Ein grauenhafter Alptraum – der neunzehnjährige Charles Starkweather zieht eine Spur des Todes hinter sich her. Gewissenlos und kaltblütig bringt er elf Menschen in drei Monaten um, darunter auch ein erst zwei Jahre altes Kind, das er mit seinen eigenen Händen erwürgt. Alles fängt mit einem Raubüberfall auf den Tankwart Robert Colvert an und endet tragisch nach insgesamt elf kaltblütigen Morden mit der Hinrichtung Starkweathers auf dem elektrischen Stuhl am 25. Juni 1959 in Nebraska. Zusammen mit seiner erst vierzehnjährigen Freundin Caril-Ann Fugate, deren Eltern und deren kleine Schwester ebenfalls zu den Opfern gehören, zieht er los, um ein aufregendes Abenteuer zu erleben, ohne Regeln, ohne Eltern und ohne schlechtes Gewissen danach. Was ist das für ein Subjekt, werden sich später Politiker, Polizisten, Journalisten und alle anderen fragen, das zu so etwas fähig ist, das so ungebunden und frei, ja bestialisch mordet, schlachtet und handelt als gäbe es kein Morgen. Welche entsetzlichen Erfahrungen muss ein so junger Erwachsener hinter sich haben, das er zu einer derart skrupellosen und gewissenlosen Blutrünstigkeit fähig ist? Der Name Charles Starkweather steht heute für den Auftakt in eine neue Episode des modernen Amerikas. Für die Filmwelt scheint die Faszination am Bösen und speziell an der Peson Starkweather weiterhin nicht abzunehmen, nachdem Oliver Stone mit seinem Natural Born Killers und Tony Scotts True Romance sich in den Neunzigern schon intensiv an dem Stoff vom mordenden und räuberischen Pärchen bedient haben. Capotes Kaltblütig thematisierte die Sache dabei schon auf eine wesentlich ernstere, realistischere Sichtweise, ohne den ätzenden Glanz oder ein anarchisches Grundbekenntnis zur frivolen Gewalt. In dem Psychogramm „Starkweather“ werden die letzten Monate des Serienmörders Charles Starkweather detailgetreu aufgearbeitet.
Er ist Zentrum, aber vor allem Medium des Films, durch dessen Perspektive die Geschichte minutiös erzählt wird. Dabei konzentriert sich der Inhalt auf die geschichtsträchtigen Daten, an denen Starkweather seine Morde verübte, während Caril-Ann seelenruhig alles mit ansah, ihn anhimmelte für seinen Mut, seine Kraft und Stärke. Der Vergleich mit „Natural Born Killers“ oder „True Romance“ soll dabei deutlich machen, wie sehr es dem Regisseur Byron Werner daran gelegen ist, seinen Film nicht als überstilisiertes, aber vor allem idealisiertes Gewalt-Pop-Märchen verstanden zu wissen.
Ganz im Gegensatz zu den genannten Referenzen bleiben sämtliche Charaktere über den gesamten Film hinweg gesichtslos und namenlos, niederträchtige Objekte, wie sie es vermutlich auch in Starkweathers Augen waren. Denn Starkweather verfolgt kein Ziel, mordet nicht zum Zweck, für Geld oder aus Rache. Seine Motivation liegt einzig und allein in seiner Befähigung, mit Messer, Schrotflinte und Pistole unbedingte Macht über die Menschen auszuüben, sie zu peinigen und zu zertreten wie Ameisen. Starkweather zeigt, was es heißt, sich und alle anderen nicht mehr als wertvolles Subjekt zu betrachten und jede Moral, Ethik und Menschlichkeit aus den Augen zu verlieren, schließlich seine Handlungen nur noch mit einem einzigen kategorischen Satz zu rechtfertigen: „Weil ich es kann!“
Es endet, wie es enden muss: Starkweather und seine Freundin werden gestoppt und verhaftet. Starkweather stirbt auf dem elektrischen Stuhl und Caril-Ann bekommt lebenslänglich. Keine Romantik, kein Bombast, auch kein schleierhaftes Happy End – Realität eben.
Das Böse, das Teuflische begleitet Starkweather stetig. Dämonen flüstern zu ihm, leiten ihn an, jeden zu töten, der auch nur irgendwie „besser“ ist als er, gleich ob netter, reicher, stolzer oder intelligenter. Aber vor allem ist es die einzigartige Freiheit, die Abwesenheit äußerer Hemmnisse, die der junge und in seiner Kindheit gedemütigte Heranwachsende sucht. Der Film, der sich extrem schwer tut, ein aussagekräftiges Innenleben des psychisch kranken Starkweathers zu vermitteln, stellt dem Hauptdarsteller Brent Taylor (Charly Starkweather) einen gesichtslosen, immer schwarz gekleideten und rauchig sprechenden „Dämon“ (Lance Henriksen) zur Seite, der den Jungen schon seit seiner Kindheit begleitet und ihn dazu befähigt, seine teuflische, schwarze Seite zu entfalten. Wer war Charles Starkweather überhaupt? – darauf gibt der Film keine Antwort. Wie auch? Viele Kinder sind Opfer von Demütigungen, sexuellen Misshandlungen, krankhaften Erfahrungen und amoralischer Erziehung, aber nicht alle entwickeln diesen ungebändigten Drang zur Mordlust und Blutrünstigkeit. Warum also er, und warum gerade sie? Warum zu diesem Zeitpunkt?
Trotz der faszinierenden und beängstigenden Geschichte kann „Starkweather“ letzten Endes nicht völlig überzeugen. Die Aufmachung des Films, auch wenn sie vielleicht realer ist als das schrille Farbenspiel von Natural Born Killers, ist zu platt, zu leblos, zu wenig aussagekräftig. Den Hauptdarstellern Brent Taylor (Charly Starkweather) und Shannon Lucio (Caril-Ann Fugate) gelingt es dagegen recht gut, ihr Schauspiel auf das Wesentliche zu konzentrieren: Obsession auf der einen Seite und Gefühlskälte auf der anderen. „Starkweather“ bleibt jedoch zu schwer zu interpretieren und zu bewerten, da er sich sehr geradlinig und kurzweilig auf nur wenige (die wichtigen) Referenzpunkte der wahren Geschichte Starkweathers bezieht. Dem Zuschauer wird keine spezielle, etwa moralische „Lesart“ angeboten, aber es wäre falsch zu sagen, dass man die Person Charles Starkweather und seine Taten gänzlich unbewertet lässt. Trotzdem wirkt es in Zeiten bombastischer Filmproduktionen mit Pathos und extremer „Emotionalität“ recht befremdlich, wenn man mit einer derart entsetzlichen Geschichte konfrontiert wird, die in ihrer Darstellung auf jegliche Dramatik verzichtet, ja fast an einen Tatsachenbericht erinnert. Wie gesagt: Das Medium ist der Killer selbst, und diese Betrachtungsweise allein ist abstoßend genug, vielleicht sogar noch abstoßender als gewöhnlich, weil es dem Zuschauer ohne jegliche Bewertung des Gesehenen selbst überlassen ist, sich mit der Person Starkweather auseinander zu setzen.
Oliver Stone beantwortete die Frage der Möglichkeit des amoralischen, ungebundenen Subjekts ganz klar, indem er auf die Medien verwies. Auch „Starkweather“ thematisiert diesen Aspekt. Der junge Starkweather träumt immer wieder von Hollywood, dem Ruhm und Glanz, wäre er nur ein Filmstar. Er genießt es, seinen Namen im Radio zu hören, und ihn erregt es, seine Opfer zusammenkauernd und in Todesängsten verharrend vor seinem Antlitz kriechen zu sehen. Dieses Spiel, so weiß er, kann nicht ewig dauern, aber solange es möglich ist, gestaltet er es nach seinen persönlichen Regeln. Solange seine Freundin Caril-Ann, unbeteiligt an allen Morden, ihren Geliebten mit einer fast stoischen Ruhe und Bewunderung in seinen Taten beobachtet, kann es weitergehen, bis zum bitteren Ende.
Das Mysterium Starkweather wird immer für die Außenwelt unverständlich bleiben, genau so, wie es die Mysterien unserer heutigen Zeit sind: Littleton, Columbine oder zuletzt Emsdetten. Und immer wieder reagiert die Außenwelt, vor allem jene, die sich oftmals von Berufs wegen für solche Taten verantwortlich fühlen muss, mit einem blinden, stereotypen Aktionismus. Zumindest Starkweather oder Ted Bundy kannten keine gewaltvollen Computerspiele oder blutrünstigen Horrorepen. Oder sollte etwa John Wayne verantwortlich sein für elf Morde in drei Monaten? Man sollte sich daher vielmehr fragen, ob das Problem nicht irgendwo anders liegt – aber wo? In der Gesellschaft selbst? Vermutlich eine zu einfache Antwort.