Es ist eine besondere Stärke des britischen Films, Stimmungen ohne Reibungs- und Glaubwürdigkeitsverluste direkt aus der Gesellschaft auf die Leinwand zu übertragen. Sozial schwierige Themen werden etwa in Ganz oder gar nicht, Billy Elliot oder The Commitments mit Leichtigkeit und Präzision zugleich aufgegriffen. Diese Verbindung von exakter Milieuzeichnung und hohem Unterhaltungswert geht dem deutschen Film zumeist ab. Aber natürlich gibt es Ausnahmen: Zu ihnen gehört der besonders gelungene Gegenbeweis „Bang Boom Bang“. Die coole Gangster-Komödie atmet das Lokalkolorit des Ruhrpotts, während sich Peter Thorwarth auf die Spuren von Guy Ritchie und Quentin Tarantino begibt – und sich dabei nicht vergaloppiert wie so viele Regisseure vor ihm. Deshalb ist „Bang Boom Bang“ mittlerweile ganz schlicht Kult.
Bankräuber Keek (Oliver Korittke) lässt es entspannt angehen im Leben. Doch mit der Ruhe ist es vorbei, als sein Komplize Kalle (Ralf Richter) rasend vor Wut aus dem Knast ausbricht: Amateurfilmer Franky (Jochen Nickel) hatte Kalles „Olle“ Manuela (Sabine Kaack) vor der Kamera für seinen Porno „Eingelocht“ gevögelt. Nun fordert der extrem gewalttätige Kalle von Keek seinen Anteil der gemeinsamen Beute. Er beansprucht 90 Prozent der geraubten 200.000 Mark, weil er den Kumpanen bei der Festnahme nicht verpfiffen hat. Doch Keek plagt ein Riesenproblem: Er hat einen Großteil des Geldes beim Pferderennen verzockt und nicht einmal mehr die 40.000 Mark, um den von Kalle eingeforderten Mercedes schwarz zu besorgen. Also vermischen Keek und sein Kumpel, der heißspornige Fußballer und Automechaniker Andy (Markus Knüfken), kurzerhand je 20.000 Mark falsches und echtes Geld. Das fällt Gauner Ratte (Heinrich Giskes) und seiner Gang zunächst nicht auf. Aber nur zunächst. Für die Fahrzeugübergabe haben Keek und Andy unterdessen den trotteligen Lagerarbeiter Schlucke (Martin Semmelrogge) als Fahrer angeheuert. Und weil der seine Klappe nicht halten kann, verklickert er jedem, dass er einen Einbruch bei seinem Boss, dem schmierigen Unternehmer Kampmann (Diether Krebs), und dessen ebenso widerlichen Sohn Mark (Christian Kahrmann), plant. Die Crux: Der Bruch ist von Kampmann initiiert, um die Versicherung auszunehmen. Nur davon wissen Keek, Andy und Ratte, die alle mitmischen wollen, nichts…
Wo Peter Thorwarth (Was nicht passt, wird passend gemacht, Goldene Zeiten) seine Inspiration sucht, ist offensichtlich. Der Regisseur bedient sich mit Vorliebe bei Quentin Tarantino, mit einem Eins-zu-eins-Zitat aus Pulp Fiction (die Kofferraumszene) verhehlt er das nicht und zeigt vielmehr dadurch seine Ehrerbietung. Auch Guy Ritchie und dessen Bube, Dame, König, Gras, Joel und Ethan Coen mit ihrem The Big Lebowski oder Barry Sonnenfeld mit Get Shorty haben unübersehbar Pate gestanden. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs in Sachen filmischer Referenzen und Anspielungen. Das reicht von den Simpsons und Krieg der Sterne bis hin zu Didi - Der Doppelgänger. Zitieren allein ist noch keine Kunst, aber Thorwarth verlegt seinen lässig-skurrilen Gangsterplot auf so elegante Weise in das Ruhrgebiets-Ambiente, dass die große Kino-Welt und der Pott mit seinen schillernden Typen stimmig zusammenfinden.
Manche Menschen träumen ihr ganzes Leben lang ihren Traum, und irgendwann wachen sie auf und stellen fest, dass sie sich an ihren Traum überhaupt nicht mehr erinnern können. - Andy/Melanie
Womit wir beim Trumpfass des Films wären: „Bang Boom Bang“ bietet ein scheinbar unerschöpfliches Füllhorn an schrägen Charakteren, von denen die meisten allein schon einen eigenen Film wert wären – dazu verleiht Thorwarth seiner Komödie mit ausgefeilten Ruhrpott-Dialogen immer wieder Würze. So bekommen selbst die Schauspieler in kleineren Rollen und Cameos die Gelegenheit, mit feinen Kabinettstückchen zu glänzen. Ob „Wettdealer“ Hilmi Sözer („Der Pferd heißt Horst!“), „Tankwart“ Willi Thomczyk („Ihr seht nicht nur scheiße aus, ihr seid auch scheiße, ihr beiden“), „Rasta-Fußballer“ Til Schweiger („Alter, wieso musst du auch deinen scheiß Schwanz in meinen Ball stecken? Und jetzt kriech vom Platz, du Mädchen“), „Pornodarsteller“ Ralph Herforth oder „Regisseur“ Ingolf Lück – jeder bekommt seinen Auftritt. Im Abwechslungsreichtum liegt eines der Erfolgsgeheimnisse von „Bang Boom Bang“, die Gaststars sind dabei kleine Sahnehäubchen auf eine Geschichte, deren Wendungs- und Einfallsfülle auch locker für mehrere Filme gereicht hätte.
„Das ist wie mit ‘ner Ollen, man kann mal dieses Modell fahren oder mal jenes, mal‘n sportliches oder ‘nen Oldtimer. Kannst dir auch mal ‘nen Fahrzeug ausleihen, scheiß egal. Oder vielleicht benötigt man ja auch mal einen Kleinbus, hhm für ‘nen Ausflug oder‘n Umzug oder so. Aber du brauchst ein Fahrzeug, was zu dir passt, mit Stil, eins mit Charakter - verstehste? Ein Baby, zum Liebhaben. Du musst es pflegen, streicheln, tanken, auch Geld reinstecken, so‘n Baby will unterhalten werden! Aber dafür bleibt‘s vielleicht auch bis zum Ende deines Lebens bei dir - dein Eigentum! - Kalle über seinen neuen Mercedes
„Musterknabe“ Oliver Korittke (Reine Formsache, Evet, ich will!) ist sowieso die coolste Sau unter der Sonne - in „Bang Boom Bang“ meißelt er diese These eindrucksvoll in Zelluloid. Sein Keek ist ein Müßiggänger der total relaxten Sorte, der aber durch die Umstände gezwungen wird, aus seiner Lethargie zu erwachen. Korittke gibt seinem jointquarzenden Loser eine unglaubliche Gelassenheit und hat alle Sympathien auf seiner Seite. Dazu verleiht Ralf Richter (Das Boot, Vorstadtkrokodile) seinem Gangster-Psychopathen Kalle eine brandgefährliche Aura, Martin Semmelrogge („Das Boot“, Hardcover) spielt grandios den geknechteten Möchtegern Schlucke und Diether Krebs (in seiner letzten Kinorolle) gibt dem Chauvi-Unternehmer Kampmann etwas richtig Ekliges. Christian Kahrmann (Das erste Semester, U-900) befreit sich herzhaft und erfolgreich von seinem „Lindenstraßen“-Image, Markus Knüfken („Was nicht passt, wird passend gemacht“) zeigt, wie undiplomatisch und aufbrausend ein Typ sein kann und selbst Alexandra Neldel (Autobahnraser) beweist als heimliche Schlüsselfigur des Films, dass in ihr mehr steckt als nur die Trulla aus „Verliebt in Berlin“.
„90-60-90... das sind die Noten, weswegen wir dich hier eingestellt haben.“ – Kampfmann über seine Auszubildende Melanie
Im Feuerwerk der Dialogperlen und der irrwitzigen Situationen fällt es kaum auf, dass die visuelle Gestaltung sich nicht ganz auf der Höhe der prominenten Vorbilder befindet, auch wenn das unglamouröse Grau, das die Bilder dominiert, durchaus zum Lokalkolorit gehört. Thorwarth bietet da mehr solides Handwerk als Kunst, doch dieses kleine Nachlassen wertet er dadurch auf, dass er seinen verworrenen, wilde Haken schlagenden Plot hundertprozentig im Griff hat und hinter jeder Ecke wieder neue Gagideen hervorluken.
„Der Action-Andy hat den Eierhahn mit der 12 einfach umgewämst!“ – Ein Zuschauer berichtet Kampmann von Andys Handgreiflichkeit auf dem Fußballplatz
Fazit: Regisseur Peter Thorwarth gelingt das nicht unerhebliche Kunststück, eine deutsche Gauner-Komödie vorzulegen, die sich in puncto Originalität und Einfallsreichtum mit den ganz Großen messen kann: brillante Dialoge, umwerfende Figuren und tolle Schauspieler – so ist „Bang Boom Bang“ zu Recht zu einem Kultfilm geworden. Während Thomas Jahn die Versatzstücke amerikanischer Genrevorbilder in Knockin‘ On Heaven’s Door bloß kopiert, spielt Thorwarth lustvoll mit ihnen. Er gibt dem schon Bekannten einen neuen Dreh und schafft so etwas völlig Eigenständiges.