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    Die Fremde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Die Fremde
    Von Florian Schulz

    Seit dem schockierenden Fall „Hatun Sürücü“ anno 2005 geistert das Thema Ehrenmord immer wieder durch die Medien. Kultur avancierte unversehens zum Tatmotiv. Mit „Die Fremde“ feiert das heikle Sujet nun auch seinen Einstand auf der großen Leinwand. Das Familiendrama soll laut Regisseurin Feo Aladag mit all zu simplen Schemata aufräumen. Gleichzeitig möchte die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Tatort-Co-Autorin das Format als ein humanistisches Plädoyer verstanden wissen. Was kann sie also zum öffentlichen Diskurs beitragen, diese Fremde? Leider ist das Ergebnis unter dem Strich ernüchternd: Statt einer Tour de Force in die Untiefen autoritärer Strukturen, liefert Aladag mit ihrem Kinodebüt größtenteils Altbewährtes in retuschierten Bildern. Auch die handwerkliche Raffinesse der Regisseurin und das große Engagement der Hauptdarstellerin können nicht darüber hinwegtäuschen, dass von der vielversprechenden Prämisse dann doch wieder nur ein fragwürdiges, kulturelles Artefakt übrig bleibt.

    Die 25-jährige Türkin Umay (Sibel Kekilli) ist verzweifelt. Ihr Mann Kemal (Ufuk Bayraktar) ist ein wüster Schläger, der auch nicht vor dem gemeinsamen Nachwuchs zurückschreckt. Zusammen mit ihrem Sohn Cem (Nizam Schiller) beschließt Umay aus der häuslichen Hölle in Istanbul zu flüchten und bei ihrer Familie in Berlin Zuflucht zu suchen. Doch die Hoffnung auf Geborgenheit weicht schon bald der Ernüchterung: Familienoberhaupt Kader (Settar Tanriögen) verdammt die „Deutschländer- Hure“, die die Ehre der Aslans mit Füßen tritt. Und auch der Rest der Familie stellt sich bald geschlossen gegen die verzweifelte Tochter. Umay flüchtet unter Polizeischutz in ein Frauenhaus. Doch auch dort scheint sie nicht sicher. Die Lage spitzt sich zu, als dann noch Kemal seinen Sohn zurück nach Istanbul holen möchte. Einen Hoffnungsschimmer findet Umay bald im jungen Hilfskoch Stipe (Florian Lukas), in den sie sich Hals über Kopf verliebt…

    Die Darstellung von Gewalt im Medium des Films ist ein Drahtseilakt. Wie gelingt die Balance zwischen Spektakel und Understatement, zwischen Affront und Banalität? Auch Feo Aladag scheitert an dieser Hürde. Ihre Gewaltinszenierung erschöpft sich größtenteils in plakativ eingesetzten Motiven, die erhobene Hand verkommt zur einfallslosen Geste. Das ist redundant und wirkt hilflos. Auf diese Weise gelingt es nicht, die komplexen Strukturen der Problematik angemessen zu verdeutlichen. Ambivalente Zwischentöne werden kurzerhand durch den nächsten Gewaltakt ausgehebelt, intellektuelle Orientierungslosigkeit durch rasche Szenenwechsel kaschiert. In der Summe bleibt damit ein eindeutiges Bild zurück: Tradition obsiegt über emotionale Bande. Wie der Film damit zu mehr Dialog und Verständnis beitragen soll, bleibt bis zum Ende schleierhaft.

    In der Konsequenz muss sich Feo Aladag ein ums andere Mal die Frage stellen lassen, was ihr Film denn nun wirklich sein soll: Vollwertiges Drama oder vehement vorgetragene Sozialkritik. Eine humanistische Grundausrichtung bleibt zwar erhalten, Aladag zeigt einen Weg aus dem Elend heraus. Aber dieser führt eben tatsächlich nur hinaus aus dem Problemumfeld und muss somit auch als Absage an jeglichen Dialog innerhalb der autoritären Familienstruktur verstanden werden. In dieser Inszenierung wird die individualistische Selbstbestimmung konsequent zur einzigen Alternative erklärt, innerhalb der türkischen Familie gibt es nur Perspektivlosigkeit. Selbst ihr jüngster Spross, der sich zu Beginn noch mit der Heimkehrenden solidarisch zeigt, reiht sich schon bald in die Riege der Schandtäter ein. Für Umay ist die vollständige Loslösung von der peinigenden Familie also die einzige Option.

    „Die Fremde“ ist bei aller inhaltlichen Brisanz ein Beleg dafür, dass Aladag ihr inszenatorisches Handwerk versteht. Das Drama ist straff durchkomponiert und kann mit einigen eindringlichen Szenen aufwarten, die das schockierende Treiben dokumentarisch-dicht ablichten. Auch die Darsteller sind sorgfältig gewählt: Die charismatische Sibel Kekilli erinnert in ihrer zauberhaften Ausstrahlung nicht selten an ihre französische Kollegin Audrey Tautou (Die fabelhafte Welt der Amelie) und ist für die große Leinwand wie geschaffen. Der Rest der Familie wurde hingegen durchgehend mit türkischen Schauspielern oder eigens gecasteten No-Name-Mimen besetzt, was für Authentizität und die nötige sprachliche Intimität bürgt. Für eine überzeugende musikalische Akzentuierung sorgt Max Richter, dessen Piano-Motive nicht selten an die Etüden von Michael Nymans (Das Piano) erinnern. Die intensive Bildsprache und der weitgehend überzeugende Cast machen es aber im Endeffekt nicht einfacher, die nötige Distanz zum Gesehenen einzunehmen.

    Fazit: Mit plakativen Gesten und einem prinzipiellen Mangel an Perspektive schafft es Aladag nicht, das medial eingespielte Bild zu variieren und propagiert mit „Die Fremde“ einen in seiner Alternativlosigkeit letztlich fragwürdigen Ausweg. Der Film erhält dadurch nicht selten eine beinahe populistische Schattierung. Andererseits überzeugen die Schauspieler und die Inszenierung dann doch so sehr, dass man betroffen auf das Leinwandgeschehen reagiert und Partei ergreift. Die Frage nach der Eigendynamik häuslicher Gewalt stellt sich auf dieser Grundlage aber umso dringlicher, will man der Dialogoption keine radikale Absage erteilen. Eine kluge Antwort bleibt der Film jedoch schuldig.

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