Schon für sein 2000 in Cannes uraufgeführtes Langfilmdebüt „Amores Perros“ erntete Alejandro González Iñárritu zahlreiche Lorbeeren, bevor er sich mit „21 Gramm“ und „Babel“ endgültig als zeitgenössischer Meisterregisseur etablierte. Auf das zermürbende Melodram „Biutiful“ ließ der Mexikaner mit „Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ schließlich eine wuselige Satire auf das Showgeschäft folgen, die ihm persönlich gleich drei Oscars einbrachte (Bester Film, Beste Regie, Bestes Original-Drehbuch). In seinem sechsten Kinofilm schlägt Iñárritu nun wieder einen gänzlich anderen Ton an als in „Birdman“, dessen Humor in „The Revenant – Der Rückkehrer“ wie weggefegt ist. Aus dem gleichnamigen Roman von Michael Punke über die wahre Geschichte des Trappers Hugh Glass, die als „Ein Mann in der Wildnis“ bereits 1971 sehr frei verfilmt wurde, zimmert der Regisseur einen grimmigen Survival- und Rache-Thriller im Gewand eines Westerns. Neben dem willensstarken Iñárritu und dem Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio, der sich seiner in jeder Hinsicht extremen Rolle mit Leib und Seele verschreibt, ist Kameramann Emmanuel Lubezki (Oscars für „Gravity“ und „Birdman“) mit seiner spektakulären Bebilderung des existenzialistischen Überlebenskampfs der dritte große Star des Films.
In den 1820er-Jahren ist der „Wilde Westen“ noch weitgehend unberührt und gesetzlos. Tief im Indianergebiet durchstreifen der Scout Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) und etwa drei Dutzend weitere Männer die kanadischen Wälder auf der Jagd nach Tierfellen. Zu der Gruppe gehören unter anderem Glass' halbindianischer Sohn Hawk (Forrest Goodluck), der aufrechte Anführer Andrew Henry (Domhnall Gleeson) und der kaltblütige John Fitzgerald (Tom Hardy). Als Indianer das Lager der Pelzhändler überfallen und fast alle Männer töten, wollen die Überlebenden in ein sicheres Fort fliehen. Unterwegs fällt ein Grizzlybär über Hugh her und verwundet ihn schwer. Seine Begleiter versorgen die Wunden, können den halbtoten Mann aber nicht durch das unwegsame Gelände transportieren. Also entscheidet Henry, dass Fitzgerald, Hawk und der junge Jim Bridger (Will Poulter) mit Glass zurückbleiben sollen, um dessen Genesung abzuwarten. Fitzgerald ist die Lage mit den Indianern im Nacken allerdings zu brenzlig. Er tötet Hawk und zwingt den zweifelnden Jim dazu, den Verwundeten ohne Waffen zurückzulassen. Doch Hugh überlebt. Nur mit einem Bärenfell ausgestattet schleppt sich der Scout durch die Wildnis, um Vergeltung zu üben.
Die Produktion von „The Revenant“ war ein außergewöhnlicher Kraftakt und die diversen Probleme und Auseinandersetzungen am Set sorgten für jede Menge Schlagzeilen. Iñárritu bestand nicht nur auf Dreharbeiten an Originalschauplätzen und ohne künstliche Lichtquellen, sondern auch darauf, den Film entgegen der üblichen Praxis in chronologischer Reihenfolge zu drehen. Das machte die ohnehin widrigen Bedingungen in der kanadischen Wildnis noch schwieriger und einige Crew-Mitglieder verließen unter Protest die Arbeit. Im Laufe des neunmonatigen Drehs, der in Argentinien abgeschlossen wurde, nachdem der für das Finale benötigte Schnee in Kanada früher als erwartet abgeschmolzen war, verbannte Iñárritu zudem den Produzenten Jim Skotchdopole („Django Unchained“) vom Set - die beiden waren sich immer wieder in die Haare geraten. Aber zumindest künstlerisch hat sich die Kompromisslosigkeit des mexikanischen Regieberserkers bezahlt gemacht: „The Revenant“ ist ein Naturereignis von einem Film und ein Kinoerlebnis von unvergleichlicher Wucht.
Schon der Indianerangriff zu Beginn fällt ungleich brachialer aus als jede Superhelden-Klopperei. In mehreren Plansequenzen schwebt die Kamera von Emmanuel Lubezki dynamisch durch die Reihen der Kämpfenden. Wo andere Filmemacher Actionsequenzen in eine Kaskade schneller Schnitte auflösen, inszeniert Iñárritu das Gemetzel als blutiges Ballett mit Pfeilen und Tomahawks, bei dem man stets den Überblick über das ungeschönte Geschehen behält. Ein weiteres Bravourstück ist der genial choreographierte und mit perfekt integrierter Computeranimation umgesetzte Grizzly-Angriff, der in seiner rohen Unmittelbarkeit an die Hundekämpfe aus „Amores Perros“ erinnert. Auch hier überträgt sich die Brutalität der Attacke unmittelbar auf den Zuschauer, der Todeskampf findet so nah vor der Kamera statt, dass die Linse beschlägt. Die Urkräfte der Natur werden immer wieder eindrucksvoll zur Geltung gebracht, urwüchsige Schauplätze wie einen überfluteten Wald oder einen reißenden Strom fängt Lubezki in halb poetischen, halb realistischen Panoramen ein, bei denen er die ganze Breite der Scope-Leinwand ausnutzt. Andauernd schneit oder regnet es, die entfesselten Elemente avancieren mehr noch als etwa in Sydney Pollacks „Jeremiah Johnson“ zu einem weiteren Protagonisten.
Das lebensfeindliche Setting ist schnell etabliert, darüber täuschen auch einige majestätische Landschaftsgemälde, die an Lubezkis Arbeit für Terrence Malicks „The New World“ erinnern, nicht hinweg. Für Leonardo DiCaprios Hugh Glass geht es ums nackte Überleben, die eisige Kälte und der stetige Nahrungsmangel bestimmen seinen Kampf. Unterwegs erlebt der verletzte Held nicht nur eine archaische Begegnung mit einem Wolfsrudel, das einen Büffel reißt, sondern wird gleichsam selbst zum wilden Tier, wenn er in seinen Bärenpelz gehüllt durch die Wälder kriecht oder rohes Fleisch verzehrt. DiCaprio („Der große Gatsby“, „Wolf Of Wall Street“) bringt die inneren wie äußeren Qualen des schweigsamen Trappers auch (fast) ohne Dialoge beredt zum Ausdruck, sein fesselndes, oscarwürdiges Spiel des auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen im Angesicht des drohenden Todes ist so etwas wie das dramatische Konzentrat von „The Revenant“. Die Hintergrundstory um den gewaltsamen Tod der Geliebten, die Iñárritu und sein Co-Drehbuchautor Mark L. Smith („The Hole“, „Martyrs“) ohnehin nur schlaglichtartig umreißen, ist da zweitrangig.
Die anderen Schauspieler stehen fast zwangsläufig im Schatten von DiCaprios Parforceritt. Überzeugende Akzente setzen vor allem Will Poulter („Maze Runner – Die Auserwählten im Labyrinth“) als unerfahrenes Greenhorn und Domhnall Gleeson („Ex Machina“) als rechtschaffener Anführer, während Tom Hardy („Mad Max: Fury Road“, „Legend“) seine im Drehbuch nur grob skizzierte Rolle mit einer handfesten Performance zur durchaus plausiblen Figur macht. Der psychotische Fitzgerald wurde halb skalpiert und hasst Indianer daher bis aufs Blut. Seine Verachtung für das Halbblut Hawk und sein knallharter Egoismus bringen ihn als Antagonisten in Stellung, doch Glass‘ eigentlicher Widersacher bleibt immer die Wildnis selbst. Dieses Duell zwischen Mensch und Natur schildert Iñárritu auf recht geradlinige Weise, bei dem nur einige fast schon prätentiöse Zwischenspiele irritieren, die zwischen Erinnerung und Fiebertraum oszillieren. Mal flüstert Glass' tote Geliebte dem Trapper Mut zu, mal entschlüpft ein Vogel der Brusttasche eines Toten - was nicht der einzige poetische Verweis auf die menschliche Seele bleibt, die Iñárritu schon in „21 Gramm“ beschwor. Diese esoterischen Einschübe bremsen die Handlung aus und wirken mit ihrer verkünstelten Art bisweilen wie ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Oscar-Academy. Wer künftig über Survival-Stoffe im Kino sprechen will, kommt an diesem mitreißenden Film dennoch nicht vorbei.
Fazit: Mit „The Revenant“ gelingt Alejandro G. Iñárritu ein visuell überwältigendes und herausragend gespieltes Survival-Western-Drama von seltener Wucht.