Nach einem eher durchwachsenen Wettbewerb konnte Regisseur Yoji Yamada bei der 60. Berlinale mit seinem virtuos zwischen Drama und Komödie changierendem Abschlussfilm About Her Brother begeistern und diejenigen wieder etwas versöhnlicher stimmen, die sich vorher über unausgegorene Nazifilme (Jud Süß – Film ohne Gewissen), frauenverachtende Psychothriller (The Killer Inside Me) oder einschläfernde Puzzleturniere (Puzzle) geärgert hatten. Neben „About Her Brother“ hatte Yamada aber auch noch die zusammen mit Co-Regisseur Tsutomu Abe und 22 Studenten entwickelte romantische Komödie „Kyoto Story“ nach Berlin mitgebracht. Die mit Interviews angereicherte Hommage an das traditionsreiche Stadtviertel Uzumasa im Herzen Kyotos erzählt in ruhigen, unaufgeregten Bildern von den Liebeswirren der Bibliothekarin Kyoko und fängt zudem wie nebenbei die Schönheit des Alltags in der Stadt der Tempel und Schreine ein.
Die aufgeschlossene Kyoko Higashide (Hana Ebise) arbeitet in der Uni-Bibliothek und hilft in der Reinigung ihrer Eltern aus, mit denen sie im alten Einkaufsviertel Uzumasa in Kyoto zusammenlebt. Auch ihr Freund Kota Yanase (USA (EXILE)), der seit längerem vergeblich versucht, als Stand-Up-Comedian Fuß zu fassen, wohnt in dem von kleinen Läden geprägten Bezirk. Doch dann lernt Kyoko den schüchternden Kalligraphieprofessor Enoki Daichi (Sotaro Tanaka) kennen. Trotz seiner schusseligen Art ist ihr der für ein paar Monate für ein Projekt in Kyoto weilende Dozent sofort sympathisch. Auf einmal beginnt die junge Bibliothekarin, sich zu fragen, ob der fast ausschließlich an seine Komikerkarriere denkende Kato sie überhaupt wirklich liebt. Kyoko muss sich zwischen den beiden Männern entscheiden und herausfinden, ob sie ihre Zukunft wirklich in ihrer Heimatstadt sieht…
„Dieser Film ist eine Liebeserklärung an die Shochiku Studios, die Ritsumeikan Universität und das Einkaufsviertel Uzumasa in Kyoto – Orte, an denen die japanische Filmgeschichte gepflegt wird. Das Projekt wurde von großer Hoffnung und Leidenschaft für die Zukunft des Kinos getragen.“ - Yoji Yamada
Der Stadtteil Uzumasa in Kyoto war einst als Hollywood Japans bekannt, immerhin hatten hier neben den heute noch existierenden Shochiku Filmstudios auch die ehrwürdigen Daiei Filmstudios ihren Sitz, in denen unter anderem Akira Kurosawas Rashomon oder Kinugasa Teinosukes oscargekrönter „Gate Of Hell“ entstanden. In einer kleinen Einkaufsstraße mit familiengeführten Geschäften, die zwischen dem Hauptgebäude der Shochiku Filmstudios und dem College of Image Arts and Science der Ritsumeikan Universität gelegen ist, spielt nun der kleine Studentenfilm, den der japanische Regiealtmeister Yoji Yamada (Samurai der Dämmerung, „Love And Honor“, Kabei) zur praktischen Wissensvermittlung mit seinen Studenten drehte. Ein Jahr lang waren die angehenden Filmschaffenden mit der Entwicklung der Geschichte und der Suche nach geeigneten Laiendarstellern beschäftigt, die sich im Film selbst spielen und zudem in zwischengeschnittenen Interviews zu Wort kommen. Neben den drei zentralen Charakteren werden nur die kleine Schwester der Protagonistin sowie ein Kaufhauswachmann von professionellen Schauspielern verkörpert.
Die Interviews, welche die Erinnerungen, Wünsche und Befürchtungen der Bewohner der Einkaufsstraße widerspiegeln, fügen sich dabei überaus harmonisch in die Filmhandlung ein. Parallel zur sich langsam entwickelden Liebesgeschichte werden dann quasi nebenbei die Überalterung der Gesellschaft, das langsame Zugrundegehen der kleinen, familiengeführten Geschäfte und der Wunsch der Eltern, dass die Kinder doch in ihre Fußstapfen treten mögen, thematisiert.
Trotz einem melancholischen Blick auf das zwischen Tradition und Moderne stehende Kyoto und der rührenden Story um die liebenswerte Kyoko gibt es bei „Kyoto Story“ aber auch immer wieder etwas zu lachen. Sei es über den Running Gag, dass über Privatsachen doch bitte nicht gesprochen werden sollte, die trockenen Kommentare der stets zu spät zur Schule aufbrechenden kleinen Schwester von Kyoko oder insbesondere die unbeholfene Art des liebestrunkenen Gastdozenten. Auch die zahlreichen Slapstickeinlagen, die leicht hätten ins Lächerliche abdriften können, funktionieren hier tadellos, was insbesondere an Sotaro Tanakas hervorragender komödiantischer Leistung liegt.
Auch wenn Yamadas Beitrag für das Berlinale Forum noch etwas straffer hätte inszeniert werden können und wohl auch aufgrund der kurzen dokumentarischen Einschübe nicht ganz die emotionale Intensität von „About Her Brother“ erreicht, verströmt das studentische Lehrstück mit seiner realitätsverhafteten, besonnen vorangetriebenen Dreiecksgeschichte und seinen sympathischen Charakteren einen ganz eigenen Charme.
Fazit: „Kyoto Story“ verquickt gekonnt die dokumentarischen Interviews der Einwohner Uzumasas mit einer ebenso einfühlsamen wie humorvollen Liebesgeschichte und ermöglicht so fernab der frequentierten Touristenpfade einen lebensechten Einblick in die bezaubernde Stadt Kyoto.