Männer stecken ja bekanntlich häufiger mal in der Krise! Besonders wenn sie sich der Lebensmitte nähern. Der 1973 geborene Regisseur Norbert Baumgarten begleitet seinen Protagonisten in der Tragikomödie „Mensch, Kotschie“ durch einen Alltag, der in seiner Banalität geradezu surreale Züge annimmt. Zumindest in den Augen Kotschies, der plötzlich aus seiner Stellung mitten im Leben heraustritt und zum verdutzten Beobachter wird. Diesen staunenden bis verständnislosen Blick auf die Welt setzt der Film in ausdrucksstarke Bilder um, die für sich sprechen und die knappen Dialoge im Bild fortsetzen. Baumgarten beherrscht die Kunst, seiner Geschichte bis ins Detail Form zu geben, ohne dabei dem Formelhaften zu verfallen.
Als Architekt und Bauleiter hat Jürgen Kotschie (Stefan Kurt) seine Projekte stets auf ein solides Fundament gestellt: Als sein 50. Geburtstag naht, hat er ein Haus gebaut, seine Frau (Claudia Michelsen) geehelicht und ein Kind (Max Mauff) in die Welt gesetzt. Nur einen Baum hat er nicht gepflanzt. Stattdessen vermisst er Bäume, die ihn an seine frühere Geliebte (Ulrike Krumbiegel) erinnern, und muss nun für neue Bauprojekte sogar selbst Bäume fällen (lassen), an denen andere Menschen offensichtlich sehr hängen. Er hat viel erreicht in seinem Leben, wie ihm die Kollegen bei der Geburtstagsfeier versichern - doch all das scheint Kotschie selbst plötzlich hochgradig suspekt. Geplagt von Schlaflosigkeit und Konfusion gleiten ihm berufliche Projekte und familiäre Konstellationen zunehmend aus den Händen. Während der schweigsame Vater sich an seiner Fernbedienung festklammert, seine Frau sich in der Haushaltsplanung selbst verwirklicht und sein gesamtes Umfeld offensichtlich dauererotisiert ist, fühlt Kotschie sich in jeder Hinsicht unzulänglich...
An keiner Stelle spricht der Protagonist seine Befindlichkeit aus, es würde ihn ohnehin niemand verstehen. Er braucht es aber auch nicht, denn der Film spricht in jeder Hinsicht für ihn - und das sehr viel eindrücklicher, als Worte es bloße je könnten: Die aufs Nötigste reduzierten Dialoge überspitzen den Zustand einer Kommunikation, die sich auf das Verständigen über Praktisches beschränkt und entfalten mitunter eine geradezu feindselige Wirkung. Glatt und klar strukturiert sind auch die Räume, in denen Kotschie sich bewegt. Quadratisch, praktisch, gut! Verspiele Elemente oder gar unordentliche Ecken haben hier keinen Platz, die Farben sind klar kontrastiert. In einem solchen Umfeld braucht es keinen Kommentar zur Gefühlslage von Kotschie, wenn er seine Aktenpapiere vom Winde verwehten vom Vorplatz seines Bürogebäudes aufsammelt und verspätet mit einem zusammengerafften Stapel von Ordnern und Papieren durch die Gänge des Büros eilt.
Film ist, wenn Bilder laufen lernen, und hier sind es in der Tat exakt komponierte Bilder, die aufeinander folgen. Ausschnitte und Perspektiven sind wohl überlegt, ohne jedoch stilisiert zu wirken. Bemerkenswert leicht und natürlich lässt man sich mit Kotschie durch einen verwirrend absurden Alltag treiben, in dem sich Phantasie und Wirklichkeit überlagern. Oft genug stellt sich dabei die Frage, ob es sich bei den Ausflügen ins Irreale um Wunsch- oder um Albträume handelt. So dramatisch diese Lebensphase für den Protagonisten auch sein mag - für den Zuschauer ist es in erster Linie urkomisch, ihm dabei zuzusehen, wie er sich da hindurch wurstelt.
„Schattenmann“ Stefan Kurt (Vier Minuten, Mein Führer, Bis zum Ellenbogen) spielt diesen Durchschnittstyp mit einer überzeugenden Mischung aus ängstlicher Unsicherheit und kindlichem Trotz so wunderbar, dass man ihm noch länger dabei zusehen könnte, wie sein Gesicht die widersprüchlichsten Emotionen gleichzeitig ausdrücken. Begleitet von ironisch-verspielter Musik bringt diese Figur ein Phänomen auf den Punkt, das neben den klassischen Frauenthemen zunehmend in den Fokus rückt: der Mann in der modernen Gesellschaft. Vom Bildungsverlierer in der Schule bis zum verzagten Macho in der Midlife-Crisis wird das Rätsel Mann diskutiert, und Baumgarten liefert mit seinem Film einen sehr unterhaltsamen und vielschichtigen Betrag. Klugerweise vermeidet er es, Antworten zu geben. Vielmehr lässt er den Zuschauer das verwirrende Gefühl des Betroffenen erfahren, selbst nicht zu wissen, was mit einem los ist. Wie in der klassischen Tragödie erfährt Kotschie im Film eine Katharsis. Dass diese ebenso unmotiviert erscheint, wie alle vorherigen, in Sackgassen geendeten Aktionen der Hauptfigur, mag etwas beliebig erscheinen, eine gewisse Nähe zum wahren Leben lässt sich aber auch dem nicht absprechen.
Fazit: Regisseur Norbert Baumgarten besinnt sich auf unterhaltsame Weise auf die Ur-Tugenden des Filmhandwerks zurück: Er nutzt starke Bilder und nur knappe Dialoge, um den verwirrenden Zustand seines Protagonisten zu beleuchten. Mitunter bereitet es ein geradezu diebisches Vergnügen, sich selbst in der vielsagenden Darstellung von Stefan Kurt wiederzuerkennen.