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    Arlit, ein zweites Paris
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Arlit, ein zweites Paris
    Von Ulf Lepelmeier

    Arlit liegt im Norden des Nigers. Als der Minenbetreiber SOMAIR Ende der 60er Jahre in der Tenere-Wüste mit dem Abbau von Uran begann, entwickelte sich um die vom Mienenunternehmen errichteten Arbeitersiedlungen schnell eine Stadt, die heute rund 90.000 Einwohner zählt. In den Gründerjahren galt sie als afrikanisches Eldorado, man sprach von einem zweiten Paris. Doch die Aufstände der Tuareg und vor allem der Fall des Uranpreises stürzten den Ort und seine Einwohner in eine tiefe Krise, welche noch immer andauert. Heute ist Arlit vor allem Anlaufstelle für illegale Immigranten auf dem Weg nach Algerien und letzter Halt vor der Durchquerung der Wüste.

    „Bienvenue a Arlit“ steht auf einem vergilbten Schild am Stadteingang, den ein Bus passiert. Danach wirft der Zuschauer das erste Mal einen Blick auf die ärmlich erscheinenden, sich der Farbe des Sandes anpassenden Lehmhäuser, die das Stadtbild von Arlit prägen. Man kann es nicht glauben, dass dieses Fleckchen sandige Erde einmal den Beinamen „Zweites Paris“ getragen haben soll, wie die älteren Einwohner voller Stolz berichten. Die Stadt sei unaufhörlich weiter expandiert, ein reger Flugzeugverkehr habe geherrscht und die Menschen, vor allem die Mienenarbeiter, hätten richtig gut verdient. Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Heute gibt es in Arlit nicht genug Arbeit, kein Geld und auch keine Perspektiven für die Zukunft. Eine Stadt, die nur vom Uran lebt, steht und fällt mit dem Uranpreisen - und diese sind seit Jahrzehnten im Keller, weswegen der Uranabbau nur noch mit halber Kapazität betrieben wird und immer wieder Gerüchte kursieren, die Mienen könnten ganz schließen. Auch der Staat Niger hängt am Urantropf, macht die Förderung doch ganze 30 Prozent des gesamten Staatshaushalts aus.

    Trotz der wirtschaftlichen Krise nimmt die Einwohnerzahl immer noch stetig zu, was neben der hohen Geburtenrate auch an der innerafrikanischen Migration liegt. Viele folgen dem immer noch guten Ruf der Stadt innerhalb Afrikas und hoffen, dort bessere Voraussetzungen vorzufinden als in ihrer Heimatstadt oder ihrem Heimatland. Auch bleiben Einige, die von Europa oder wenigstens Algerien als Ziel ihrer Wanderung träumten, in Arlit hängen. Erwischt die Polizei die illegalen Immigranten bei der Durchquerung der Wüste, werden sie in die Wüstenstadt zurückgeschickt. Der Laster oder das Auto, welches sie transportiert wird beschlagnahmt. Regisseur Idrissou Mora-Kpai, Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Babelsberg, lässt Menschen unterschiedlichster Herkunft, welche in Arlit gestrandet sind, in seiner Dokumentation vor die Kamera treten. So kommen Männer zu Wort, die ihr Geld damit verdienen, Menschen durch die Wüste zu schmuggeln, aber andererseits auch zwei Frauen aus Ghana, die in einer Bar arbeiten, die zur Zeit keine Getränke mehr anzubieten hat. Eigentlich schlagen die Beiden bei ihrem Dienst nur die Zeit tot, schließlich gibt es keinen einzigen Gast, dem die Damen mitteilen könnten, dass sie momentan nicht in der Lage sind irgendetwas auszuschenken.

    Zentrales Thema des Films ist auch die Verstrahlung der Einwohner der Stadt, die nur knapp zehn Kilometer von den Uranmienen entfernt liegt. Die Mienenfirmen verschenken gar kontaminierten Metallschrott als Bonus an Mitarbeiter, die sich aus diesem dann Haushaltsgegenstände bauen. Früher, so geben die Interviewten zu verstehen, wussten sie nicht, warum gerade so viele Mienenarbeiter erkrankten und starben. Sie hätten noch nicht einmal gewusst, was sie da eigentlich aus der Erde herausholten. Das Krankenhaus und die meisten Ärzte in Arlit werden von den Mienengesellschaften bezahlt. Sind die Patienten ernstlich krank, lautet die Diagnose meist AIDS, auch wenn die Symptome eindeutig auf ein Krebsleisen hinweisen. Die Ärzte wollen, dass möglichst kein Bezug zwischen dem Uranabbau und den gehäuft auftretenden Krankheiten besteht. Deswegen sollen möglichst selten Krebserkrankungen diagnostiziert werden. Lungenkrebs ist die Haupttodesursache, doch nach den Ärzten erkranken die meisten Menschen in Arlit auf Grund von zu hohem Zigarettenkonsum an der Krankheit.

    Zwischen den zumeist interessanten Interviewpassagen schwenkt die Kamera immer wieder minutenlang über die Wüste oder die Miene. Schade ist, dass diese Einstellungen nicht dazu genutzt werden, um mittels eines Kommentars dem Zuschauer allgemeine Informationen über die Stadt an die Hand zu geben. Merkwürdig erscheint auch, dass mit Ausnahme des Vor- und Abspanns auf jegliche musikalische Untermalung verzichtet wird, hätte diese doch merklich zur Auflockerung der Dokumentation beitragen können. Regisseur Idrissou Mora-Kpai interviewt in Arlit Menschen unterschiedlichster Herkunft und lässt den Betrachter an ihren Gedanken, Wünschen und Ängsten teilhaben. Leider wird auf jegliche klärende Kommentierung verzichtet, so dass alles aus den Gesprächen heraus geklärt werden muss, was nicht immer zu gelingen vermag, so dass der Zuschauer nach der Dokumentation das Gefühl beschleicht, dass einige Themen in Bezug auf die Wüstenstadt angeschnitten, aber nicht ausreichend behandelt wurden.

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