Mein Konto
    Christie Malrys blutige Buchführung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Christie Malrys blutige Buchführung
    Von Carsten Baumgardt

    Einen unglücklicheren Kinostarttermin als 2001 hätte sich Paul Tickell für seine Anarchisten-Satire „Christie Malrys blutige Buchführung“ nicht wählen können. In den USA und Großbritannien fand die kontrovers diskutierbare Adaption von B.S. Johnsons Kultroman „Christie Malry’s Own Double-Entry“ (1973) keinen Verleiher und nach den Terroranschlägen des 11. September war das Thema durch. Wer mochte dem Publikum schon einen Film über einen Attentäter vorsetzen, der Tausende Menschen vorsätzlich tötet?! Sechs Jahre nach Fertigstellung bekommt das Werk zumindest auf DVD eine Veröffentlichung - und das nicht zu Unrecht.

    Christie Malry (Nick Moran) ist ein simpler Mensch mit einer außergewöhnlichen Passion: Der Londoner ist der geborene Buchhalter. Die Kenntnisse hat er sich in speziellen Kursen angeeignet. Doch seinen Job in einer Bank verliert er schnell, weil er sich mit seinem Chef anlegt. Christie wechselt zu einer Süßwarenfabrik, fühlt sich von seinen Vorgesetzten aber immer noch nicht ernst genommen. Auch seine Beziehung zu der Fleischerei-Angestellten Karol (Kate Ashfield) gibt Christie nicht das nötige Selbstbewusstsein, um sich zu behaupten. Seine Besessenheit für das System der doppelten Buchführung leitet ihn auf eine neue Ebene. Für jede erlittene Pein will er einen Ausgleich schaffen, was er feinsäuberlich in seinen Unterlagen vermerkt. Ein Rolls-Royce-Fahrer schneidet ihn als Fußgänger auf der Straße... als eigene Entschädigung zerkratzt Christie ihm später die Luxuskarosse. Was harmlos beginnt, steigert sich im Laufe der Zeit in apokalyptische Dimensionen von Terroranschlägen auf die Finanzbehörde Londons und das Trinkwassersystem der Stadt... Tausende von Opfern sind die Folge.

    Ist Paul Tickells Anarcho-Reißer Kunst oder schlicht unverantwortlich? Es ist die Aufgabe jedes einzelnen Zuschauers, diese moralische Frage für sich selbst zu beantworten. Beide Ansichten lassen sich belegen, wie auch entkräften. Optisch und konzeptionell ist „Christie Malrys blutige Buchführung“ sicherlich kunstvoll, Tickells visuelle Inszenierung einfallsreich, stilsicher, teils berauschend, was Luke Haines’ phantastischer, hypnotischer Score kongenial unterstreicht. Dazu begeistert die weitere musikalische Illustrierung mit einer Mischung aus Indie-Pop und Technobeats. Leider kann die inhaltliche Komponente mit dieser Brillanz nicht mithalten. Tickell ist sich zu unsicher, was er eigentlich will. Die eingestreute Parallelstory um Leonardo Da Vinci im 15. Jahrhundert, die Christies Gedankenwelt spiegeln soll, bremst die Handlung aus und nimmt ihr zusätzlich die Ernsthaftigkeit. Das große Problem ist ohnehin Tickells Wankelmut. Er schwächt die Botschaft seines Anti-Gesellschaftsfilms immer wieder bewusst selbst ab - zum Beispiel durch das Einsetzen kalkuliert lächerlicher Special Effects. Die Feueranschläge sind ein CGI-Albtraum, die Posen der durch vergiftetes Trinkwasser Getöteten wirken absurd entstellt, so dass dies eher zum Lachen als Leiden animiert. David Fincher löst dieses Problem der Ernsthaftigkeit in seinem Meisterwerk Fight Club weit besser.

    Tickells Ansatz ist anders. Er lässt Christie das machen, was viele schon einmal gedacht haben: sich für Gemeinheiten des Alltags rächen, dem Chef eins auswischen, das Finanzamt zur Rechenschaft ziehen. Doch die Übersteigerung dessen läuft auf die Zerstörung der Gesellschaft hinaus. Und genau hier hat „Christie Malrys blutige Buchführung“ nicht genug Standfestigkeit, um über die Grenzen eines theoretischen Konstrukts hinauszukommen und seine beißende Sozialkritik auf fruchtbaren Boden fallen zu lassen. Der Christie des Films hat mit einem realen Terroristen kaum etwas zu tun. Vielmehr wirkt die Figur wie einem Comic entsprungen, was den Verdacht nahe legt, dass er in der Adaption nur als Krücke für eine hippe Attentäter-Collage dienen soll, die im Gewand einer bitterbösen Satire einfach nur cool aussehen statt tiefgründig sein soll.

    Schauspielerisch tat Tickell mit seinem Hauptdarsteller Nick Moran („Bube, Dame, König, Gras“, „The Musketeer“) den richtigen Griff. Er symbolisiert perfekt den gesichtslosen Jedermann, gibt seinem Charakter aber dennoch ein dröges Charisma. Sein Co-Star Kate Ashfield (Shaun Of The Dead) bringt die nötige Frische und Vitalität ein, um als Gegenstück zu Christie zu funktionieren. Interessant ist auch die Konzeption von Hauptfigur und Stil. Während der Antiheld der Geschichte uncool bis ins Mark ist, setzt Tickell dem seinen hyper-coolen Inszenierungsstil entgegen. Licht und Schatten halten sich bei „Christie Malrys blutige Buchführung“ in etwa die Waage. Wer sich in einer aufgeklärten Welt gewappnet fühlt, sich einem derartigen Film zu stellen, wird zumindest einige interessante Aspekte entdecken können und ein zweifelsfrei optisch brillantes Werk zu sehen bekommen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top