Obwohl sie als Hauptdarstellerin in „Daisy Diamond" bereits zwei dänische Filmpreise abgestaubt hatte, war die Schwedin Noomi Rapace bis vor gut zwei Jahren international noch weitgehend unbekannt. Das änderte sich schlagartig mit der Verfilmung von Stieg Larssons „Millennium"-Trilogie. Die Rolle der punkigen Hackerin Lisbeth Salander machte sie auch außerhalb Nordeuropas berühmt. Der Ruf aus Hollywood ließ nicht lange auf sich warten. Demnächst ist die Darstellerin in Guy Ritchies „Sherlock Holmes 2: Spiel im Schatten" zu sehen, und Ridley Scott wollte sie unbedingt für sein „Prometheus"-Projekt haben. Doch nun ist sie erst nochmal mit einer kleineren Produktion am Start und zeigt wieder eine eindrucksvolle Leistung: Es handelt ich um das Drama „Bessere Zeiten", das auf dem gleichnamigen Roman von Susanna Alakoski basierende Regiedebüt der Schauspielerin Pernilla August.
Leena (Noomi Rapace) tobt gerade mit ihrem Gatten Johan (Noomis Ex-Mann Ola Rapace) und ihren beiden Töchtern im Bett herum, als das Telefon klingelt. Leena nimmt den Hörer ab – und legt gleich wieder auf. Am anderen Ende der Leitung war ihre Mutter Aili (Outi Mäenpää), zu der sie schon lange keinen Kontakt mehr hatte. Kurz darauf bimmelt es erneut. Nun ist jemand von einem Krankenhaus in Ystad am Apparat. Ihre Mutter läge im Sterben, Leena solle bitte sofort kommen. Die will aber partout nicht. Erst auf das energische Drängen ihres Mannes hin, der so gut wie nichts über die Eltern seiner Frau weiß, besinnt sie sich eines Besseren. Schließlich reist die ganze Familie nach Ystad. Unterwegs kommen in Leena lange verdrängte Erinnerungen an ihre Kindheit wieder hoch...
In Rückblenden entfaltet Pernilla August, die als Darstellerin mehrmals mit der schwedischen Regielegende Ingmar Bergman („Fanny und Alexander") zusammengearbeitet hat, bruchstückhaft ein erschütterndes Drama. Es handelt von einer Familie, die einst aus Finnland hoffnungsvoll ins schwedische Ystad zog, dort aber nie richtig Fuß fassen konnte. Und es handelt von einem Mädchen, das viel zu früh erwachsen werden musste. Während Vater Kimmo (Ville Virtanen) immer mehr dem Alkohol und Mutter Aili der Depression verfällt und ihre Ehe im Streit-Chaos versinkt, übernimmt Leena (in den Rückblenden gespielt von Tehilla Blad) die Hauptverantwortung für ihren kleinen Bruder Sakari (Junior Blad).
Konsequenterweise schildert Pernilla August das Geschehen in der Vergangenheit aus der Perspektive des Mädchens. Dabei schont sie ihr Publikum nicht. In mitunter grenzwertig drastischen Szenen führt sie dem Zuschauer die desolaten Verhältnisse in Leenas Familie vor Augen, aber sie betreibt keine reine Schwarzmalerei. Zu den Erinnerungen gehören auch einige für Leena glückliche Momente und hier erscheinen die Eltern in einem etwas besseren Licht. Insgesamt zeigt August auf sehr glaubhafte Weise, welche Auswirkungen die Beschäftigung mit der Vergangenheit auf Leenas eigene Ehe hat. So sehr sich Johan auch bemüht: Seine gutgemeinten Hilfsangebote prallen an seiner zunehmend reizbaren Frau ab, die sich schuldig am Schicksal ihres Bruders fühlt. Die ständig im Raum stehende Frage, was aus Sakari geworden ist, wird erst spät beantwortet und sorgt bis zu diesem Moment für zusätzliche Spannung.
Sämtliche Darsteller – egal welchen Alters – fühlen sich gut in ihre Filmfiguren ein. Dabei demonstriert Noomi Rapace, dass sie auch einer weniger exzentrischen Figur als Lisbeth Salander schauspielerischen Glanz verleihen kann. Deutlich wird ihr Können etwa, als ihre Leena der Mutter nach langer Zeit erstmals wieder gegenübertritt. Die Aversion ist spürbar, Rapace muss sie nicht groß zur Schau stellen. Erstaunlicherweise steht ihr die junge Kollegin Tehilla Blad in Sachen Leinwandpräsenz kaum nach. Die Nachwuchs-Aktrice gab übrigens auch bereits in der „Millennium"-Trilogie eine Kostprobe ihres Könnens – schon dort spielte sie als Jung-Lisbeth die jüngere Ausgabe von Noomi Rapaces Figur.
Fazit: Pernilla Augusts Charakter-, Familien- und Sozialdrama ist ein ehrliches und bewegendes Regiedebüt mit einer wieder einmal glänzenden Noomi Rapace in der Hauptrolle.