Der Krimi ist ein ureuropäisches und kulturgeschichtlich weit zurückreichendes Genre. In vielen klassischen Kriminalgeschichten, etwa in denen von „Sherlock Holmes"-Autor Arthur Conan Doyle, gerät das fragile Konzept der „Normalität" durch ein mysteriöses Verbrechen ins Wanken, um schließlich von kritischen Geistern wieder ins Lot gebracht zu werden: Ordnung durch Aufklärung. Seit dieser Blütezeit des Krimis hat sich allerdings einiges geändert. Amerikanische Hardboiled-Literaten verweigerten sich dem Gedanken der reinen Vernunft und warfen ihre Protagonisten in ein Höllenloch des Faustrechts. Im deutschsprachigen Raum ließ dann etwa Friedrich Dürrenmatt das Vernunftsgebot des Genres ins Leere laufen, während französische Autoren wie Georges Simenon zunehmend die menschlichen Tragödien hinter den Fällen ins Zentrum rückten. In „Who killed Marilyn?" setzt sich Gérald Hustache-Mathieu („Fromme Lüge") auf charmant-humorvolle Weise mit den Regeln und den Mythen der traditionsreichen Gattung auseinander – und punktet mit einer klugen und entspannt inszenierten Krimi-Fingerübung.
Der ausgebrannte Krimi-Autor David Rousseau (Jean-Paul Rouve) sucht Entspannung und Inspiration im Dorf Mouthe im französischen Jura. Schon bei der Anreise kreuzt er den Fundort einer Leiche. Das Provinz-Starlett Candice Lecoeur (Sophie Quinton) hat sich angeblich mit Schlafmitteln betäubt und zum Sterben in die verschneite Einöde gelegt. Zunächst will sich Rousseau nur für sein nächstes Buch inspirieren lassen, nach vorerst oberflächlichen Recherchen beginnt er jedoch, an der Selbstmordtheorie zu zweifeln und das Leben des Opfers, das sich als Reinkarnation Marilyn Monroes verstand, zu erforschen. Wie ihr Vorbild war auch Candice eine unglückliche Frau, die sich von den Versprechungen umtriebiger Produzenten blenden ließ. Im Gegensatz zu Marilyn reichte es bei ihr jedoch nur für Käsemarken-Werbung und zur Wetterfee beim Lokalsender. Zusammen mit dem Hilfspolizisten Bruno (Guillaume Gouix) widmet sich Rousseau schließlich ganz der Jagd nach Candices Mörder...
In einer der ersten Szenen wird Rousseau geraten, sich nicht gleich an einem großen Epos à la James Ellroy („L.A. Confidential) zu versuchen und stattdessen eine überschaubarere Geschichte zu schreiben. Der Name Ellroy wird noch weitere Male fallen. Und auch wenn die Ermittlung hier ganz anders verläuft als in den Fällen des amerikanischen Thriller-Düsterlings – dessen Protagonisten würden wohl gleich losfoltern, um ihre Antworten zu erhalten –, ist der Vergleich insbesondere mit Ellroys frühem Meisterwerk „Die schwarze Dahlie" durchaus passend. Hier wie dort versteigt sich ein Erzähler bis zur Besessenheit in den Lebenslauf einer Toten. Während in vielen modernen Krimis und Thrillern schaulustig auf morbide Taten eingegangen wird und die Opfer dabei oft anonym bleiben, verhält es sich in „Who killed Marilyn?" jedoch genau andersherum.
Candices Lebensgeschichte wird mit Hilfe nicht sonderlich subtiler, doch pointierter Rückblenden ausgebreitet. In diesen Szenen setzt sich Regisseur Hustache-Mathieu mit Kino-Mythen wie jenem, der sich um Marilyn Monroe rankt, auseinander und auch den Traum vom schnellen Ruhm karikiert er hier. Darüber gerät der Mord dann fast in Vergessenheit. Die spätere Auflösung ist unspektakulär und kaum logisch zwingend. Doch zu diesem Zeitpunkt ist ohnehin klar, dass es hier trotz des fragenden „deutschen" Titels nicht um eine Mördersuche nach klassischem Whodunit-Konzept geht. Auch Candice, die das Geschehen aus dem Jenseits per Voice Over kommentiert, scheint sich nicht darum zu scheren, ob ihre Mörder dingfest gemacht werden, stattdessen schwelgt sie ausschweifend über Leben und Tod.
Knisternde Spannung kommt dabei nicht herum. Vielmehr ist das Erzähltempo ausgesprochen entspannt sowie die Bildsprache ruhig und melancholisch-verträumt. Die kleinen, erstaunlich humorvollen Action-Einlagen – etwa eine unfreiwillige Amokfahrt in einem Wagen mit kaputten Bremsen – sind spaßig genug, aber sie sind eher eine Zugabe, denn der Fokus liegt in dem überwiegend geradezu altmodisch inszenierten eindeutig auf anderen Dingen. Die tragenden Säulen von „Who Killed Marilyn?" sind die thematische Doppelbödigkeit und die detailliert gezeichneten Protagonisten. Jean-Paul Rouve („La Vie En Rose") gibt einen wunderbaren, leicht depperten Rousseau. Er ist immer ein kleines bisschen neben der Spur – als unkomplizierter Sympathieträger taugt er dabei aber kaum, dafür ist die Figur umso vielschichtiger. Sophie Quinton („Familientreffen mit Hindernissen") dagegen bezirzt das Publikum als Sexbombe auf tragischen Irrwegen – da ist es dann auch egal, dass die Mörderhatz so gemächlich verläuft.
Fazit: Mit „Who killed Marilyn?" setzt sich Gérald Hustache-Mathieu selbstbewusst zwischen die Stühle des Krimis, der Komödie und des Dramas – und beweist dabei viel thematisches Gespür und erzählerische Intelligenz.