Ein düsteres, baufälliges Haus in Berlin, undurchsichtige Typen und eine tatenlose Polizei – die üblichen Zutaten für einen gruseligen Psychothriller stehen bereit. Große Energien wurden bei „Drawn In Blood“ in eine genretypische Ästhetik gesetzt, viel sagende Metaphern von den Klassikern des Suspense abgeguckt und in eine Geschichte um Vertrauen und Zweifel gegossen. Bei der Sorge um die filmischen Mittel der Spannungserzeugung ist dem Regisseur offensichtlich die Dramaturgie der Handlung selbst etwas aus den Händen geglitten. Phantasielos sind die Charaktere und ihre Beziehung zueinander, die allzu bekannte Muster des Genres abliefern. Zu absehbar ist, wer wann in welche Rolle schlüpfen wird, um wirkliches Kribbeln unter der Haut zu erzeugen.
Marians (Anna Fin) Empfang in Berlin ist alles andere als angenehm. Im Leichenschauhaus muss sie ihren Bruder identifizieren, der Selbstmord begangen hat. Die viel beschäftigte Kunsthändlerin hat nun die unschöne Aufgabe, seine Wohnung aufzulösen. Weder das verwahrloste Haus noch dessen Bewohner sind Vertrauen erweckend. Jeder scheint zu wissen, wer sie ist. Der aufdringliche Einzelgänger Berger (Dan van Husen) stellt unvermittelt neugierige und beunruhigende Fragen, während der Comic-Zeichner Eric (Tim Williams) sich nächstens mit verschiedenen Frauen vergnügt und offensichtlich nichts dagegen hat, dabei beobachtet zu werden. Als Marian entdeckt, dass ihr Bruder regelmäßig in der Position des Beobachters war und über eine ungewöhnlich hohe Summe an Bargeld verfügt, beginnt sie, Verdacht zu schöpfen. Irgendetwas am Freitod ihres Bruders passt nicht. Diese Vermutung erhärtet sich durch die Ermordung mehrerer Frauen, die kurz zuvor mit Eric zusammen gewesen waren. Niemand im Beziehungsgeflecht ihres Bruders scheint mit offenen Karten zu spielen, so dass Marian bald niemandem mehr vertraut. Das ist fatal, besonders, wenn man bereits als nächstes Opfer auserkoren ist…
Regisseur Péter Palátsik orientiert sich bei seinem ersten Thriller stark an den großen Vorbildern des Suspense und verpackt die Splatter-Szenen weitgehend in Comic-Sequenzen. Die Frage nach der Macht der Bilder auf diese Weise in den Handlungsverlauf zu integrieren, hat etwas Originelles und visualisiert die Frage nach dem Zusammenspiel von Fantasie und Wirklichkeit auf zeitgemäße Weise. Der Plot selbst jedoch wird dem hohen Anspruch dieser Fragestellung nicht gerecht, sondern imitiert lediglich berühmte Vorbilder, ohne eine wirkliche Auseinandersetzung zur Kraft von Bildern zu liefern. Dass ein Mensch seine Nachbarn quer über den Hof durch deren Fenster unbemerkt (oder auch nicht) beobachtet, macht noch kein „Fenster zum Hof“. Ebenso wenig erreicht ein wie aus dem Nichts auftauchender Nachbar mit seiner fast stoischen Art der Bewegung und der Sprache die pathologische Faszination eines Hannibal Lecter aus Das Schweigen der Lämmer. Welchen Effekt die durchgehend englischen Namen der Figuren, die sich ja allesamt in Berlin aufhalten, bleibt unersichtlich und heischt nach Internationalität, die keinerlei Begründung hat und deshalb eher albern wirkt.
Auch wenn alle relevanten Figuren mit Kunst zu tun haben, gewinnt die Macht des Visuellen keine Dynamik. Zwar taucht die Kunst in fast allen Szenen auf, sie bleibt jedoch Randerscheinung ohne weitere Bedeutung. Dass die Kunstauktionärin Marian die Comic-Leidenschaft ihrer besten Freundin Susann (Luise Bähr) nicht nachvollziehen kann, taucht in ihrer gefährlichen Liaison zu Eric wieder auf, wenn sie ein Bild von ihm sieht und es für gut befindet. So lose bleibt dieser Faden dann hängen, ohne dass wir die Erics Gründe, weshalb er sich dem Comic zugewandt hat. Auch Bergen sammelt Bilder, seine Beweggründe dafür bleiben im Dunkeln, um die Spannung zu halten. Auch hier vergibt der Film die Chance, der Funktion verschiedener Arten von Bildern nach zu gehen.
Sorgfalt wird in der Gestaltung der eigenen, der Filmbilder spürbar. Kamerafrau Isabelle Arnold hat bei gelungenen Werken des Genres gut aufgepasst und düstere, verwinkelte Räume geschaffen, die eine zunehmende innere Beengtheit spiegeln. Eine der besten Szenen, die gerade durch ihre Langsamkeit Spannung erzeugt, wurde leider geschnitten und ist nur in den Extras zu bewundern. Die Darsteller bewegen sich in diesen atmosphärisch starken Sets häufig etwas ungelenk. Dass sie das Gefühl vermitteln, gar nicht dort hin zu gehören, wo sie gerade sind, ist der Story nicht abträglich, wohl aber die hölzernen und zum Teil abgedroschenen Dialoge. Auch auf dieser Ebene beschleicht einen nicht selten das Gefühl, das alles schon mehr als einmal irgendwo gehört und gesehen zu haben. Allzu nahe Aufnahmen von den Gesichtern erspart sich die Regie weitgehend, es wäre dort auch nicht viel zu sehen von der zermürbenden inneren Angst oder den Zweifeln, die die Figuren quälen. Selten finden die Schauspieler zu einem gemeinsamen Spiel, manche Szene wirkt eher wie ein Werbefilm mit seinen berechneten Gesten und überkandidelten Aufmachung der Figuren. Besonders bei Marian fragt man sich zeitweise, ob sich unbefriedigte Kostüm- und Hairstylisten hier austoben durften. Einfallslos ist demgegenüber die Fährtenlegung auf Verdächtige. Wenn alle in Frage kommenden Täter den verräterischen grünen Parka (mit einer starken Anlehnung an „Urban legends“ und die überdimensionale Kapuze) tragen, dann funktioniert dieses Bildmittel gerade nicht mehr, weil die Fährte allzu auffällig gelegt wird. Insgesamt erinnert der Look des Films stark an britische TV-Krimis, die schnell produziert werden müssen und dennoch versuchen, einen gewissen Anspruch zu erreichen.
Stark in den Vordergrund schiebt sich auch die Musik von Eike Hosenfeld und Moritz Denis, die in ihrer Wirkung das Bild oft übertönt und dadurch an manchen Stellen störend wirkt. Von der Konzeption her folgt auch sie den Vorgaben des Genres und bietet wenig Überraschungen. Dafür funktioniert sie wie beabsichtigt und hilft dem Film über einige Spannungsgräben hinweg.
Sofern man die vielen und auf allen Ebenen der Filmgeschehens liegenden Verweise auf die Großen des Suspense nicht als Hommage an diese auffasst – und dafür sind sie zu einfach 1-zu-1 kopiert – löst „Drawn In Blood“ sein Versprechen des philosophischen Thrillers um Bilder und deren Wirkung nicht ein. Die zusammengeschustert wirkende Handlung unterhält leidlich gut durch eine aufwändige und handwerklich saubere Inszenierung, geht aber weder unter die Haut noch in die gedankliche Tiefe.