Ob nun chinesische Shaolin-Mönche oder japanische Sumôringer, in vielen Ländern der Welt wird der Kampfsport als Teil der nationalen Identität betrachtet. Deshalb ist es nur natürlich, dass soziale Umwälzungen in diesen Staaten oft direkt mit dem Kampfsport in Verbindung stehen. Zuletzt sah man dies in Wilson Yips grandiosem Martial-Arts-Drama Ip Man, das die Geschichte des berühmtesten WingTsun-Kämpfers Ip Man mit dem Widerstand der Chinesen gegen die japanische Besatzungsmacht verknüpfte. In diese Kerbe schlägt nun auch João Daniel Tikhomiroffs Kampfsport-Drama „Besouro“, das im Panorama der Berlinale 2010 seine Deutschlandpremiere feiert. Erzählt wird die halb wahre, halb legendäre Geschichte des titelgebenden Capoeira-Kämpfers Besouro, der in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts mit seinem Kampf gegen die weißen Unterdrücker der übrigen schwarzen Bevölkerung den Mut gegeben hat, sich gegen ihre Ausbeuter zur Wehr zu setzen. Neben den beeindruckenden Martial-Arts-Sequenzen, die in ihren besten Momenten sogar an den thailändischen Genre-Primus Tony Jaa (Ong-Bak) gemahnen, ist es vor allem die inszenatorische Umsetzung der Legendenwerdung eines Mannes, die an „Besouro“ begeistert.
Brasilien, 1924: Obwohl die Sklaverei bereits seit 40 Jahren offiziell abgeschafft ist, schuftet die arme schwarze Bevölkerung noch immer wie Leibeigene auf den Plantagen der reichen weißen Großgrundbesitzer. Unter Führung des Capoeira-Meisters Mestre Alipio (Macalé) tun sich die Schwarzen der Region Bahia zusammen, um sich der Knechtschaft der Weißen gemeinsam entgegenzustellen. Doch noch bevor die Bewegung richtig in Schwung kommt, fällt Alipio einem Attentat zum Opfer. Sein Schüler Besouro (Ailton Carmo), der eigentlich als Leibwächter eingeteilt war, sich aber lieber an anderer Stelle für seine Kampfkünste feiern ließ, zieht sich mit schweren Schuldgefühlen in den Wald zurück. Fortan verübt er im Stile eines brasilianischen Robin Hoods immer wieder Anschläge auf die Zuckerrohrfelder und Verarbeitungsanlagen der Plantagenbesitzer. Obwohl er von dem sadistischen Colonel Venâncio (Flavio Rocha) und seinen Männern erbittert gejagt wird, kann er dank seiner Capoeira-Künste immer wieder entkommen. In den Augen seiner Anhänger und Feinde avanciert er so immer mehr zu einer legendenumrankten, beinahe geisterhaften Gestalt…
„Besouro“ erzählt die Geschichte des Titelhelden nicht einfach nur nach, er setzt ihre Legendenwerdung auch inszenatorisch um. Zu Beginn wirken die Kämpfe noch bodenständig, selbst wenn der tänzerische Ausdruck des Capoeira zumindest für ein europäisches Publikum auch hier schon fremdartig und faszinierend anmutet. Später nehmen die Fights dann allerdings zunehmend Züge an, die den Rahmen des real Möglichen sprengen. Da taucht plötzlich der Kampfgott Exu (Sérgio Laurentino) mit seinen rotglühenden Augen auf und fordert Besouro auf dem Markplatz zu einem Duell heraus, was für die Händler reichlich merkwürdig aussieht, weil sie den Gott selbst nicht sehen können.
Auch einige Naturgeister machen Besouro, dem sie mit ihren Kräften immer wieder aus der Klemme helfen, ihr Aufwartung. Um diesen spirituellen Touch der Legende auch inszenatorisch zu erfassen, präsentiert Langfilmdebütant Tikhomiroff dem Zuschauer einige Male aus den Augen von Tieren. Da nimmt das Publikum plötzlich die Perspektive eines herumschwirrenden Nashornkäfers oder einer herumhüpfenden Kröte ein. Eine atmosphärische Annäherung an den Geist der Natur, der sogar ein wenig an Werner Herzogs Iguana-Eskapaden aus seinem Bad Lieutenant-Remake erinnert. „Besouro“ vollzieht hier ähnlich wie der in dieser Hinsicht vollkommen missglückte Ong Bak 2 eine Wandlung von handfester Martial-Arts-Action zur spirituellen Reflexion. Ein Genrewechsel, der auch Basouros Wandel vom einfachen Menschen zur unsterblichen Legende perfekt widerspiegelt.
Fazit: „Besouro“ ist ein ganz stark inszeniertes, mit außergewöhnlichen Regieeinfällen garniertes und von Könnern choreographiertes Martial-Arts-Drama, das ohne weiteres zu den Highlights des diesjährigen Berlinale-Panoramas zählt.