Co.? Trotz Flaschendrehen und reichlich Zeit zum Plaudern bleiben die Beweggründe für den Kollektivsuizid lange im Nebel.
Im Hinblick auf die Erzählstruktur zeigen die Saumer-Brüder ein feines Gespür für den stimmigen Rhythmus, variieren gekonnt das Tempo und platzieren die überraschenden Wendepunkte mit hervorragendem Timing. Mehr als einmal passiert exakt in dem Moment etwas Unerwartetes, in dem sich eine Länge einzuschleichen droht. Dabei meistert der Film mit Brillanz den kniffligen Drahtseilakt zwischen tiefgründiger Charakterstudie und unbeschwerter Feel-Good-Komödie und entwickelt sich im Mittelteil phasenweise gar zur waschechten Groteske. Zu den witzigsten Passagen zählt dabei eine Badezimmersequenz in einer Dachgeschosswohnung, die zunächst Erinnerungen an die berühmte Nora-Tschirner-Szene in „Keinohrhasen" weckt, sich aber schnell zu einem brüllend komischen Telefonsex-Intermezzo mausert. Trotz dieses kurzen Abstechers bewahrt „Suicide Club" seine nachdenkliche Grundhaltung und verliert sein eigentliches Ziel – den kollektiven Sprung in die Tiefe – nie aus den Augen.
Der überwiegend namenlose Cast – einzig das Gesicht von Hildegard Stroedter („Das Leben der Anderen", „Der Vorleser") dürfte dem einen oder anderen Zuschauer bekannt vorkommen – erledigt seine Aufgabe über weite Strecken zufriedenstellend. Klaus-Dieter Bange und Mathieu Süsstrunk neigen bei ihren emotionalen Streitgesprächen in der Auftaktphase hin und wieder zur Übertreibung, ohne ihren Figuren allerdings nachhaltig Schaden zuzufügen. Vielmehr ist dies der anfänglich noch etwas zu hektischen, theaterhaften Inszenierung geschuldet, die „Suicide Club" aber schon nach wenigen Minuten ablegen kann. Unterm Strich steht so trotz holprigem Beginn ein sehenswerter Geheimtipp, der seine begrenzten Möglichkeiten fast vollständig ausschöpft, ohne sich dabei zu ernst zu nehmen.