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    Die Stille der Unschuld - Der Künstler Gottfried Helnwein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Stille der Unschuld - Der Künstler Gottfried Helnwein
    Von Sascha Westphal

    Der in Wien geborene und heute meist in Irland lebende Künstler Gottfried Helnwein hat gleich mit seinen ersten öffentlichen Aktionen und Ausstellungen in den späten 60er und frühen 70er Jahren für Skandale gesorgt. Einmal mussten die zuständigen Kuratoren sogar seine Gemälde wieder abhängen lassen, um einen Streik der Angestellten zu verhindern. Mittlerweile ist Helnwein zwar im Mainstream des internationalen Kunstbetriebs angekommen – Arnold Schwarzenegger hat sich von ihm nach seiner Wahl zum Gouverneur von Kalifornien porträtieren lassen und zudem noch ein Landschaftspanorama bei ihm in Auftrag gegeben, das nun in einem Konferenzsaal in seinem (Noch-)Amtssitz in Sacramento hängt. Aber Helnweins hyperfotorealistische Bilder von bandagierten und geschundenen Kindern, von ermordeten und mordenden Mädchen polarisieren immer noch. Die Albträume, die sein Werk vor etwa 40 Jahren bei einem Wiener Kritiker ausgelöst hat, sind nicht Geschichte, sie können auch einen heutigen Betrachter verfolgen. Doch das ist jetzt eben eine Qualität, die innerhalb der Kunstszene geschätzt, wenn nicht gar gesucht wird. Wo diese bösen Versionen herkommen, ist die zentrale Frage, der Claudia Schmidt in ihrer ungeheuer konzentrierten, gedanklich wie filmisch wunderbar klaren Dokumentation „Die Stille der Unschuld – Der Künstler Gottfried Helnwein" nachgeht.

    Claudia Schmid, die nach einem Studium der Bildhauerei und Konzeptkunst an der Kunstakademie in Düsseldorf selbst schon mehrere Ausstellungen hatte und seit den frühen 90er Jahren als Dokumentarfilmerin arbeitet, hat den direktesten Weg der Annäherung an Gottfried Helnwein gewählt. Sie filmt ihn bei der Arbeit in seinen Ateliers in Irland und Los Angeles, zeigt ihn zusammen mit seiner großen Familie und bei Vorbereitungen für Ausstellungen. Immer geht es um Helnwein, seine Arbeitsweisen und sein Leben. Außer Arnold Schwarzenegger, der regelrecht ins Schwärmen gerät, wenn er sich mit dem Künstler über dessen Werke unterhält, kommt kein Außenstehender zu Wort. Claudia Schmid spricht weder mit anderen Sammlern noch mit Kritikern, weder mit Kunsthistorikern noch mit Galeristen. Ihre Dokumentation ist ein Arbeitsporträt und wird damit fast zu einer Art Innenansicht des Künstlers.

    Dieses leicht kratzende Geräusch, das ein Pinsel auf einer Leinwand macht; das Klicken des Auslösers einer Kamera; das Rauschen des Windes in den Hügeln von Tipperary; der Straßenlärm in L.A.s Künstlerviertel; und dann die Stille, wenn der Künstler eines seiner Werke betrachtet, es mit seinen Blicken erforscht, um dann noch einmal Hand anzulegen. Claudia Schmids Porträt erweist sich von Anfang an als ein komplexes Dokument von Tönen und Geräuschen, die zu Partnern der Bilder werden, als im eigentlichen Wortsinn audio-visuelle Erkundung. Dazu gehört natürlich auch Gottfried Helnweins sonore Stimme, mit der er Anekdoten aus seinem Künstlerleben preisgibt und von seiner katholisch geprägten Jugend im Nachkriegs-Österreich erzählt. Helnwein kann sich perfekt darstellen und damit auch verkaufen – daran kann es nach „Die Stille der Unschuld" keinerlei Zweifel mehr geben.

    Aber alles, was Helnwein sagt, und alles, was Claudia Schmid von seinen Arbeiten und von deren Entstehung erzählt, weist immer auch über ihn und sein Werk hinaus. Es geht immer auch um die grundsätzlichen Fragen von Kunst, ihrer Entstehung wie ihrer Wirkung, ihren Wurzeln wie ihren Grenzen. Helnweins Bilder von versehrten und uniformierten Kindern, die oft auch noch Waffen in den Händen halten, rühren an archetypische Vorstellungen und Ängste. Zudem rückt ihr extremer (Foto-)Realismus immer noch den Schaffensprozess selbst ins Zentrum der Rezeption. Wie entstehen diese Bilder? Wie kann ein Gemälde der Wirklichkeit so nahe kommen, dass es sie regelrecht zu übertreffen scheint?

    Antworten auf diese Fragen liefert Claudia Schmid zwar nicht. Sie zeigt nur den Beginn und die Endphase des Schaffensprozesses. Aber das muss sie auch nicht. Mit ihren Einblicken in Helnweins Fotosessions, seine Motivsuche in mehr oder weniger unberührten Landschaften und seine Arbeit mit den Kindern, die ihm Modell stehen, und in seine Arbeit an den Bildern, dieses akribische Auftragen von immer weiteren Lagen von Farbe auf Gemälde, die fast schon vollendet sind, markiert die Filmemacherin die Eckpunkte seines Schaffensprozesses. Das, was dazwischen geschieht, muss ausgespart bleiben. Schließlich entzieht es sich letzten Endes der Darstellung. So kann Claudia Schmid beiden Seiten der Kunst gerecht werden, der handwerklichen, die eben im Geräusch eines Pinsels, der über eine Leinwand streicht, erfahrbar wird, wie der spirituellen, die sich am ehesten noch mit Begriffen wie Transformation und Transzendenz beschreiben lässt. Aus dem Akt des Farbe-Auftragens erwächst eben mehr als ein Abbild von Realität. Er erschafft eine neue, eine zweite Wirklichkeit, die wie bei Helnweins Gemälden gleich einem Keil oder einer Klinge in die Oberfläche des Alltäglichen stößt und sie zerreißt.

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