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    Retreat
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Retreat
    Von Jan Hamm

    Selten berühren sich Kino und Theater so deutlich wie im Genre des Filmkammerspiels, das mit Lupu Picks „Scherben" von 1921 bereits im Stummfilmzeitalter auf den Weg gebracht wurde. Heute verstehen wir darunter vor allem: wenige Protagonisten auf engem Raum, karge Ausstattung und psychologisch ausgefeilte Dialoge. Damit eine derart aufs Wesentliche reduzierte Inszenierung aufgeht, braucht es schon besonders fähige Filmemacher und Schauspieler. Gleich mit seinem Regie- und Autorendebüt „Retreat" versucht sich Carl Tibbetts an diesem schwierigen Konzept. Fünf Frauen und Männer stark ist seine Besetzung, nur drei davon sind die ganze Laufzeit über präsent. Dem Genre gewinnt Tibbett dabei zwar nichts wirklich Neues ab, spannend und wendungsreich geht es in seinem theaterhaften Film jedoch allemal zu.

    Nach einer persönlichen Tragödie verbringen die Eheleute Martin (Cillian Murphy) und Kate (Thandie Newton) ein paar freie Tage auf einer abgelegenen schottischen Insel. Eigentlich sollten sie die einzigen Bewohner sein, dann aber finden die schockierten Urlauber eine halbe Meile entfernt von ihrer Residenz einen bewusstlosen Mann. Gerade wollen sie ihn ins Haus schaffen, da bemerken sie, dass er verletzt ist und eine Waffe bei sich trägt. Als er wieder zu sich kommt, erzählt Jack (Jamie Bell) dem Paar von einem Virus, das angeblich bereits einen Großteil der Außenwelt infiziert hat. Nun, so der seltsame Mann, soll das Haus verbarrikadiert werden. Doch gibt es diesen Virus überhaupt – oder hat Jack ganz andere und möglicherweise düstere Motive?

    Die Geschichte von „Retreat" erinnert an die 1989 erschienene Romanverfilmung „Todesstille" mit Nicole Kidman und Sam Neill. Damals stießen die beiden als Ehepaar bei einem Segeltrip auf ein havariertes Boot – dem einzigen Überlebenden zufolge soll seine Crew von einer Lebensmittelvergiftung hingerafft worden sein. Misstrauen macht sich breit und die Situation spitzt sich zu. Trotz einiger Schwächen kann Carl Tibbetts‘ sehr ähnlicher Entwurf durchaus weitestgehend mit Phillip Noyces Film mithalten. Besonders stark ist etwa eine Szene, in der ein panischer Jack felsenfest behauptet, dass die improvisierte Zuflucht kurz vor ihrer Stürmung stünde – zu sehen sind die angeblich gleich vor den Toren lauernden Feinde allerdings nicht.

    Dichtet Jack in diesem Moment zum Virus auch noch infizierte Menschen hinzu, oder ist seine Furcht begründet? Ist es womöglich gar die Polizei, die er mit gutem Grund zu fürchten hat? Noch undurchschaubarer kommt Jamie Bells („Billy Elliot", „Ein riskanter Plan") Jack daher, mit ihm beginnt das Rätselraten schließlich. Ist er nun Bösewicht oder Retter in letzter Not? Dem Rollenentwurf entsprechend legt Bell seinen Jack als hochgradig ambivalente Figur an. Ob er nun ein brandgefährlicher Irrer ist oder sich tatsächlich wochenlang durch kontaminiertes Gebiet gekämpft hat – zuzutrauen ist dem geschundenen und mit Tattoos übersäten Mann hier jederzeit beides.

    Ihm gegenüber steht der irische Charaktermime Cillian Murphy („28 Days Later", „Inception"), der seit seinem Scarecrow-Auftritt in „Batman Begins" längst auch einem breiteren Publikum vertraut ist. Als Martin ist Murphy gewohnt stark – mit Bell liefert er sich hier ein Schauspielduell, das die verheißungsvolle Kammerspiel-Überschrift auch wirklich verdient. Thandie Newton („2012", „L.A. Crash") kann da als depressive Kate vorerst nicht ganz mithalten. Erst in der zweiten Hälfte, wenn ihr die Handlung mehr Raum zur Entfaltung bietet, spielt sie sich allmählich in den Vordergrund. Derweil bereitet Tibbetts bereits sein Finale samt befriedigender Auflösung vor. Garniert wird „Retreat" dann sogar noch mit einem Schlussgag, der sich ohne weiteres als Hommage an einen gewissen Zombie-Klassiker deuten lässt.

    Fazit: Mit seinem soliden Debüt empfiehlt sich Carl Tibbetts als fähiger Nachwuchsregisseur. Dank starker Darsteller und stimmiger Kammerspiel-Atmosphäre ist „Retreat" auch für diejenigen noch sehenswert, die „Todesstille" oder zumindest die Insel- und Isolationsprämisse längst in- und auswendig kennen.

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