Wir schreiben das Jahr 2009... Mom-Jeans werden bestimmt und hoffentlich nie wieder in Mode kommen, im Supermarkt haben die Artikel einigermaßen passende Größen zum anständigen Inhalt und im Kino... da erheben sich plötzlich große, blaue Humanoiden und machen sich daran, die Welt im Sturm zu erobern... Zu eingängigen Klängen eines schönen Soundtracks und beeindruckend ästhetisch-bunten Bildern wird der damals neue erfolgreichste Film aller Zeiten auf die Kinoleinwände gezimmert.
Frauen schreien hysterisch und wollen blaue Babys vom Hauptdarsteller, während sich manch ein Mann gedanklich endlich von Prinzessin Leia verabschieden kann, weil es jetzt Neytiri gibt. Das die Handlung des Blockbusters auf eine Serviette von McDonalds passt (nachdem man sie erst halbiert und anschließend geviertelt hat), fällt den meisten Zuschauern zwar durchaus auf, aber da Smartphones langsam in fast jeder Hosentasche stecken und das dekadent-verdummte Ende der Welt zu nahen scheint, sind viele froh über leichte Kost, die in eine fremd-fantastische Welt entführt, in der es nur ein einziges Problem gibt - eine beginnende Invasion kleiner, blasser, schwächlich aggressiver Wesen.
Und ja, auch ich fand ihn großartig, ich habe mitgefiebert, geweint und mich beinahe blau angemalt. Er hatte eine wohlig-kuschlige Seichtheit, die mir trotzdem eine Welt und ihre Regeln angenehm näherbringen konnte.
Zeitsprung - tzzzzzzzzzzzzzzip - das Jahr 2023
Der Abspann beginnt, neben mir weinen die weiblichen Begleiterinnen Rotz und Wasser. Ich beginne, mich leicht unwohl zu fühlen. Wer ins Kino eingeladen wird (in diesem Fall für 18 Euro die Karte), mag es nachempfinden können, das man nicht einfach aufstehen und böse Worte gegen die Leinwand und gefühlt die ganze Welt schmettern kann/sollte/würde. Ich bin ein emotionaler Eisklotz, selbst Haribo-Werbung löst in mir deutlich mehr Emotionen aus als der Tod von Jake's Sohn X und die anschließende Bemeerigung. So ist das eben mit Fremden, die kann man nicht alle beweinen, und diesen Typen sah ich in über 3 Stunden gefühlt keine 200 Sekunden. Ja, der war mir regelrecht sch... egal, ich gebs zu. Hatte der überhaupt einen Namen? Jedenfalls muss ich mich gleich den Kinobegleitern stellen und meine Meinung abgeben. Jetzt kommt doch Emotion. Angst.
Ich nutze also die letzten Minuten im Dunklen für den Versuch, meine Gedanken zu sortieren und vor allem aber, mir diplomatisch-neutrale Sätze auszudenken, die hoffentlich nicht zu sehr durchblicken lassen, wie sehr ich diesen Film künftig verachten werde. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, das am Ende eine Post-Credit-Szene kommt, in welcher Herr Quidditch (Name zum Schutz des komplett sinnbefreit agierenden Bösewichts verfälscht) die Kinder zum 4. oder 5. Mal innerhalb von drei Stunden als Geiseln nimmt.
Dieser Film hat weniger Substanz als der durchschnittliche Waschmittel-Werbespot, weniger Humor als Bully Herbig, weniger Handlung als eine durchschlafende Stubenhocker-Eintagsfliege und Dialoge, bei denen mir die Gespräche mit "Betonfirma-Harry" aus meiner Kindergartenzeit im Sandkasten wie intellektuelle Höhenflüge vorkommen.
Ich frage mich gerade, was Herr Quidditch gemacht hätte, wenn sich Jake und Neytiri nicht wie die Karnickel vermehrt hätten, um den Fünf-Finger-Freak Anteil unter dem blau-grünen Volk zu erhöhen. Ich kenn diese Typen, die mit Fitness-Studio und Survival-Kurs prahlen, nur um sich dann den kleinen, gehbehinderten Bruder des Widersachers zu schnappen und draufzukloppen. Quidditch jedenfalls hat nichts Besseres zu tun, als den ganzen Tag lang immer und immer wieder Kinder als Geiseln zu nehmen. Ich hab mal Briefmarken gesammelt. Naja, jedem das Seine.
Im ersten Teil, so meine ich mich zu erinnern, wurden Fauna und Flora nicht in wissenschaftlichen Abhandlungen erklärt, aber doch immerhin hier und da kurz erwähnt und nähergebracht. Jedenfalls kannte ich die Namen aller Figuren und die der meisten Tiere. In Teil 2 musste das Worldbuilding praktisch komplett gestrichen werden, da sonst mindestens eine der Kindergeiselnahmen hätte ausfallen müssen. Dadurch wird u.a. der Setting-Wechsel ins Meer so dermassen langweilig und überflüssig, das man sich dabei erwischt, ein Popcorn in den Mund zu schieben und anschliessend mit der Zunge eine Form zu erraten.
Bei 190 Minuten Laufzeit in einer weiteren Szene zu erläutern, warum die Doppelfreak-Tochter plötzlich Meeresbewohner fernsteuern kann und wieso Eywa nicht einfach wie in Teil 1 die Menschen einfach wieder besiegt, hätte eine weitere tolle Geiselnahme-Szene gekostet. Apropos Deja-Vu's. Versuchen sie mal gedanklich, in der Szene des Überfalls auf diesen Zug zu Beginn dieser Vollkatastrophe, besagten Zug durch 3 der Hubschrauber und 1 großes Luftschiff auszutauschen. Kommt ihnen bekannt vor? Ja, können sie fast exakt gleich in Teil 1 bestaunen. Und im Meer tauschen sie den Wal gegen den großen Baum in Teil 1, der umgehauen wird, und schwubbeldiwupp, zurück im Jahr 2009.
Wenn irgendein Topmodel in der Werbung ihr neues Deo anpreist, erfahre ich mehr über das Leben dieser Magerstange als in diesem Streifen über das Leben irgendeines blauen oder grünen Bewohners auf Pandora. Stichwort Eywa - In Teil 1 Kernstück des spirituellen Lebens der Na'vi und quasi ein Regelwerk für fast alle Handlungen. In Teil 2 macht Cameron eine Art ferngesteuerte Waffendrohne daraus, welche ansonsten aber scheinbar keinerlei Bedeutung mehr für das Volk hat. Aber Toruk Makto und Familie sind sowieso dermassen unsympatisch, das selbst das Baumvolk sie gar nicht schnell genug "verabschieden" kann. Scheinbar so extrem unsympatisch, das später beim Endkampf auch das grüne Meeresvolk irgendwann flüchtet. Denn plötzlich sind alle weg, damit Jake samt Familie ganz alleine gegen die Aliens kämpfen kann.
In Avatar 1 ging es den Menschen darum, Unobtanium abzubauen. 10+ Jahre später, nachdem die Menschheit außerdem vom Planeten verschwunden war, geht es plötzlich um gelben Glibber aus dem Hirn von Walen, das den Alterungsprozess von Menschen stoppt. Lesen sie das bitte noch einmal: Es geht jetzt um gelben Glibber aus dem Hirn von Walen, das den Alterungsprozess von Menschen stoppt. Und nochmal: Es geht jetzt um gelbes Zeugs aus dem Hirn von Walen, das den Alterungsprozess von Menschen stoppt. Merken sie schon, wie sie langsam verdummen und den Film immer besser finden?
Ich hab noch eine Quizfrage für sie: Was machen sie, wenn sie stundenlang die Luft anhalten können und ihnen eine Feuerwand an der Wasseroberfläche plötzlich den Fluchtweg versperrt? A) Ins Wrack zurückkämpfen und Feuerlöscher suchen B) Vorspulen bis die Gefahr vorüber ist C) Marshmallows auspacken und über der Flamme rösten D) Versuchen, darüber hinwegzuspringen
Deep Blue Sea trifft Öko-Western, und weils zu zweit langweilig ist, kommt auch noch Captain Ahab hinzu. Man nehme den Glibber aus dem Hirn, wichtige Zeigefinger-Botschaften an die Kinobesucher und zwei Wale, von denen einer eine berühmte Komponistin ist und eine epische Sinfonie nach der anderen aus den Flossen schlägt, während der andere blutige Rache nehmen darf. Aber keine Sorge, die nächste Kindergeiselnahme ist nur einen Steinwurf entfernt, um die nötige Abwechslung und neuen Schwung in das endlos lange Epos zu bringen.
Warum das Meeresvolk das wahrscheinlich schon viele Monate oder Jahre stattfindende Walabgeschlachte nicht schon längst mit einer Kriegserklärung an die Aliens quittiert hat, bleibt ebenso ein Rätsel Camerons. Immerhin sind es doch intelligente Mitbewohner, die tiefe (Seelen-)Freundschaft mit den Na'vi geschlossen haben... Aber sobald die Walfangflotte kommt, sind auch die besten Freunde plötzlich vergessen, so ist eben das rauhe und unvorhersehbare Leben auf Pandora.
Die Menschheit, das erfährt man wenigstens beiläufig von einem gnädigen Nebendarsteller, hat Pandora jetzt übrigens zur neuen Erde auserkoren. Und damit sich die Menschheit auch gleich so richtig heimisch fühlt, wird mit den Landungsschiffen von Herrn Quidditch gleich erst mal alles mit riesigen Feuerwalzen dem Erdboden gleichgemacht (Die Baum-Na'vi scheint das auch nicht die Bohne zu kümmern, denn die Stadt wird offensichtlich nicht angegriffen oder Eywa zur Hilfe gerufen). Das müssen sie sich wie im Urlaub weit weg von zuhause vorstellen, wo sie trotzdem ihre geliebte Schweinshaxe und das plattgeklopfte Schnitzel serviert bekommen anstelle des ekelhaften Fraßes vom kulinarisch vollkommen rückständigen Urlaubsland.
Im übrigen sind auch die Sitten auf dem Gebiet der Gastfreundschaft auf Pandora gänzlich anders als anderswo. Prominente Gäste aus dem Wald werden beim Willkommensplausch vom Häutplingssohn wie das Lamm vom Wolf umkreist, an intimen Stellen begrapscht und ausgelacht, und für alle vom Meeresvolk scheint das die standesgemäße Begrüßung für Gäste zu sein. Ne danke, da mach ich doch mit meinem Ikran lieber einen weiten Bogen um die unverschämten Grüngrapscher.
Der Affenjunge. Ne.... einfach ne. In Teil 3 erscheint dann übrigens aus dem Nichts Quidditchs Tochter Primatenbärbel.
Neytiri findet quasi nicht statt, außer ein paar Mal böse zu sein. Böse auf den Karnickel-Ehemann, böse auf die andere Ehefrau, böse auf Herrn Quidditch... Nichts mehr da von der strahlenden Figur aus Teil 1, dem Na'vi-gewordenen Sinnbild des Planeten. Aus der naiv-neugierigen, vor Kraft und Liebe strotzenden, jungen Na'vi-Dame wurde ein dauergebährender, nörgelnder Punisher mit stark reduzierter Leinwandzeit.
Herr Quidditch in Blau ist auch ein nicht enden wollender Störfaktor. Wenn er nicht gerade Kinder fesselt und bedroht, steht er einfach nur unbeholfen rum und glotzt dumm. Man wünscht den bemitleidenswerten Na'vi einen richtigen Feind, z.B. Schwanzflechte oder Flossenpilz, damit etwas Spannung aufkommen kann.
Außerdem hat der Regisseur Quidditch wohl zu keinem Zeitpunkt so richtig mitgeteilt, das er der Böse ist. Denn er teilt dem Gefangenen gleich freudig mit, das in dessen Sauerstoffmaske ein Ortungsgerät verbaut ist. Ein netter Zug vom Geiselnehmer, denn auf dem Schiff gibt es wahrscheinlich tausende dieser Masken, vermutlich sogar wie Feuerlöscher hier und da offen an Wänden rumhängend für den Notfall...
Achja, ...*seufz... und die Menschheit. Nun, da vor einiger Zeit das Unfassbare eingetreten ist und wir tatsächlich wieder hässliche Mom Jeans ertragen müssen, ist dieser Spezies leider wirklich und endgültig alles zuzutrauen. Sogar, Herrn Quidditchs Gedächtnis zu speichern und in einen Avatar zu übertragen, um ihn anschliessend mit dem Auftrag, Rache zu üben, in die endlosen Weiten des Alls zu entsenden. Neue Heimat für die Menschheit, ja schon, aber erstmal egal. Zuerst Rache für Herrn Quidditch, vorher geht hier mal gar nix weiter. Überlegen sie mal, wie unglaublich egal ihnen Rache wäre, wenn sie tot wären. Genau.
Es bleibt im Unklaren, wieso Quidditch überhaupt alles an diesem Planeten (Jaaa, eigentlich ein Mond) hasst, und warum ihm nicht wie jedem anderen Menschen nach dem Tod alles sch...egal sein sollte. Oder warum das Unternehmen zig Millionen für Erinnerungsübertragung und Klonfertigung ausgeben sollte, nur damit ein toter, durchgeknallter Söldner seine Rache bekommt. Und wenn sie sich fragen sollten, warum Quidditch bei mehreren Gelegenheiten Jake nicht einfach erschießen lässt: Das liegt an der ungünstigen Sternenkonstellation im jeweiligen Moment, die den Rachegott missmutig stimmen würde. Explizit erwähnt wird das im Film allerdings nicht.
Das Kino scheint endlich so richtig in der Videospiel-Ära angekommen zu sein, mit der Vorgabe, auf keinen Fall niveauvoller zu sein als das durchschnittliche TikTok-Video. Dialoge dürfen nicht lang, informativ oder gut (warum auch immer) geschrieben sein, die 5-Minuten Story muss durch wiederholbare Side-Quests künstlich auf 3 Stunden gestreckt werden. Im Spiel rennt man eine Stunde von einem zum anderen Ende der Open World, hier sieht man Rumgeschwimme, Kinder"erziehung" und Geiselnahmen in kaum zu ertragender Endlosschleife. Und um solch eine vakuumierte Schwarzloch-Grütze "legitimieren" zu können, integrieren wir eben noch Ray-Traycing oder 3D. Ich kotz gleich ins Popcorn - was dramaturgisch deutlich besser wäre als diese scheinbar von einer KI zusammengewürfelten Handlung auf dem Niveau einer schlechten Teletubbies-Folge.
Was visuell auf die Leinwand gehämmert wird, ist zweifellos bombastisch. Allerdings mutet es auch wie Kraut und Rüben an mit den unterschiedlichen Bildraten und den manchmal viel zu übertriebenen Unschärfe-Effekten, Das Problem beim Bild ist, man gewöhnt sich recht schnell an die tolle Optik, und dann müssten eigentlich eine halbwegs spannende Handlung, halbwegs gute Dialoge und halbwegs tiefgründige Darsteller übernehmen... aber sowas ist ganzwegs nirgendwo zu erspähen.
Da frage ich mich gerade auch, wieso die Na'vi sich in dieser Fortsetzung fast menschlicher verhalten als die Menschen, Stichwort "Bro" und Frisuren. Wundert euch bitte nicht, wenn es in Teil 3 plötzlich Unterwasser-Drive-In's von McDoof gibt.
Da sitze ich also nun, im Dunkeln... zwischen heulenden Vetretern des anderen Geschlechts. Die Bilder verschwinden, Namen tauchen auf. Gleich werden die Lichter angehen. Und mir wird langsam klar: mir ist auch zum Heulen... Und womöglich weinen ja manche der Frauen aus denselben Gründen wie ich vielleicht gleich... aber wohl eher nicht.
Zeitsprung - tzzzzzzzzzzzzzzip - das Jahr 2033
Ich sitze im Kino, Avatar 5 hat gerade begonnen... Links und rechts von mir heulen die ersten Damen, Tränen tropfen in die Popcorneimer. Jake ist inzwischen Hausmann und kümmert sich um die 473 Kinder, während Neytiri den 23. Klon-Avatar von Quidditch jagt, der abermals kurz vor dem Ableben vom Affenjungen gerettet wird, obwohl er kurz zuvor 38 Mal verschiedensten Nachwuchs des Sully-Clans gekidnappt und gefesselt hat, um Jake aus dem Haus zu locken, damit er ihn dann doch nicht erschießen lässt.
In diesem Teil spielt sich alles in den Regenbogen-Fjorden ab. Die Zuschauer sind begeistert von den in allen Farben gestreiften Na'vi, die sich über ihre einfarbigen Bro's lustig machen. Inzwischen sind die Bilder auf der Leinwand so gestochen scharf und perfekt, das nach der Vorstellung irrtümlich der Saal mit den Zuschauern ausgeschaltet wird und die Regenbogen-Na'vi vergnügt das Kino verlassen und nach Hause fahren.