Wäre man aufgefordert, aus dem Stehgreif drei landestypische Aspekte Kirgisistans zu nennen, würde man wohl zunächst wortlos den Atlas aufschlagen, um herauszufinden, von welchem Land überhaupt die Rede ist. Diese Ahnungslosigkeit westeuropäischer Zuschauer weiß Regisseur Aktan Arym Kubat zu nutzen, gelingt es ihm doch mit „Der Dieb des Lichts", die kartographische Leerstelle seines Publikums mit poetischen Bildern zu füllen. Die Tragikomödie überzeugt als Globalisierungskritik und soziologische Studie über eine ländlich geprägte Enklave im Spannungsfeld der Industriemächte Russland und China ebenso wie als fiktionale folkloristische Erzählung.
Der Elektriker Svet-Ake (Aktan Arym Kubat) gehört zu den wichtigsten Männern in seinem Dorf, denn er kümmert sich nicht nur um die Stromversorgung, sondern auch um die Sorgen und Nöte der Bewohner. Elektrizität ist teuer und wirtschaftliche Perspektiven gibt es kaum, weshalb die Jugend des Dorfes nach und nach abwandert. Svet-Ake träumt deshalb von einem Windpark, der es der Dorfgemeinschaft ermöglichen würde, Energie selbst zu erzeugen und somit autark zu leben. Das Vertrauen, das er im Hinblick auf diese Vision in den Lokalpolitiker und Geschäftemacher Bekzat (Askat Sulaimanov) setzt, erweist sich jedoch als fatal, denn die chinesischen Investoren, die dieser einbezieht, sind nicht sonderlich traditionsbewusst...
Svet-Ake, dessen Name übersetzt „Herr Licht" bedeutet, ist eine symbolisch stark aufgeladene Figur. Als Wahrer des prometheischen Funkens fungiert er als Schanier zwischen dem Traditionalismus der Dorfgemeinschaft und der Progressivität und Expansionsgier der Außenwelt. Die Umsetzung dieser intellektuellen Prämisse wirkt keineswegs konstruiert, sondern authentisch und ungezwungen. Die Doppelrolle Aktan Arym Kubats als Regisseur und Hauptdarsteller kommt der Produktion diesbezüglich zugute: Harmonisch ergänzen sich die ruhig erzählte Geschichte und das natürliche Spiel Kubats, so dass die implizite Globalisierungskritik nie aufgesetzt wirkt. Svet-Ake ist als Figur zudem so sympathisch gezeichnet, dass sie den Zuschauer ohnehin schnell vorbehaltlos in ihren Bann zieht.
Die Grundlage für das Funktionieren des Films liefert jedoch die Kulisse des kirgisischen Dorfes, das Kubat in unprätentiösen, farbenfrohen Bildern porträtiert. Die Lebensweise der Menschen wirkt ebenso fremd wie konsequent, etwa, wenn Svet-Ake nach dem Tod eines Freunds seinem Schmerz Ausdruck verleiht, indem er weinend und wehklagend durch die Straßen des Dorfes zieht. Das ist eine Art von Trauerarbeit, die mit unseren starren westlichen Vorstellungen von Privatheit und Sittlichkeit befreiend wenig gemein hat. Die große Leistung des Films, ein gänzlich fremdes Gesellschaftsmodell als Sehnsuchtsvorstellung plausibel zu machen, ist zugleich jedoch auch mit einem Problem verbunden. Die Schilderungen des Dorflebens gruppieren sich zwar um den Protagonisten als sozialen Angelpunkt, allerdings bleiben sie abseits dieser Funktion purer Selbstzweck. So nimmt der eigentliche Plot des Films nur unmerklich Fahrt auf und während der Zuschauer noch mit der Dorffolklore und ihren losen Anekdoten beschäftigt ist, passiert auch schon die Katastrophe. An diesem Punkt geht die Schere zwischen dokumentarischen Bildern und dem Anspruch, eine frei erfundene Tragikomödie fürs Kino zu erzählen, etwas zu weit auseinander.
Nichtsdestotrotz ist „Der Dieb des Lichts" Globalisierungskritik im besten Sinne. Anstatt eine theoretische Position moralisierend zu vertreten, leistet Kubat mit seinem Film tatsächliche Überzeugungsarbeit, indem er den Zuschauer für seine Figuren und ihre Lebensgestaltung einzunehmen weiß und den Traditionalismus seiner Heimat als bewahrenswerte Alternative zum westlichen Progressdiktum ausweist. So ist „Der Dieb des Lichts" ein überzeugendes Plädoyer gegen eine als Fortschritt getarnte Verwestlichung der Welt, auch wenn durch diesen ambitionierten Ansatz die Story und die fiktionalen Anteile ein wenig zu weit in den Hintergrund geraten.