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    Tucker & Dale vs. Evil
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tucker & Dale vs. Evil
    Von Andreas Staben

    Einst waren die Berge und Wälder des amerikanischen Hinterlands im Kino das Reich von Indianern und einzelgängerischen Trappern. Inzwischen haben in der Abgeschiedenheit der Appalachen und anderer ländlicher Gegenden allerdings degenerierte Hillbillies die Herrschaft übernommen – jedenfalls in der seit Tobe HoopersThe Texas Chainsaw Massacre" immer wieder variierten Spielart des Hinterwäldler-Horrorfilms. Die Regel lautet: Wenn sich Großstädter in den Weiten der Wildnis verlieren, dann blüht ihnen ein Ende mit Schrecken. Als ehemaliger Filmstudent kennt Eli Craig die einschlägigen Werke von Wes CravensHügel der blutigen Augen" bis zu Rob SchmidtsWrong Turn" natürlich genau. Und er weiß, dass es allen Fans des Genres ganz genauso geht. Also spielt der Regisseur mit dieser Kenntnis und stellt die einschlägige Ausgangssituation in seinem Langfilmdebüt „Tucker & Dale Vs. Evil" kurzerhand auf den Kopf. In seiner liebevoll inszenierten und clever konstruierten Splatter-Komödie vereint er postmoderne Parodie mit herzhafter Hommage – und sein Protagonisten-Duo, das den ramponierten Ruf der Hillbillies aufpoliert, hat echtes Kult-Potential.

    Eine Gruppe College-Studenten macht sich auf den Weg zu einem Camping-Ausflug. Kurz vor dem Ziel in West Virginia fällt ihnen auf, dass sie die wichtigste Zutat für eine zünftige Sause vergessen haben... Also halten sie an einer heruntergekommenen Tankstelle, um ihre Bier-Vorräte aufzufüllen. Dort treffen sie auf Tucker (Alan Tudyk) und Dale (Tyler Labine), die ihnen mit ihrer etwas grobschlächtigen Erscheinung Angst machen. Die Studenten kennen jede Menge Horrorfilme und so sehen sie in den beiden Einheimischen potentiell gefährliche Hinterwäldler. Dabei wollen die nur eine heruntergekommene Berghütte in Schuss bringen und ein wenig angeln. Als Allison (Katrina Bowden), eins der Mädchen aus der Gruppe, beim Bad im See beinahe ertrinkt, wird sie von Tucker und Dale aus dem Wasser gefischt und in ihre Hütte gebracht. Die Rettungsaktion missverstehen die College-Kids allerdings als Mordversuch. Unter der Führung des aggressiven Chad (Jesse Moss) wollen sie ihre Kameradin mit Gewalt befreien...

    Selbst in zivilisationskritischen Thriller-Klassikern wie „Beim Sterben ist jeder der Erste" oder „Die letzten Amerikaner" werden die Einheimischen nicht gerade schmeichelhaft porträtiert und in den Horrorgeschichten aus den Backwoods sind sie nicht selten vollständig degeneriert. Genau dieses erwarten die College-Kids und mit ihnen das eingeweihte Publikum auch hier, als sie Tucker und Dale das erste Mal gegenüberstehen. Besonders der stämmige Dale mit seinem zauseligen Vollbart und seinen Tätowierungen, der eingelegte Eier aus einem riesigen Glas mampft, ist eine durchaus beunruhigende Erscheinung. Und zu allem Überfluss hat er bei seinem Versuch, die hübsche Allison anzusprechen, eine Sense in der Hand. Aber wir wissen da schon, dass der tumbe Tor in Wirklichkeit nur etwas schüchtern und absolut harmlos ist. Eli Craig und sein Co-Autor Morgan Jurgenson machen aus den Hillbillies die unwahrscheinlichen Helden und Sympathieträger, während die Studenten mit Ausnahme von Allison als hysterische und gefährliche Ignoranten daherkommen.

    Aus dieser simplen Umkehrung entwickelt Craig genüsslich ein irres Szenario unglaublicher Missverständnisse und unfassbarer Zufälle. Alles, was Tucker und Dale nach Allisons Unfall tun, interpretieren die verbliebenen Camper als Bedrohung, während die beiden Hobby-Angler erst nach mehreren tödlich verlaufenden Attacken bemerken, dass die Clique sie ins Visier genommen hat. Die Studentengruppe wird ganz wie im herkömmlichen Slasherfilm nach und nach dezimiert, nur dass sie hier allesamt Unfällen zum Opfer fallen, die in ihrer elaborierten Ausgefallenheit fast aus der „Final Destination"-Reihe stammen könnten. Wenn Tucker etwa mit der Kettensäge hantiert, kriegt es das „Opfer" mit der Angst zu tun und läuft davon – es kommt zu einer unabsichtlichen (!) Verfolgungsjagd mit unschönem Ende. Und als ein anderer beim Versuch, Tucker zu überwältigen, kopfüber in die Häckselmaschine („Fargo" lässt grüßen) springt, glauben die einen an Mord und die anderen an Selbstmord – alles eine Frage der Perspektive. Den ausgedehnten Splattereffekt lässt sich Craig davon ganz unabhängig nicht entgehen.

    Die gleichermaßen süße wie einfühlsame Allison, die von „30 Rock"-Sekretärin Katrina Bowden mit absolut natürlicher Ernsthaftigkeit gespielt wird, überwindet ihre Vorurteile schnell und erkennt das Problem der unterschiedlichen Wahrnehmungen: Die Psychologie-Studentin setzt die Widersacher bei einer Tasse Tee zwecks besserer Verständigung an einen Tisch. Eine solche Szene ist natürlich eine weitere ironische Volte, aber sie wirkt zugleich fast rührend, denn neben Bowden spielt auch Tyler Labine („Partyalarm", „Flyboys") seinen Part mit echter Hingabe und so gelingen selbst die romantischen Momente. Aber das wichtigste Paar im Film sind dennoch Tucker und Dale, wahre Freunde fürs Leben und in ihrer Anfälligkeit für Pannen und Missgeschicke aller Art fast so etwas wie die Erben von Laurel und Hardy. Auch deren Sentimentalität lässt sich in Dales Ritterlichkeit und in Tuckers temperamentvoller Gutmütigkeit wiedererkennen. Und auch zwischen Tyler Labine und Alan Tudyk („Firefly") stimmt die Chemie – dieses Duo würde man gerne wiedersehen.

    Craigs Infusion echter Menschlichkeit ist für einen Splatterfilm ungewöhnlich und erweist sich als eine besondere Stärke von „Tucker & Dale Vs. Evil". Leider verlässt der Regisseur diesen Pfad gegen Ende zunehmend, und so muss es in einem Rückgriff auf ein Muster aus „Freitag der 13." einen lupenreinen Bösewicht geben, dem in einem echten Showdown der Garaus gemacht wird. Immerhin geschieht dies auf recht originelle Weise, bei der neben handfesten Waffen auch ein Teebeutel zum Einsatz kommt. Trotzdem gleitet der Film hier ein wenig zu sehr in die Konventionen ab, die zuvor so treffend auf die Schippe genommen wurden. Insgesamt hält Craig die Balance zwischen Dekonstruktion und Bestätigung aber erstaunlich lange durch, ähnlich wie bei anderen gelungenen Genreparodien wie „Scream" oder „Shaun of the Dead" ergänzen sich unterlaufene und erfüllte Erwartungen fast optimal. So ist „Tucker & Dale Vs. Evil" nicht nur ein liebevolles Spiel mit Genremechanismen, sondern auch ein ungetrübtes Vergnügen für Fans des spaßigen Splatterkinos, ein Film, der nicht zufällig in Sundance genauso gut ankam wie beim FantasyFilmFest.

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