Mein Konto
    Herbst - Sonbahar
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Herbst - Sonbahar
    Von Christian Horn

    Filme fangen gern damit an, dass jemand aus dem Gefängnis entlassen wird. Auf diese Weise wird der Protagonist der Geschichte, so Jerichow-Regisseur Christian Petzold in einem Interview mit dem Deutschland-Radio, „vom Kino geboren“. Fragen tun sich da ganz automatisch auf: Warum war der Protagonist im Knast? Wohin geht er zuerst? Und was wird er mit der neugewonnenen Freiheit anfangen? In dem Langfilmdebüt „Herbst – Sonbahar“ des türkischen Regisseurs Özcan Alper, ebenfalls ein solcher Gefängnis-Entlassungs-Film, ist dies nicht anders. Nur werden die Fragen zumindest anfangs weitaus zaghafter beantwortet, als es üblicherweise der Fall ist. Gegen Ende werden die Dinge dann aber doch allzu offensichtlich ausgebreitet und die vorherige Offenheit des Films wird in einem symbolisch und emotional überfrachteten Finale über Bord geworfen.

    Weil seine Lungen kaputt sind und er dringend eine ärztliche Behandlung außerhalb des Gefängnisses benötigt, wird Yusuf (Onur Saylak), Anfang dreißig, nach zehn Jahren frühzeitig aus der Haft entlassen. Er macht sich auf den Weg zu seiner Mutter (Raife Yenigül), die alleine in Yusufs Heimatort in den Bergen lebt. In der herbstlichen Verlassenheit trifft er kaum auf Menschen seiner Generation: Die meisten sind deutlich älter, die Jüngeren hat es längst in die Städte gezogen. Einzig Yusufs alter Jugendfreund Mikhail (Serkan Keskin, „Kosmos“) hat den Absprung verpasst („Plötzlich waren zehn Jahre vorbei.“). Er betreibt nun eine kleine Werkstatt, die vorher seinem Vater gehörte. Bei einem gemeinsamen Besuch in der nahe gelegenen Stadt lernt Yusuf die georgische Prostituierte Eka (Megi Kobaladze) kennen und verliebt sich in sie…

    In langen Einstellungen und ruhigen Bildern erzählt Özcan Alper seine Geschichte, wobei er seinen Protagonisten nie aus den Augen verliert. Dominierend in der Bildgestaltung sind dabei die wunderschönen Aufnahmen der Gebirgsgegend, vom Nebel, den schneebedeckten Bergen und dem herbstlichen Wald. Sie spiegeln das Innenleben des Protagonisten, der sich nur schwer bis gar nicht in die Gesellschaft einfinden kann. Und während der Winter immer näher rückt, neigt sich auch Yusufs Leben dem Ende. Zum Arzt geht er wegen seiner Lungenkrankheit nicht, er hört nicht einmal auf zu rauchen, obwohl er nachts vor lauter Husten nicht mehr schlafen kann. Yusuf fehlt der Antrieb zum Weiterleben, er hat die Perspektive dazu verloren. Als er sich in Eka verliebt und diese Liebe erwidert wird, ist es schon zu spät, denn auch hier zögert Yusuf ein wenig zu lange.

    Für diesen Gedanken findet Özcan Alper ein sehr gelungenes Bild: Yusuf und Mikhail wandern zu einer Hütte in den Bergen. Eine hohe Schneedecke bedeckt den Boden, ein kalter Wind pfeift durch die Wipfel. Lange zeigt der Film den beschwerlichen Marsch, bis Yusuf plötzlich stehen bleibt. Sein Freund weißt ihn darauf hin, dass die Hütte nicht mehr weit weg sei und tatsächlich ist sie in der Ferne bereits zu sehen. Doch Yusuf will nicht mehr: „Ich kann keinen Schritt mehr weiter“, sagt er und fasst damit das Wesentliche seines Charakters zusammen, dem jeder Atemzug schwer fällt. Leider findet „Herbst – Sonbahar“ nicht immer so treffsicherer Bilder. Vor allem gegen Ende, als die Liebesgeschichte zwischen Yusuf und Eka ihren Höhepunkt erreicht, verzichtet Özcan Alper auf die Subtilität, die dem vorherigen Geschehen so gut zu Gesicht gestanden hat. Stattdessen unterbreitet er seine Symbolik plötzlich mit dem Vorschlaghammer. Hart an der Grenze zum Kitsch bewegt sich das, mit viel Gefühl und noch mehr Musik, was aber auch ein wenig dem Wesen des türkischen Kinos entspricht, man denke nur an die Filme des Deutschtürken Fatih Akin (Gegen die Wand), die mit Emotionalität ebenfalls nicht gerade geizen.

    Mutig ist der Film in seinem politischen Subtext. Denn nach und nach kommt ans Licht, dass Yusuf ein politischer Gefangener war. Zudem wird in – eigentlich unnötigen – Rückblenden von der brutalen Behandlung der Insassen in der geschlossenen Vollzuganstalt des Typs F erzählt. Dieser Gefängnistyp wurde im Jahr 2000 gegründet, die Häftlinge werden hier oftmals in Isolationshaft verwahrt – und aus dieser kann sich Yusuf eben auch nach seiner Entlassung nur teilweise befreien. Eine solche Kritik am gesellschaftlichen System der Türkei ist - gerade für ein Debüt - bewundernswert. So ist Onur Saylak trotz gewisser Schwachpunkte ein Erstling geglückt, das zwar nicht immer bis zum Schluss, aber doch in weiten Teilen überzeugt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top