Paul Rudd ist wohl das, was man bei Schauspielern wenig schmeichelhaft als „auf ein Genre festgelegt" bezeichnet. Schließlich spielte er nicht nur Phoebes Verehrer im Serien-Hit „Friends", sondern übernahm in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Hauptrollen in klassischen romantischen Komödien wie „Liebe in jeder Beziehung", „Hauptsache verliebt" oder zuletzt „Woher weißt du, dass es Liebe ist?" und trat mehrfach als Nebendarsteller in Judd-Apatow-Lustspielen („Jungfrau (40), männlich, sucht...") auf. Damit ist Rudd seit mehr als einem Jahrzehnt fest auf Komödien abonniert, in denen er bisher regelmäßig den Part des gutaussehenden und sympathischen Frauenschwarms übernahm. Umso bemerkenswerter fällt da seine Hauptrolle in Jesse Peretz‘ tragisch angehauchter Komödie „Our Idiot Brother" aus: Rudd ist als Langhaariger mit Vollbart in Achselshirt und Bermuda-Shorts kaum wiederzuerkennen. Und er macht seine Sache gut, denn „Our Idiot Brother" erweist sich vor allem dank seiner spaßigen Hauptfigur als Geheimtipp für alle, die schon an Jeff Bridges als „The Big Lebowski" und an anderen Vollzeit-Versagern ihren Spaß hatten – wenngleich der Film im Vergleich mit dem Meisterwerk der Coen-Brüder nicht ganz mithalten kann.
Tierfreund und Dauerkiffer Ned Rochlin (Paul Rudd) betreibt zusammen mit seiner Freundin Janet (Kathryn Hahn) und seinem Hund „Willie Nelson" eine biodynamische Farm. Der Laden läuft nicht schlecht, doch als sich Ned dazu hinreißen lässt, auf dem Wochenmarkt Cannabis an einen Cop zu verkaufen, landet er für einige Monate hinter Gittern. Nach seiner Entlassung muss er feststellen, dass Janet nicht nur ihren neuen Lover Billy (T.J. Miller) auf der Farm einquartiert hat, sondern auch seinen geliebten Hund nicht wieder rausrücken will. Rat- und obdachlos wendet er sich an seine Familie. Seine drei Schwestern Miranda (Elizabeth Banks), eine toughe Journalistin mit Problemen, den passenden Mann zu finden, Natalie (Zooey Deschanel), eine bisexuelle Hobby-Komikerin, und Liz (Emily Mortimer), ein unglücklich verheiratetes Mauerblümchen mit Vorliebe für Brazilian Waxing, sind deutlich weniger erfreut als seine Mutter Ilene (Shirley Knight), dem chaotischen Bruder ein Dach über dem Kopf anbieten zu müssen. Liz‘ ältester Sohn River (Matthew Mindler) hingegen freut sich über die Gesellschaft des sympathischen Onkels...
Dass Ned Rochlin in der U-Bahn schon mal von fremden Fahrgästen als „Dude" verspottet wird, kommt nicht von ungefähr: Der Bio-Gärtner und Hobby-Dealer fordert zwar nicht im Bademantel Schadensersatz für einen ruinierten Teppich wie Jeff Bridges als Jeffrey Lebowski, würde dafür aber Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um seinen vierbeinigen besten Freund wiederzubekommen – ganz gleich, was der Rest der Menschheit über ihn denkt. Neds kauzige Coolness und seine launisch-absurden Kommentare wecken nicht nur Erinnerungen an die Kultfigur der Coen-Brüder, sondern lassen zuweilen auch an Zach Galifianakis‘ Alan aus den „Hangover"-Filmen denken. Trotz solcher Bezüge zu populären Vorbildern behält „Our Idiot Brother" aber stets seine Eigenständigkeit, wobei der Vorzeige-Chaot Ned der größte Pluspunkt der intelligent-erfrischenden Komödie ist. Die clever angelegte Figur bietet Paul Rudd ausgiebig Spielraum, sich nachhaltig von seinem Frauenschwarm-Image zu emanzipieren, ohne dass der Protagonist vom Autorentrio um Regisseur Jesse Peretz jemals der Lächerlichkeit preisgegeben würde: Dass selbst Ned mit seinem sonnigen Gemüt ernste Töne anzuschlagen vermag, offenbart eine Scharade-Runde im Kreise der Familie – die beste von mehreren gelungenen Sequenzen mit nachdenklichem Unterton.
Ex-Knacki Ned kann zum Ärger seiner drei Schwestern zwar weder einen gescheiten Lebenslauf, noch gute Manieren vorweisen, erweist sich zur Freude des Zuschauers aber als blendend aufgelegter Entertainer und echtes Multitalent: Erst hilft er Miranda als investigativer Journalist und entlockt Stars in Champagnerlaune ihre Geheimnisse, später rettet er als charmanter Chauffeur den Wagen seines untreuen Schwagers Dylan (herrlich trocken: Steve Coogan) vor dem Abschleppdienst. Am spaßigsten fallen seine Auftritte als gönnerhafter Onkel und schonungslos nachbohrender Paartherapeut aus: Während er mit seinem Neffen im Etagenbett heimlich Kampfsport-Videos auf YouTube schaut, verplappert er sich bei dem Versuch, die Beziehungen seiner Schwestern zu kitten, ein ums andere Mal – und bringt bei diesen turbulenten Dialogen mehr ans Tageslicht, als es Miranda, Liz und Natalie lieb sein kann.
Einziger Schwachpunkt der ansonsten starken und vor Situationskomik nur so sprühenden Komödie ist die zu schablonenhafte Ausarbeitung der Nebenfiguren, die insbesondere bei Janet und Miranda negativ auffällt. Während Neds giftig-egoistische (Ex-)Freundin Janet recht oberflächlich mit einigen Öko-Klischees ausstaffiert wird, bleibt die Journalistin Miranda lediglich das müde Abziehbild einer modernen, ambitionierten Karrierefrau. Und der passt es gar nicht, wenn ihr verlotterter Bruder in Bermuda-Shorts im schmucken Hauptquartier der Vanity Fair aufläuft – und ihr dann natürlich binnen Sekunden die Story ihres Lebens vermasselt. Neds trinkfester Mutter Ilene, mit Shirley Knight („Das Dunkel am Ende der Treppe") immerhin mit einer zweifach für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominierten Veteranin besetzt, hätten die Autoren hingegen durchaus etwas mehr Leinwandzeit einräumen können.
Fazit: Mit Zottelmähne und Schlabberlook wandelt Paul Rudd als „Our Idiot Brother" kultverdächtig auf den Spuren von Jeff Bridges‘ „Dude" Lebowski und kann sich erfolgreich von seinem Image als romantischer Held lösen. Die unterhaltsame Komödie leidet lediglich unter einigen klischeebeladenen Nebenfiguren, die nicht ganz so originell ausfallen wie der sympathische Protagonist und Hundefreund.