Wasser bedeutet Leben - auch fürs Kino
Wenn es überhaupt jemandem zuzutrauen ist den erfolgreichsten Film aller Zeiten zu toppen, dann James Cameron. Immerhin ist ihm dieses Kunststück schon zweimal gelungen. Ob allerdings ein Sequel zu Avatar (2009) dafür die beste Option ist, bleibt abzuwarten. Der visuelle Wow-Effekt von nie zuvor gesehenen Bildern in bahnbrechender Trick- und 3D-Technik wird sich nicht so einfach wiederholen lassen. Zwar wischt auch Avatar 2: The Way of Water mit allem was die moderne Blockbuster-Schmiede Marvel für gewöhnlich so auf die Leinwand trickst wieder mühelos den Boden auf. Und zweifellos wird dem größten Ignoranten bereits nach 5 Minuten klar, dass er in den letzten 13 Jahren sein Geld für 3D-Vorstellungen regelrecht verbrannt hat. Aber irgendwie ist das auch keine große Überraschung, man könnte auch sagen: das ist eben der Fluch der guten (Groß-)Tat. Und schließlich wäre da noch die vergleichsweise simple Handlung des Vorgängers, die im Wiederholungsfall - also, falls sich der "Pocahontas in Space"-Vorwurf erneut rechtfertigen lassen sollte - deutlicher ins Kontor schlagen dürfte.
Am Ende ist aber all das nicht wichtig, sondern lediglich die Frage, ob Jim Cameron auch nach 13 Jahren noch der König der Kinowelt ist. Ob er noch immer wie kein Zweiter die Disziplin des absoluten Eskapismus, des Eintauchens in und Verschmelzens mit einer ebenso fantastischen wie fantasievollen Welt beherrscht. Und nicht zuletzt, ob er den ganz besonderen Zauber des Kinoerlebnisses gegenüber der bequemeren und inzwischen auf allen Fronten attackierenden Couch-Konkurrenz verteidigen kann. Um es kurz zu machen: Jaa, jaaa und jaaaa.
Avatar 2: The Way of Water ist wie das Original ein Fest für die Sinne, ein audiovisueller Rausch, eine Stimulanz für Herz, Bauch und Hirn. Letzteres nicht im Sinne einer intellektuellen Herausforderung, sondern mehr im Sinne zwar simpler, aber treffender Denkanstöße über das menschliche Zusammenleben, die menschliche Natur sowie den Umgang mit dem Planeten. Sicher wird Cameron das Konglomerat aus traditionellen Familienwerten, klassischer Rachegeschichte und aggressiver Landnahme hier und da vorgehalten werden, aber als Grundgerüst einer vornehmlich sinnlichen Erfahrung sowie der genannten Gedankenspiele funktioniert es tadellos. Jedenfalls umschifft er so die drohenden Untiefen verschwurbelter Esoterik und triefenden Ethno-Kitsches relativ souverän (und besser als der Vorgänger). Den Primat rauschhafter (Massen-)Unterhaltung verliert er jedenfalls nie aus den Augen.
Und dennoch ist Avatar 2 auch ein sehr persönlicher Film. Das gilt sowohl für den Filmemacher wie auch den Menschen James Cameron. So finden sich zahlreiche Zitate und Querverweise auf seine früheren Filme bis hin zu ähnlich angelegten und aufgebauten Sequenzen. Erneut verhandelt er Themen wie die Hybris einer kraftstrotzenden Militärelite (Aliens 1986), die Bedrohung allen organischen Lebens durch Technik (Terminator 1984 und Terminator 2 1991), die Ambivalenz von technologischem Fortschritt (Terminator 2, Titanic 1997) und die Urgewalt der Ozeane (The Abyss 1989, Titanic).
Das autobiographische Herzstück des Avatar-Sequels ist aber ganz ohne Zweifel die Liebe zum Wasser, konkret der maritimen Welt. Cameron setzt sich seit Jahren für diverse umweltpolitische Themen ein, vor allem aber ist der leidenschaftliche Tiefseetaucher ein Verfechter des Erhalts der ozeanischen Tier- und Pflanzenvielfalt. Die Idee, seine Protagonisten Jake Sully und Neytiri (Sam Worthington und Zoe Saldana) aus ihrer Dschungelheimat in die Insel und Unterwasserwelt Pandoras flüchten zu lassen, ist keineswegs rein dramaturgisch - also im Sinne eines nötigen Schauplatzwechsels - motiviert, sondern folgt erkennbar einer missionarischen Vision. Cameron schwelgt geradezu in malerischen Unterwasserpanoramen, die zeitweise wie eine IMAX-Dokumentation von National Geographic anmutet, aus der einen lediglich die brachial hereinbrechenden Kampfszenen herauszureißen vermögen.
Denn bei aller Verbeugung vor der maritimen Natur, der Nabelschau einer erneut schier unglaublich fotorealistischen Tricktechnik sowie eines Worldbuilding von dem man ein Teil wird, anstatt nur staunend daneben zu stehen, hat Avatar 2 auch eine Geschichte zu erzählen, beziehungsweise weiter zu erzählen. So werden wir 10 Jahre nach den Ereignissen des ersten Teils erneut Zeuge eines Kampfes zwischen profitgierigen Menschen und den Ureinwohnern des Planeten Pandora. Die Invasoren haben aus ihrer Niederlage gelernt und aus der DNA ehemaliger Marines Na´vi-Soldaten geklont. Damit darf auch Colonel Mile Quaritch (Stephen Lang) erneut sein übergroßes Messer wetzen, womit der Film geschickt den Verlust des charismatischsten Bösewichts aus Teil 1 wieder wett macht. Dieser bläst dann auch gleich zur Jagd auf den neuen Na´vi-Anführer aka seine Nemesis Jake Sully und treibt ihn mitsamt seiner inzwischen sechsköpfigen Familie ins Exil der pandorischen Wasservölker. Dort ist er für eine Weile in Sicherheit und muss sich lediglich mit vergleichsweise profanen Dingen wie den Sitten und Gebräuchen seiner neuen Heimat sowie innerfamiliären Streitereien auseinandersetzten. Als Quaritch ihn dann doch aus der Reserve lockt (was James Cameron ganz nebenbei in eine fulminante Hommage an Moby Dick verpackt), muss er sich entscheiden. Erneute Flucht, oder Widerstand.
Geradezu epische 193 Minuten nimmt sich James Cameron, um diese (wieder) nicht allzu komplexe Handlung zu erzählen. Dass sich diese 193 Minuten deutlich kürzer anfühlen als die 161 Minuten des kurz zuvor gestarteten Blockbusterkonkurrenten Black Panther: Wakanda Forever, dürfte die Frage nach unnötigen Längen gar nicht erst aufkommen lassen. Will man dennoch unbedingt mäkeln, dann wären die ein oder andere Geiselnahme sowie der ein oder andere Unterwasserausflug die Argumente der Wahl, aber schwergewichtig sind sie sicher nicht. Camerons Epos Magnum ist von einer erzählerischen Leichtigkeit und Kurzweiligkeit die angesichts des tricktechnischen Bombasts und der enormen Lauflänge geradezu verblüfft. Das schwerelose Gefühl des Wassers überträgt sich wie von Zauberhand auf das Seherlebnis, als wäre man selbst einer der Avatare in Camerons Film.
Das mag lediglich eine Verfeinerung bereits geleisteter Errungenschaften sein und keine bahnbrechende Neuerung wie beim Vorgänger oder wie bei Terminator 2. Aber eine Beinahe-Perfektion ist eben auch nur noch in Nuancen steigerbar, so gesehen bleibt James Camerons Thron auf absehbare Zeit unangefochten. Sollte das Fabelergebnis des Originals knapp verfehlt werden, bricht ihm ebenfalls kein Zacken aus der Krone, zumal weit und breit kein Herausforderer in Sicht ist. "Stürzen" kann er sich also weiterhin nur selbst, mit dem bereits abgedrehten dritten Teil hat er dazu wieder eine zeitnahe Gelegenheit. Als Fan und Zuschauer kann man dieser "Attacke" allerdings ganz entspannt entgegen sehen, schließlich bleibt man dabei auf jeden Fall ein Gewinner.