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    Albert Nobbs
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Albert Nobbs
    Von Sascha Westphal

    1982 ist Glenn Close schon einmal in die Rolle des Kellners Albert Nobbs geschlüpft, der im späten 19. Jahrhundert in einem kleinen, aber sehr exklusiven Dubliner Hotel als Kellner arbeitet und ein ganz spezielles Geheimnis hütet. Damals hat sie diesen schüchternen, ganz in sich verschlossenen Mann, der eigentlich eine Frau ist, auf der Bühne eines Off-Broadway-Theaters gespielt. Seither hat die Figur, die ursprünglich von dem irischen Schriftsteller George Moore erschaffen wurde, sie nicht mehr losgelassen. Beinahe 30 Jahre lang hat sich Glenn Close um eine Verfilmung des Stoffes bemüht. Einmal war es schon fast so weit. Damals wollte der Ungar Istvan Szabo („Taking Sides - Der Fall Furtwängler“) Moores Kurzgeschichte verfilmen. Aber dazu kam es dann nicht. Das Projekt ist wie so viele andere irgendwo auf dem Weg steckengeblieben. Doch Glenn Close hat unermüdlich weitergekämpft, selbst am Drehbuch mitgearbeitet und schließlich triumphiert. Mit dem in Kolumbien geborenen Filmemacher Rodrigo García, der zu Beginn seiner Karriere vor allem Serienepisoden für HBO (u.a. „Six Feet Under“, „In Treatment“) gedreht hat und sich schließlich als sensibler Frauenregisseur etablieren konnte, hat sie schließlich den idealen Kollaborateur für dieses Projekt gefunden. In seinen Händen hat sich Moores Kurzgeschichte in ein leises und extrem zurückhaltendes Melodram verwandelt, das Glenn Close eine mehr als nur verdiente Oscar-Nominierung eingebracht hat.

     

    Jahrzehnte lang hat die Frau, die sich Albert Nobbs nennt, ihr stilles Leben als aufmerksamer, aber zugleich auch weitgehend unsichtbarer Bediensteter führen können. Einst war sie als Mädchen von mehreren Männern vergewaltigt worden und zutiefst traumatisiert beschlossen, ihr vorheriges Leben und ihre Identität hinter sich zu lassen. Als sie davon erfuhr, dass für eine große Feier Kellner gesucht wurden, kaufte sie einen gebrauchten Abendanzug und verwandelte sich erstmals in Albert Nobbs. Dabei ist es geblieben. Wahrscheinlich hätte sich auch nichts in ihrem Leben verändert, wenn der Anstreicher Hubert Page (Janet McTeer) nicht zufällig ihr Geheimnis entdeckt hätte. Als er sich ihr daraufhin selbst als Frau zu erkennen gibt, eröffnet sich für Albert eine neue Welt. Sie hat schon seit Jahren auf ein kleines Geschäft hin gespart. Doch erst die Begegnung mit Hubert, die mit einer Frau verheiratet ist und nach öffentlich eine ganz normale Ehe führt, gibt Albert den Mut, sich an die Verwirklichung ihrer Träume, in denen die junge Hotelangestellte Helen (Mia Wasikowska) eine zentrale Rolle spielt, zu machen.

     

    Selbst mit den kurzgeschnittenen Haaren, dem formellen Anzug, so wie ihn Kellner im Irland des ausgehenden 19. Jahrhunderts getragen haben, und dem bleichen, ungeschminkten Gesicht, das mit den vielen Sommersprossen fast noch etwas Kindliches hat, ist Glenn Close die ganze Zeit über als Glenn Close zu erkennen. Dennoch ist die Maskerade perfekt. Die wahre Identität verschwindet hinter einer irritierenden, den Betrachter immer wieder zu Reaktionen herausfordernden Kunstfigur. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert lag die Provokation natürlich in Alberts Entscheidung, keine Frau mehr zu sein. Heute geht eher etwas Verstörendes von ihrer völligen Verkapselung aus. Glenn Closes Albert ist eben nicht nur eine Cross-Dresserin, sondern ein Mensch ohne eigene Identität. Selbst ihr Begehren ist das eines Kindes, das davon träumt, mit einer Freundin und Gefährtin Ehe zu spielen. Dass Helen ihrer brennenden Sehnsucht und ihrem kaum im Zaum zu haltenden Verlangen dieser Phantasie niemals gerecht werden könnte, steht von Anfang an fest.

     

    Alles Körperliche, alles Sexuelle, ist in Alberts Welt vollständig sublimiert, bis nichts als eine wahrhaft jungfräulich-reine Phantasie bleibt. Diese Welt-Fremdheit ist, daran lässt Glenn Close in ihrem Spiel keinerlei Zweifel, ein Schutzmechanismus. Aber zugleich hält sie mit ihrer extrem steifen Körperhaltung und ihren ebenso züchtigen wie angstvollen Blicken einer Gesellschaft einen Spiegel vor. Albert Nobbs ist nicht nur ein Produkt des viktorianischen Zeitalters und seiner bigotten Moral. Er ist zugleich auch ihre Inkarnation, ein tragisches Ideal. Albert steht am Rande ihres eigenen Lebens. Als sie schließlich beschließt, doch noch selbst ins Zentrum zu treten, muss sie prompt den ultimativen Preis zahlen.

     

    Rodrigo Garcías Inszenierung ist genauso zurückhaltend und verschlossen wie Albert. Seine Kamerafahrten spiegeln die unauffällige Eleganz in Glenn Closes Auftreten, während seine Schnitte genau wie Alberts Haltung von einer Sehnsucht nach Unsichtbarkeit zeugen. García verschwindet hinter den atmosphärisch dichten Bildern, so wie Albert im Dekor des Hotels verschwindet. So kommt der Film der Welt und der Epoche, die er heraufbeschwört, ungeheuer nah. Sie wird noch einmal lebendig und ist ganz und gar transparent. Die Mechanismen und die Ungerechtigkeit dieser gleichermaßen von neuen kapitalistischen Entwicklungen wie von alten Klassenstrukturen geprägten Gesellschaft treten offen zu Tage. In diesem Umfeld kann eine Frau wie Albert nur scheitern. Aber auch die, an denen sie scheitert, sind wie sie Gefangene. Für die Kellner und die Zimmermädchen, die Handlanger und die Handwerker gibt es kein Entkommen. Amerika ist ein vager Traum, ein Phantasma, das die erdrückende Wirklichkeit etwas erträglicher macht, und zugleich ein Stachel, der die Unterdrückten und die Ausgebeuteten gegeneinander intrigieren lässt.

     

    Fazit: Mit dieser auf eine geradezu berauschende Weise beherrschten Literaturverfilmung, tritt Rodrigo García, der bisher eher als Spezialist für zeitgenössische Neurosen und Obsessionen galt, erstmals in die Fußstapfen von James Ivory. Wie die oft extrem umstrittenen Merchant-Ivory-Filme (u.a. „Wiedersehen in Howards End“, „Zimmer mit Aussicht“) verleiht auch „Albert Nobbs“ einer unerschütterlichen Liebe zu den Menschen Ausdruck, einer Liebe, die aber keineswegs blind ist. García zeigt die Menschen, wie sie sind, schwach und ängstlich, gemein und kleinlich, und manchmal eben auch zärtlich und selbstlos. Das ist zutiefst berührend, aber auch extrem erhellend.

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