Die Augsburger Puppenkiste hat ihre prominentesten Tage inzwischen leider hinter sich und auch der althergebrachte Zeichentrick scheint zu immer größeren Teilen den aufwendigen Produktionen von Pixar, Disney und Dreamworks und deren computergenerierten Pixelhelden zu weichen. Umso beruhigender und klassischer wirkt in dieser quirligen Umgebung der Auftritt von Kihachiro Kawamotos aktuellen Puppenanimationsfilm über einen Mythos aus dem alten Japan.
Wir schreiben das 8. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung in der japanischen Hauptstadt Nara. Der Buddhismus ist im Begriff, aus China herüberzuschwappen und entwickelt sich insbesondere in gehobenen Kreisen zum Faszinosum. Auch Prinzessin Iratsume aus der noblen Familie Fujiwara [1] wird von der philosophischen Lehre in den Bann gezogen. Im Feuereifer erstellt sie in mühevoller Handarbeit eintausend Kopien eines Sutras, einer Schriftrolle. Als sie die Arbeit vollendet, erscheint ihr eine golden leuchtende Buddha-Figur, die über dem Gipfel des Berges zu thronen scheint. Wie hypnotisiert verlässt die junge Frau das schützende Gemäuer ihres Anwesens und folgt dem lautlosen Ruf, hinauf auf den Gipfel des Berges, wo sie auf einen Tempel stößt. Jedoch findet sie dort nicht Buddha vor, sondern den Geist des Prinzen Otsu, der einst das Opfer einer Intrige wurde. Vor seinem Tod fiel sein letzter Blick auf das bezaubernde Antlitz einer jungen Frau, Mimimo No Toji. Seitdem wird der Gerichtete in seinem Totenschlaf von dieser verfolgt und glaubt nun in Iratsume die verlorene Schönheit wieder gefunden zu haben. Fortan versucht er, in das Schlafgemach der Prinzessin einzudringen und eine ungewöhnliche Verbindung beginnt zu entstehen…
„Shisha No Sho“ ist der zweite abendfüllende Puppenfilm des Altmeisters Kihachiro Kawamoto, der inzwischen seit einem halben Jahrhundert Filme mit dem althergebrachten Stop-Motion-Trick produziert und 2005 bereits seinen achtzigsten Geburtstag feierte. Kawamoto, der schon in frühester Kindheit vom Puppenspiel fasziniert war, beschloss aber erst nachdem er die Filme des Tschechen Jirí Trnka gesehen hatte, auch selbst als Künstler tätig zu werden. Bereits seit den 50er Jahren produzierte er viele Kurzfilme auf eigene Faust, die nicht über einen Vertrieb die Öffentlichkeit erreichten, sondern in angemieteten Hallen vorgeführt wurden. Finanzieren konnte Kawamoto diese künstlerische Freiheit nur, indem er vor allem als Fernsehmacher arbeitete. Mithilfe der Einnahmen von Werbespots, pädagogischen Kinderserien und Merchandisingprodukten, die die Figuren seiner Animationsserien trugen, schuf er sich den nötigen Spielraum. Seinen einzigartigen Stil, der vor allem im magischen Eigenleben seiner Puppen zu finden ist, entwickelte der kreative Kopf jedoch erst nach seiner Lehrzeit bei Trnka im Jahr 1963. Sechs Monate wartete er geduldig auf die Beantwortung eines Briefes, den er seinem tschechischen Leitbild, mit der Bitte sein Schüler werden zu dürfen, geschickt hatte. Zwar kam die Antwort spät, aber sie kam und so arbeitete der Japaner ein Jahr lang in Prag und wurde von seinem Meister ermutigt, sich auf die traditionellen Figuren und Legenden seiner Heimat zu konzentrieren. Ein wahrlich guter Rat, der sich in vielen Filmen über Verlust und Leidenschaft, Geister und Dämonen niedergeschlagen hat und dessen fabelhafte Umsetzung man auch an der vorliegenden Schöpfung ablesen kann. [2]
So sind die Gesichter der Figuren nicht überfrachtet, sondern entwickeln ihren Charakter gerade durch eine sehr zurückgenommene, ja nahezu minimalistische Gestaltung. Trotzdem wirken sie dabei alles andere als statisch. Schon kleinste, fast unmerkliche Veränderungen der Augenbrauen und Bewegungen der Gliedmaßen bilden eine aussagekräftige Mimik und Gestik. Die pracht- und liebevoll genähten Kleider wiegen sich mit filigransten Bewegungen im Wind und eine atemberaubend schöne Farb- und Lichtregie erzeugt eine dichte Atmosphäre verschiedenster Stimmungen, ob im goldgelben Sonnenuntergang oder der fahlgrünen Grotte [3]. Die gemalten Hintergründe verschmelzen harmonisch mit den wenigen Modellen, welche die Umwelt der vielen, im Zentrum stehenden Puppen bilden.
„The Book Of The Dead“ ist eine leise, zauberhafte Geschichte, die mit großer Einfühlsamkeit und Gespür für Details eine in Handarbeit entstandene Welt behutsam zum Leben erweckt. Zwar fordert die ausgeprägte und durchgehende Ruhe des Films auch eine solche innere Haltung von seinem Zuschauer, aber gerade dies ist im Kontrast zu hampelnden Faultieren Balsam für die Seele. Keine Unterhaltung also auf der Basis von Schadenfreude, sondern von fernöstlicher Spiritualität:
„Buddha sagt, dass Leben in erster Linie Leiden bedeutet und dass es vier grundlegende Leiden gibt: Geburt, Krankheit, Altern und Sterben. Dies sind die vier wesentlichen Leiden im Leben eines Menschen, es gibt aber noch vier weitere, von denen Buddha sprach. Nämlich Menschen zu treffen, die man als lästig empfindet, getrennt zu sein von einer geliebten Person, nicht die Dinge zu erhalten, die man begehrt, sowie die Leiden, die der Geist und der Körper mit sich bringen. Um diese Leiden loszuwerden, muss man den Status des „satori“ oder Erleuchtung erreichen. [...] The Book Of The Dead’ dreht sich im Wesentlichen genau um diese Motive.“ – Auszug aus einem Interview mit Regisseur Kihachiro Kawamoto
[1] die übrigens tatsächlich existierte und von Fujiwara Kamatari (614-669) abstammte
[2] Ein umfangreiches Interview findet sich unter http://www.midnighteye.com/interviews/kihachiro_kawamoto.shtml. Midnighteye ist eine der größten englischsprachigen Fachseiten für japanischen Film.
[3] Das Archiv des Pusan Film Festivals bietet einen knapp dreiminütigen Trailer im Archiv an, der immerhin einen kleinen Eindruck davon vermitteln kann: http://info.piff.org/eng/html/archive/arc_search.asp#none